Schützende Hände über Steueroasen
Seit Jahren wird über eine schärfere Gangart gegen Steuerparadiese diskutiert. Nur gibt es weder international noch in der EU einheitliche Listen darüber, welche Länder als besonders intransparent gelten. Woran liegt das?
Die Forderungen klingen vertraut. Wie nach den Enthüllungen der Panama Papers vor einem Jahr und nach Lux Leaks im Jahr 2014 folgt auch auf die Paradise Papers der Ruf nach einer Stilllegung von Steueroasen und Schattenfinanzplätzen. Laut rumort es vor allem in der EU: Die Finanzminister kündigten an, bereits heute, Dienstag, über eine schwarze Liste zu beraten. Auf sie sollen Steueroasen gesetzt werden, also Länder, die nicht kooperieren wollen. Die Folge wären Sanktionen beim Zugang zur Finanzdienstleistungen in der EU.
Solche Diskussionen haben allerdings schon in der Vergangenheit wenig gebracht. Derzeit verfügen viele Länder in der EU wie Österreich über gar keine schwarzen Listen. Andere wie Frankreich und Spanien führen separate Listen, und bisher scheiterten Vereinheitlichungsversuche. Auf internationaler Ebene konnte man sich auf ebenso wenig Konkretes verständigen. Die Industriestaatenorganisation OECD hat derzeit nur ein einziges Land als nichtkooperativ gebrandmarkt, und zwar Trinidad und Tobago.
Doch wie ist das möglich? In den vergangenen Jahren sind zehntausende Dokumente aufgetaucht, die belegen, dass eine ganze Reihe an Ländern und Territorien Teil der diskreten OffshoreFinanzwelt sind. Auf jedem Kontinent, angelehnt an jede bedeutende Volkswirtschaft, gibt es sie also: die Schattenfinanzplätze. Genau das erklärt laut Steuerexperten, weshalb eine Stilllegung des Systems so schwierig ist. Ob in den USA, Europa oder Asien, am System haben zahlreiche Finanzzentren großes Interesse. Der deutsche Ökonom und Steuerexperte Andreas Peichl sagt etwa, dass die Caymon Islands und die British Virgin Islands ohne die Anbindung an das Vereinigte Königreich, ohne dessen Schutz, dessen Rechtssystem und ohne den Zugang zur City of London ihre Funktion als Steueroase nie wahrnehmen könnten. Die USA kontrollieren neben dem Finanzplatz Bermudas auch direkt Delaware, wo Unternehmen ohne jede Offenlegung der wirtschaftlichen Eigentümer registriert werden können. In Europa bieten eine Reihe von Ländern spezielle Diskretion an, besonders Luxemburg. Laut dem französischen Forscher Gabriel Zucman sind auf der anderen Seite der Welt Hongkong und Singapur die am schnellsten wachsenden Offshorezentren. Einmal wegen ihrer Nähe zu aufstrebenden Ländern wie China. Zugleich aber, weil viel Kapital aus den „alten“Steuerparadiesen wie der Schweiz und Luxemburg nach Asien transferiert wurde.
Zwei Länder dominieren
International gibt es also in jeder Region verschiedene Schutzmächte, die über „ihre“Oasen wachen. Als federführend gilt aber die angelsächsische Welt. „Die USA und das Vereinigte Königreich kontrollieren 40 bis 50 Pro- zent der internationalen grenzüberschreitenden Finanzdienstleistungen“, sagt Alex Cobham, Ökonom am King’s College in London und Leiter der NGO Tax Justice Network. „Innerhalb weniger Tage könnten diese beiden Supermächte die Schattenfinanzplätze der Welt stilllegen. Aber genau daran mangelt das Interesse.“
Die USA, so sagt Cobham, sind in der jungen Vergangenheit sogar aggressiver dabei geworden, Finanzströme aus dem Ausland anzulocken. „Die Schweiz hat früher immer gesagt, wenn wir besteuert werden, wird das ganze schmutzige Geld bloß in andere Finanzplätze fließen. Erstmals scheint dieser Spruch wahr zu sein“, so der Ökonom und NGO-Vertreter. Doch was ist der Grund dafür?
In der EU und innerhalb der OECD gab es zuletzt einige Initiativen mit dem Ziel, die Steuer- transparenz zu erhöhen. So startet heuer und 2018 der automatische Austausch von Informationen.
Wie viel das System, der Common Reporting Standard, in der Praxis bringt, steht noch nicht fest. Doch geplant ist der grenzüberschreitende Austausch von Informationen über Konten und Finanzprodukte von Bürgern und Unternehmen. Die USA verweigern sich diesem OECD-System. Sie haben ein eigenes Modell entwickelt, bei dem sie von anderen Ländern Kontodaten erhalten. Die Vereinigten Staaten geben allerdings in der Regel selbst keine Informationen ans Ausland weiter, das Ganze ist eine Einbahnstraße. Im EU-Parlament wird deshalb schon seit einiger Zeit gefordert, dass auf der schwarzen Liste der Steueroasen die USA an oberster Stelle stehen sollten.
Die internationale Wirtschaftsund Steuerpolitik steht vor einem Umbruch. Statt Kooperation wird es in naher Zukunft mehr Spannungen geben, die beiden wichtigsten Wirtschaftsmächte der Welt, die EU und die USA, steuern auf einen Konflikt zu. Klingt bedrohlich? Keine Sorge. Die Chancen stehen gut, dass aus der Reibung etwas Positives für Bürger wie für die vielen Klein- und Mittelbetriebe auf beiden Seiten des Atlantiks entsteht.
Enthüllungen wie Lux Leaks, Panama und nun Paradise Papers haben der Weltöffentlichkeit vor Augen geführt, wie einige Superreiche und eine Gruppe von multinationalen Großkonzernen geltende Steuergesetze legal umgehen können. Das stellt die betroffenen Gesellschaften vor zwei fundamentale Probleme: fehlende Fairness und verzehrter Wettbewerb.
Alle Steuern und Sozialabgaben zusammengenommen, führen Menschen in Österreich im Schnitt 40 Prozent ihres Einkommens an den Staat ab. Sie werden zu Recht wütend, wenn einige andere Menschen nur einen Bruchteil dessen bezahlen müssen, weil sie Geheimkonten und Briefkastenfirmen nutzen. Das gefährdet den sozialen Zusammenhalt und die liberale Demokratie, weil die Übervorteilten mit politischen Extremisten liebäugeln. Können wir uns die Superreichen politisch leisten? Das ist heute keine reine Scherzfrage mehr.
Zugleich gefährden die Steuerparadiese jene Fundamente, auf denen die Marktwirtschaft steht. inen fairen Wettbewerb zwischen Unternehmen kann es nur geben, wenn für alle dieselben Bedingungen gelten. Wenn über Grenzen hinweg tätige Konzerne wie Apple oder Google ihre Steuerlast in den Promillebereich reduzieren, bleibt ihnen mehr Kapital, um in Technologien zu investieren, und mehr Spielraum, um Preise zu diktieren. Dann galoppieren sie den vielen Klein- und Mittelbetrieben davon. Die Auswirkungen dieser Monopol- und Oligopolbildung lassen sich an der Dominanz der US-Technologiekonzerne bereits erkennen.
Allerdings regt sich Widerstand. Der politische Druck, der als Folge der Enthüllungen der Leaks entstanden ist, hat dazu geführt, dass die EU-Kommission begonnen hat, gegen die Konstruktionen der US-Techgiganten vorzugehen. Apple, das auf seine Ge-
Ewinne in Europa jahrelang nur 0,005 Prozent Steuern zahlte, wurde zu einer Nachzahlung von 13 Milliarden Euro verdonnert. Für Amazon und Starbucks gab es ebenso Strafen.
Die USA sind gerade dabei zurückzuschlagen. Darauf laufen die Pläne für eine Steuerreform der Republikaner hinaus. Washington will künftig Gewinne ausländischer Unternehmen stärker besteuern, wenn diese Geschäfte in den USA machen. Die EU arbeitet zeitgleich an neuen einseitigen Maßnahmen gegen IT-Giganten.
Während es in der Regel für alle vorteilhaft ist, wenn Konflikte durch Ko- operation gelöst werden, scheint es in der Steuerpolitik anders gelaufen zu sein. In den vergangenen Jahrzehnten haben die großen Wirtschaftsblöcke zusammengearbeitet. Das hat zu einer doppelten Nichtbesteuerung geführt: Ich steige deinen Steuertricksern nicht auf die Zehen, wenn du es bei meinen auch nicht machst. Hinter jeder Steueroase, ob nun die Cayman Islands (Vereinigtes Königreich), Bermuda (USA), Luxemburg (EU), steht eine Supermacht. Mit dieser Praxis scheint Schluss zu sein. Und es gibt Schlimmeres als einen mit Augenmaß geführten Steuerkonflikt.