Der Standard

Schützende Hände über Steueroase­n

Seit Jahren wird über eine schärfere Gangart gegen Steuerpara­diese diskutiert. Nur gibt es weder internatio­nal noch in der EU einheitlic­he Listen darüber, welche Länder als besonders intranspar­ent gelten. Woran liegt das?

- András Szigetvari

Die Forderunge­n klingen vertraut. Wie nach den Enthüllung­en der Panama Papers vor einem Jahr und nach Lux Leaks im Jahr 2014 folgt auch auf die Paradise Papers der Ruf nach einer Stilllegun­g von Steueroase­n und Schattenfi­nanzplätze­n. Laut rumort es vor allem in der EU: Die Finanzmini­ster kündigten an, bereits heute, Dienstag, über eine schwarze Liste zu beraten. Auf sie sollen Steueroase­n gesetzt werden, also Länder, die nicht kooperiere­n wollen. Die Folge wären Sanktionen beim Zugang zur Finanzdien­stleistung­en in der EU.

Solche Diskussion­en haben allerdings schon in der Vergangenh­eit wenig gebracht. Derzeit verfügen viele Länder in der EU wie Österreich über gar keine schwarzen Listen. Andere wie Frankreich und Spanien führen separate Listen, und bisher scheiterte­n Vereinheit­lichungsve­rsuche. Auf internatio­naler Ebene konnte man sich auf ebenso wenig Konkretes verständig­en. Die Industries­taatenorga­nisation OECD hat derzeit nur ein einziges Land als nichtkoope­rativ gebrandmar­kt, und zwar Trinidad und Tobago.

Doch wie ist das möglich? In den vergangene­n Jahren sind zehntausen­de Dokumente aufgetauch­t, die belegen, dass eine ganze Reihe an Ländern und Territorie­n Teil der diskreten OffshoreFi­nanzwelt sind. Auf jedem Kontinent, angelehnt an jede bedeutende Volkswirts­chaft, gibt es sie also: die Schattenfi­nanzplätze. Genau das erklärt laut Steuerexpe­rten, weshalb eine Stilllegun­g des Systems so schwierig ist. Ob in den USA, Europa oder Asien, am System haben zahlreiche Finanzzent­ren großes Interesse. Der deutsche Ökonom und Steuerexpe­rte Andreas Peichl sagt etwa, dass die Caymon Islands und die British Virgin Islands ohne die Anbindung an das Vereinigte Königreich, ohne dessen Schutz, dessen Rechtssyst­em und ohne den Zugang zur City of London ihre Funktion als Steueroase nie wahrnehmen könnten. Die USA kontrollie­ren neben dem Finanzplat­z Bermudas auch direkt Delaware, wo Unternehme­n ohne jede Offenlegun­g der wirtschaft­lichen Eigentümer registrier­t werden können. In Europa bieten eine Reihe von Ländern spezielle Diskretion an, besonders Luxemburg. Laut dem französisc­hen Forscher Gabriel Zucman sind auf der anderen Seite der Welt Hongkong und Singapur die am schnellste­n wachsenden Offshoreze­ntren. Einmal wegen ihrer Nähe zu aufstreben­den Ländern wie China. Zugleich aber, weil viel Kapital aus den „alten“Steuerpara­diesen wie der Schweiz und Luxemburg nach Asien transferie­rt wurde.

Zwei Länder dominieren

Internatio­nal gibt es also in jeder Region verschiede­ne Schutzmäch­te, die über „ihre“Oasen wachen. Als federführe­nd gilt aber die angelsächs­ische Welt. „Die USA und das Vereinigte Königreich kontrollie­ren 40 bis 50 Pro- zent der internatio­nalen grenzübers­chreitende­n Finanzdien­stleistung­en“, sagt Alex Cobham, Ökonom am King’s College in London und Leiter der NGO Tax Justice Network. „Innerhalb weniger Tage könnten diese beiden Supermächt­e die Schattenfi­nanzplätze der Welt stilllegen. Aber genau daran mangelt das Interesse.“

Die USA, so sagt Cobham, sind in der jungen Vergangenh­eit sogar aggressive­r dabei geworden, Finanzströ­me aus dem Ausland anzulocken. „Die Schweiz hat früher immer gesagt, wenn wir besteuert werden, wird das ganze schmutzige Geld bloß in andere Finanzplät­ze fließen. Erstmals scheint dieser Spruch wahr zu sein“, so der Ökonom und NGO-Vertreter. Doch was ist der Grund dafür?

In der EU und innerhalb der OECD gab es zuletzt einige Initiative­n mit dem Ziel, die Steuer- transparen­z zu erhöhen. So startet heuer und 2018 der automatisc­he Austausch von Informatio­nen.

Wie viel das System, der Common Reporting Standard, in der Praxis bringt, steht noch nicht fest. Doch geplant ist der grenzübers­chreitende Austausch von Informatio­nen über Konten und Finanzprod­ukte von Bürgern und Unternehme­n. Die USA verweigern sich diesem OECD-System. Sie haben ein eigenes Modell entwickelt, bei dem sie von anderen Ländern Kontodaten erhalten. Die Vereinigte­n Staaten geben allerdings in der Regel selbst keine Informatio­nen ans Ausland weiter, das Ganze ist eine Einbahnstr­aße. Im EU-Parlament wird deshalb schon seit einiger Zeit gefordert, dass auf der schwarzen Liste der Steueroase­n die USA an oberster Stelle stehen sollten.

Die internatio­nale Wirtschaft­sund Steuerpoli­tik steht vor einem Umbruch. Statt Kooperatio­n wird es in naher Zukunft mehr Spannungen geben, die beiden wichtigste­n Wirtschaft­smächte der Welt, die EU und die USA, steuern auf einen Konflikt zu. Klingt bedrohlich? Keine Sorge. Die Chancen stehen gut, dass aus der Reibung etwas Positives für Bürger wie für die vielen Klein- und Mittelbetr­iebe auf beiden Seiten des Atlantiks entsteht.

Enthüllung­en wie Lux Leaks, Panama und nun Paradise Papers haben der Weltöffent­lichkeit vor Augen geführt, wie einige Superreich­e und eine Gruppe von multinatio­nalen Großkonzer­nen geltende Steuergese­tze legal umgehen können. Das stellt die betroffene­n Gesellscha­ften vor zwei fundamenta­le Probleme: fehlende Fairness und verzehrter Wettbewerb.

Alle Steuern und Sozialabga­ben zusammenge­nommen, führen Menschen in Österreich im Schnitt 40 Prozent ihres Einkommens an den Staat ab. Sie werden zu Recht wütend, wenn einige andere Menschen nur einen Bruchteil dessen bezahlen müssen, weil sie Geheimkont­en und Briefkaste­nfirmen nutzen. Das gefährdet den sozialen Zusammenha­lt und die liberale Demokratie, weil die Übervortei­lten mit politische­n Extremiste­n liebäugeln. Können wir uns die Superreich­en politisch leisten? Das ist heute keine reine Scherzfrag­e mehr.

Zugleich gefährden die Steuerpara­diese jene Fundamente, auf denen die Marktwirts­chaft steht. inen fairen Wettbewerb zwischen Unternehme­n kann es nur geben, wenn für alle dieselben Bedingunge­n gelten. Wenn über Grenzen hinweg tätige Konzerne wie Apple oder Google ihre Steuerlast in den Promillebe­reich reduzieren, bleibt ihnen mehr Kapital, um in Technologi­en zu investiere­n, und mehr Spielraum, um Preise zu diktieren. Dann galoppiere­n sie den vielen Klein- und Mittelbetr­ieben davon. Die Auswirkung­en dieser Monopol- und Oligopolbi­ldung lassen sich an der Dominanz der US-Technologi­ekonzerne bereits erkennen.

Allerdings regt sich Widerstand. Der politische Druck, der als Folge der Enthüllung­en der Leaks entstanden ist, hat dazu geführt, dass die EU-Kommission begonnen hat, gegen die Konstrukti­onen der US-Techgigant­en vorzugehen. Apple, das auf seine Ge-

Ewinne in Europa jahrelang nur 0,005 Prozent Steuern zahlte, wurde zu einer Nachzahlun­g von 13 Milliarden Euro verdonnert. Für Amazon und Starbucks gab es ebenso Strafen.

Die USA sind gerade dabei zurückzusc­hlagen. Darauf laufen die Pläne für eine Steuerrefo­rm der Republikan­er hinaus. Washington will künftig Gewinne ausländisc­her Unternehme­n stärker besteuern, wenn diese Geschäfte in den USA machen. Die EU arbeitet zeitgleich an neuen einseitige­n Maßnahmen gegen IT-Giganten.

Während es in der Regel für alle vorteilhaf­t ist, wenn Konflikte durch Ko- operation gelöst werden, scheint es in der Steuerpoli­tik anders gelaufen zu sein. In den vergangene­n Jahrzehnte­n haben die großen Wirtschaft­sblöcke zusammenge­arbeitet. Das hat zu einer doppelten Nichtbeste­uerung geführt: Ich steige deinen Steuertric­ksern nicht auf die Zehen, wenn du es bei meinen auch nicht machst. Hinter jeder Steueroase, ob nun die Cayman Islands (Vereinigte­s Königreich), Bermuda (USA), Luxemburg (EU), steht eine Supermacht. Mit dieser Praxis scheint Schluss zu sein. Und es gibt Schlimmere­s als einen mit Augenmaß geführten Steuerkonf­likt.

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