Der Standard

Kern, Kurz und das Mahnmal für die Juden

In Maly Trostinec soll ein Mahnmal für die unter Hitler dort ermordeten Wiener Juden errichtet werden. Der Plan droht zu scheitern, Kanzleramt und Außenminis­terium schieben sich gegenseiti­g die Verantwort­ung zu.

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Wien – In Wien erinnert eine im Boden eingravier­te Inschrift am Mahnmal für die österreich­ischen jüdischen Opfer der Schoah auf dem Judenplatz an Maly Trostinec: an jenen nahe Minsk gelegenen Ort im heutigen Weißrussla­nd, wo in der Nazizeit fast alle aus Wien deportiert­en Jüdinnen und Juden ermordet wurden – mehr als 10.000 Menschen. In der weißrussis­chen Hauptstadt Minsk gemahnt seit 2009 ein Gedenkstei­n im ehemaligen jüdischen Getto an sie.

In Maly Trostinec selbst hingegen, wo die weißrussis­che Regierung einen weitläufig­en Memorialko­mplex unweit des Wäldchens errichtet hat, in dem die Massenersc­hießungen stattfande­n, wird ihrer bis dato nicht gedacht. Und so, wie es derzeit aussieht, wird das bis auf Weiteres auch so bleiben – obwohl der österreich­ische Nationalra­t im Oktober 2016 einstimmig die Errichtung eines Grabmals in Maly Trostinec beschlosse­n hat.

Grund dafür: Die Konkretisi­erung sowie Finanzieru­ng des Projekts sind nach wie vor offen. Und die Frage, woher das Geld kommen soll, hat zu einem politische­n Hin- und Hergeschie­be geführt, kritisiert der scheidende grüne Bildungssp­recher Harald Walser auf Grundlage von parlamenta­rischen Anfragebea­ntwortunge­n.

Kern an Kurz – Kurz an Kern

Wenig ausführlic­h etwa fiel die Antwort von Bundeskanz­ler Christian Kern (SPÖ) auf eine erste Grünen-Anfrage aus. Ende Juni hatten Walser und Kollegen wissen wollen, „ob das Bundeskanz­leramt oder andere Ministerie­n“in Sachen „Umsetzung sowie Finanzieru­ng der Errichtung eines würdigen Denkmals für die aus Österreich stammenden Opfer bei Maly Trostinec in irgendeine­r Form tätig geworden“seien. „Diese Fragen betreffen den Vollzugsbe­reich des Bundesmini­sters für Europa, Integratio­n und Äußeres“, ließ Kern am 29. August 2017 wissen.

Wortreiche­r, wenn auch keineswegs ergebnisor­ientierter äußerte sich der damit Angesproch­ene, Außenminis­ter Sebastian Kurz (ÖVP), nach einer weiteren Grünen-Anfrage vom 31. August 2017. Bei dem Mahnmal handle es sich um ein „gesamtöste­rreichisch­es Projekt zum Gedenken an österreich­ische Holocausto­pfer“, antwortete Kurz. Um es zu errichten, bedürfe es eines „unter Federführu­ng des Bundeskanz­leramts herbeizufü­hrenden Grundsatzb­eschlusses, insbesonde­re auch hinsichtli­ch der zur Verfügung zu stellenden Mittel“, spielte er den Ball an Kanzler Kern zurück – und, so er selber Kanzler werden sollte, an sich selbst.

Sowohl Kern als auch Kurz hätten sich damit „über einen klaren Auftrag des Nationalra­ts hinweggese­tzt“, missbillig­t das der Grüne Harald Walser: „Das ist eine Missachtun­g des Parlaments durch die Regierung“, sagt er. „Besonders enttäusche­nd“sei das Wegdelegie­ren des Themas durch den bisherigen Regierungs­chef Kern. Denn es handle sich um eine Chefsache. (bri)

 ??  ?? 2016 und 2017 fanden zehn Märsche im Gedenken an die vor 75 Jahren in zehn Deportatio­nen nach Maly Trostinec in den Tod geschickte­n Wiener Juden statt. Sie endeten beim Denkmal auf dem Judenplatz.
2016 und 2017 fanden zehn Märsche im Gedenken an die vor 75 Jahren in zehn Deportatio­nen nach Maly Trostinec in den Tod geschickte­n Wiener Juden statt. Sie endeten beim Denkmal auf dem Judenplatz.

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