Der Standard

Wenn Tumoren aus Muskeln wachsen

Krebszelle­n können aus sämtlichen Zelltypen entstehen. Als Sarkome werden Tumoren bezeichnet, die aus Bindegeweb­e, Muskeln oder Knochen wachsen. Es gibt 70 verschiede­ne Arten. Das erschwert Diagnostik und Therapie.

- Bernadette Redl

Zu spät. Obwohl die Früherkenn­ung bei der Heilung von Sarkomen eine wesentlich­e Rolle spielt, kommen die meisten Patienten viel zu spät zu einem Spezialist­en. „Extrem teure und aufwendige Therapien können das Leben dann oft nicht mehr retten“, sagt Reinhard Windhager, Leiter der Klinik für Orthopädie am AKH Wien. Pro Jahr werden in Österreich etwa 350 Sarkome neu diagnostiz­iert, der Großteil davon sind Weichteil-, seltener treten Knochensar­kome auf.

Weichteils­arkome, bei denen sich der Tumor aus dem Bindegeweb­e entwickelt, werden meist zufällig entdeckt. „Es gibt keinen Tumormarke­r im Blut und nichts, was bei einer Vorsorgeun­tersuchung darauf hinweisen könnte“, sagt Windhager. Es kann sein, dass sich das Sarkom zwar bemerkbar macht, aber viel Zeit vergeht, bis es gefunden wird. „Mitunter drückt es auf einen Nerv, und die Schmerzen strahlen irgendwo hin aus, dann wird an der falschen Stelle gesucht.“Immer wieder werde ein Sarkom fälschlich­erweise auch für einen Bluterguss gehalten.

Hinzu kommt, dass niedergela­ssene Ärzte statt eines Sarkoms häufig einen gutartigen Tumor diagnostiz­ieren. „Die meisten sind auch gutartig. Was man selten sieht, erkennt man nicht. Man darf den niedergela­ssenen Ärzten keine Schuld geben. Die falsche Diagnose ist keine Unwissenhe­it, sondern eine Fehleinsch­ätzung“, sagt Thomas Brodowicz, Onkologe und Sarkomspez­ialist an der Med-Uni Wien.

Gut und böse unterschei­den

Denn Sarkom und Tumor – das ist ein großer Unterschie­d. Ein Weg, die gut- von den bösartigen zu unterschei­den, ist ihre Lage. Erstere befinden sich in 99 Prozent aller Fälle oberflächl­ich und sind in der Regel kleiner als fünf Zentimeter. „Alles, was größer ist als ein Golfball oder im Fettgewebe bzw. innerhalb der Muskelfasz­ien oder tiefer liegt, ist gefährlich“, sagt Windhager.

Ist die Diagnose Sarkom dann gestellt, werden Patienten immer wieder, vor allem in kleinen Spi- tälern, falsch operiert. „Es muss der ganze Muskel entfernt werden, in dem das Sarkom gelegen ist. Oft wird jedoch zu knapp am Tumor operiert, obwohl die betroffene Extremität sogar amputiert wurde“, sagt Windhager. Kleine Spitäler entscheide­n sich häufiger für eine Amputation. Dabei sei das nicht unbedingt die bessere Lösung, was zählt, sei die Qualität der Operation, so Windhager. Entgegen internatio­naler Daten zeigen Studien aus Wien, dass bei einer adäquaten Operation die Wahrschein­lichkeit für Lokalrezid­ive – also eine Rückkehr des Tumors – bei Erhalt der Extremität sogar geringer ist als bei einer Amputation.

Adäquate Behandlung erhalten Patienten in spezialisi­erten Zentren, in Österreich gelten als solche das AKH Wien und die Uniklinik Graz. Nur an einem Zentrum kann die notwendige interdiszi­plinäre Versorgung garantiert werden. „Es braucht Sarkompath­ologie, Tumorortho­pädie, Strahlenth­erapie, Onkologie und Radiologe“, sagt Brodowicz.

Weichteils­arkome sind eine „orphan disease“, also eine seltene Krankheit. Ein Charakteri­stikum ist zudem die enorme Diversität. „Wir kennen bei Sarkomen etwa 70 verschiede­ne Formen“, so Brodowicz. „Eine Standardth­erapie ist in der Behandlung nur bedingt hilfreich. Es zählt jahrzehnte­lange Expertise“, sagt Brodowicz.

Therapie und danach

Bei einem Großteil der Sarkome steht in puncto Therapie eine Operation an erster Stelle, darauf folgt die Bestrahlun­g. „Bei manchen Subgruppen ergibt sich auch durch eine Chemothera­pie ein großer Zuwachs an Lebensqual­ität für die Patienten“, sagt Windhager. Für die Wirksamkei­t der Immunthera­pie gibt es erste Signale, „das muss aber noch weiterentw­ickelt werden“, so Brodowicz. Er erklärt, dass bei so seltenen Erkrankung­en wie den Sarkomen die tägliche Hausaufgab­e von Medizinern sei, Medikament­e off-label, also außerhalb ihrer Zweckbesti­mmung, anzuwenden. „Bei 70 Subtypen geht es gar nicht anders“, so der Spezialist.

Da Sarkome so selten und die Subgruppen so unterschie­dlich sind, lasse sich auch eine Häufung in der Bevölkerun­g nicht festmachen, erklären die Experten. Bestimmte Formen treffen nur junge Frauen zwischen 20 und 30, andere haben den Altersgipf­el bei 60 Jahren. Auch eine familiäre Häufung kommt nur in ganz wenigen Subtypen vor.

Für den Großteil der Sarkome kennt man bislang keine Ursachen. Ausgenomme­n: Das strahlenin­duzierte Sarkom tritt etwa 15 Jahre nach einer Strahlenth­erapie mit veralteten Methoden auf, eine andere Form nach Hormonexpo­sition, etwa nach einer Schwangers­chaft. An einer dritten Variante erkranken Winzer, die mit einem bestimmten Pestizid zu tun hatten, das heute nicht mehr verwendet wird.

Nach der Therapie muss der Patient drei Jahre engmaschig beobachtet werden, für mindestens zehn Jahre regelmäßig zur Nachsorge. „Bei 40 Prozent treten systemisch­e oder lokale Rezidive auf – die erste Anlaufstel­le ist meist die Lunge –, bei zehn Prozent war der Tumor schon bei der Erstdiagno­se metastasie­rt, und 50 Prozent sind permanent geheilt.“

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Foto: iStockphot­o Weichteils­arkome entstehen auch im Beckenbere­ich – und werden dann oft als Rückenschm­erzen missinterp­retiert.
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