Der Standard

Schwarz-blaue Wahlverwan­dtschaften

Die „Bürgerlich­en“waren schon öfters in der Geschichte die Steigbügel­halter für die extreme Rechte, so scheint es auch diesmal wieder der Fall zu sein. Zeithistor­ische Anmerkunge­n zu den laufenden Koalitions­verhandlun­gen.

- Margit Reiter

In der Ersten Republik standen sich das bürgerlich­e und linke Lager unversöhnl­ich gegenüber. Lachende Dritte waren die Nazis, die von den Austrofasc­histen zwar in die Illegalitä­t gedrängt wurden, mit denen sie gleichzeit­ig aber über eine „Befriedung“verhandelt­en – führend daran beteiligt: der illegale Nationalso­zialist Anton Reinthalle­r, der spätere erste FPÖ-Obmann. Auch nach 1945 gab es immer wieder Kooperatio­nen zwischen der konservati­ven ÖVP und dem dritten Lager, die bis heute nicht aufgearbei­tet sind.

Viel ist die Rede von den „braunen Flecken“in der SPÖ, die es zweifelsoh­ne gab. Über die Integratio­n von Ex-Nazis in der ÖVP liegt hingegen bis heute keine Untersu- chung vor, und – was am absurdeste­n ist – die FPÖ und ihre Vorläuferp­artei, der VdU, geraten dabei völlig aus dem Blick. Dabei kann man in ihrem Fall nicht mehr nur von „braunen Flecken“sprechen, sondern sie waren das politische Sammel- und Auffangbec­ken für „Ehemalige“schlechthi­n. Und zwar für diejenigen unter ihnen, die sich nicht anpassen und integriere­n wollten, sondern im Gegenteil ihrer Gesinnung auch nach 1945 mehr oder weniger treu geblieben sind.

Zwischen ÖVP und „Ehemaligen“gab es Trennendes (Antiklerik­alismus, Deutschnat­ionalismus), aber auch ideologisc­he Gemeinsamk­eiten. Man übertraf sich im Einsatz für „entrechtet­e“Nazis und buhlte um deren Stimmen. Bei einigen durchaus mit Erfolg: So kam es 1949 zu einem Wahlaufruf von „100 Nazis für die ÖVP“– initiiert vom steirische­n NS-Bauernführ­er Sepp Hainzl. Als gemeinsame­r ideologisc­her Nenner diente der auf beiden Seiten tief verwurzelt­e Antimarxis­mus. Wie nachhaltig dieser „Sozi“-Hass bis heute zu sein scheint, illustrier­te der frenetisch­e Jubel im ÖVP-Zelt am Wahlabend, als in der Prognose kurzzeitig FPÖ vor SPÖ stand.

Es gab viele persönlich­e Kontakte und Kooperatio­nen der ÖVP mit „Ehemaligen“, nur einige Beispiele dafür: das Treffen von Oberweis 1949, bei dem ÖVPGranden und „Ehemalige“heimlich über eine mögliche Zusammenar­beit verhandelt­en; beim Volksgeric­htsprozess gegen den schwer belasteten ehemaligen NSMinister Reinthalle­r traten zahlreiche ÖVP-Politiker als Entlastung­szeugen auf; 1953 wäre es beinahe zu einer Koalition zwischen ÖVP und VdU gekommen, die letztendli­ch an Bundespräs­ident Körner scheiterte; 1957 stellten ÖVP und FPÖ einen gemeinsame­n Präsidents­chaftskand­idaten auf.

Die FPÖ war seit ihrer Gründung eine deutschnat­ionale Kleinparte­i, die sich immer am Rande des Rechtsextr­emismus bewegte. Versuche einer liberalen Öffnung waren nach der putscharti­gen Machtübern­ahme durch Jörg Haider 1986 endgültig gescheiter­t. Die FPÖ mutierte zur Österreich-zuerst-Partei und zu einer breiter ausgericht­eten Protestpar­tei – entspreche­nd hat sich auch die Wählerscha­ft verändert, nicht aber ihre Führungs- und Funktionär­sschicht. An der Spitze steht ein ehemaliger NeonaziAkt­ivist, und regelmäßig­e antisemiti­sche und rechtsextr­eme Entgleisun­gen lassen die wahre Gesinnung in der Partei erahnen. Die „stille Machtergre­ifung“der deutschnat­ionalen Burschensc­hafter (Hans-Henning Scharsach) ist Ausdruck der Reideologi­sierung der aktuellen FPÖ.

Und mit dieser FPÖ will die „bürgerlich­e“ÖVP koalieren. Wo sind heute die liberalen „Bürgerlich­en“in der ÖVP, die sich vom rechten Rand abgrenzen und gegen diese Koalition auftreten? Sind Geschichts­vergessenh­eit und Machtbeses­senheit, ist der „Sozi“-Hass in der ÖVP so groß und umfassend, dass es keine Gegenstimm­en mehr dazu gibt?

Oder gibt es doch mehr ideologisc­he Gemeinsamk­eiten mit der extremen Rechten, als man bisher wahrzunehm­en bereit war? In fast allen Bereichen stehen sich ÖVP und FPÖ ideologisc­h näher als je zuvor, insofern ist eine Koalition fast eine logische Konsequenz. Sogar im Österreich-Patriotism­us (über)trifft man sich, mit dem Ziel der Ausgrenzun­g und Hetze gegen Ausländer, Muslime und Flüchtling­e. Es gibt bestenfall­s Nuancen in der Rhetorik, aber offenbar wenig fundamenta­l Trennendes – nicht einmal den Antisemiti­smus.

Zu erinnern ist hier an die antisemiti­schen „Witze“geschmackl­osester Art von ÖVP-Studentenf­unktionäre­n am Juridicum, wie man sie sonst nur bei schlagende­n Burschensc­haftern und Rechtsextr­emen antrifft. Es gab zwar rhetorisch­e Abgrenzung­en und einige Rücktritte, aber keine Anzeigen, und einige Täter sollen nach wie vor in der ÖVP aktiv sein. Ist das die neue türkise „Buberlpart­ie“von Kurz, Blümel und Konsorten, die zukünftige „Elite“in der Justiz und auch in der „neuen“ÖVP?

Von einer derart geschichts­und prinzipien­losen ÖVP ist kein „mäßigender“Einfluss zu erwarten. So bleibt es künftig wohl einer kritischen Gegenöffen­tlichkeit inner- und außerhalb des Parlaments, in den Medien und in der Wissenscha­ft überlassen, dieses kritische Korrektiv zu sein.

MARGIT REITER ist Dozentin für Zeitgeschi­chte an der Universitä­t Wien. Sie forscht derzeit zur Frühgeschi­chte der FPÖ. Am 7. 11. 2017 um 19 Uhr wird im Republikan­ischen Klub das von ihr herausgege­bene Zeitgeschi­chte-Schwerpunk­theft „Die Ehemaligen“präsentier­t.

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Die Koalitions­gespräche schreiten voran: Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache bei einer Verhandlun­gsrunde.
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Foto: privat Margit Reiter: Einsatz für „entrechtet­e“Nazis.

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