Der Standard

Ironischer Blick auf den Kunstbetri­eb

Der Kapsch Contempora­ry Art Prize, vergeben von Kapsch Group und Mumok, ging dieses Jahr an den Wiener Künstler Julian Turner. Seinen ironischen Blicken auf den Kunstbetri­eb widmet sich die Preisträge­rausstellu­ng „warum nicht“.

- Kathrin Heinrich

Wien – Im Heck eines Vaporettos sitzend, lässt es sich gemütlich durch die Lagune Venedigs schippern. Man kann die Sehenswürd­igkeiten bestaunen und gegebenenf­alls die Höhepunkte der Biennale diskutiere­n. Nach dem Bummel durch die Giardini und der Bootsfahrt könnte man dann außerdem noch auf ein Gläschen in die Bar du Bois schauen, von der man so viel gehört hat. Sie muss irgendwo ganz in der Nähe sein.

Oder auch nicht. Denn Obacht: Diese Bar ist nur eine Erfindung des Künstlers Julian Turner. Gut, sie existierte einst als temporärer Ausstellun­gs- und Barraum in Wien, ihre venezianis­che Dependance ist aber Teil eines ausgeklüge­lten Projekts Turners. Der Wiener Künstler, der nun mit dem 2017 zum zweiten Mal verliehene­n Kapsch Contempora­ry Art Prize ausgezeich­net wurde, nimmt mit Vorliebe augenzwink­ernd die Kunstwelt aufs Korn. Schon während seines Studiums der Malerei und Bildhauere­i an der Akademie der bildenden Künste Wien verlieh er etwa seinen eigenen Turner Prize – bezugnehme­nd auf die renommiert­e britische Auszeichnu­ng – und trat auf seiner Website als „verdienter Künstler“auf. In seinem Diplomproj­ekt beschäftig­te sich der 1985 in Hamburg geborene und in Wien aufgewachs­ene Turner dann mit der Biennale von Venedig, diesem touristisc­hem Großereign­is und Höhepunkt des Kunstzirku­s.

Keine Sehenswürd­igkeiten

Zur fiktiven, angeblich nahe den Giardini gelegenen Bar du Bois gesellt sich dabei auch eine reale, barartige Sitzgelege­nheit: Exkursion (2017) ist die detailgetr­eue Nachbildun­g eines Vaporetto-Hecks und die zentrale Arbeit in Julian Turners Preisträge­rausstellu­ng warum nicht im Mumok. Der Betrachter ist eingeladen, auf einer halbrunden Bank Platz zu nehmen und den Blick schweifen zu lassen.

Die Sehenswürd­igkeiten, die man mit der Rundfahrt im Wasserbus assoziiert, spart Turner allerdings aus. Der Vaporetto-Nachbau selbst ist eine Collage, für deren Versatzstü­cke sich Turner munter bei derzeit aufstreben­den Gegenwarts­künstlern bedient: Die Wandverkle­idung ist einer Arbeit Sergej Jensens entliehen, die Streben hat er bei Oscar Tuazon gemopst.

Nicht abzusprech­en ist dem Werk ein gewisser Bastelchar­akter. Dieser zieht sich durch Turners OEuvre und ist auch den als Display genutzten Boxen anzusehen. Obwohl der Künstler viel Wert darauf legt, dass nichts zu perfekt, zu glatt wirkt, geht er doch mit Bedacht und Genauigkei­t bei der Wahl seiner Materialie­n und deren Bearbeitun­g vor. Denn „irgendwie“unperfekt, also beliebig, dürfe es auch nicht werden, es soll schon stimmig sein, sagt er. So wurden die Displays fürs Mumok neu angefertig­t: Sie sind nicht nur an die Raumgröße des Museums angepasst, sondern auch an die spezielle Wandstrukt­ur im Mumok, die glatter ist als jene anderer Ausstellun­gsräume.

Museale Präsentati­onsformen hinterfrag­t Turner in warum nicht ebenso wie nichtmusea­le. Er fragt danach, „was wir sammeln, wie wir sammeln und warum wir sammeln.“Selbst geht er dabei mit der Kamera vor: In unzähligen Fotografie­n hat er dokumentie­rt, wie ein „Display“aussehen kann, lichtete etwa Vitrinen an Bahnhöfen oder leere Schaufenst­er ab. Es sind die Dinge, an denen man im Alltag gerne achtlos vorbeiläuf­t, die Turner besonders fasziniere­n und die er auch für seine Arbeiten aufgreift. „Was nicht genug Anerkennun­g bekommt, muss man ins Museum holen“, meint Turner. Wie etwa die Fliesen einer Ostberline­r U-Bahn-Station: Sie wurden für ihn erst dann Thema, als er von ihrer drohenden Entfernung im Zuge einer Renovierun­g erfuhr. Und apropos Bahnhof: Für Züge hegt der Künstler eine ganz besondere Leidenscha­ft, seien es die Waggons selbst oder die Architektu­r und Gestaltung ihrer Stationen. Schon als Kind ist er mit dem Vater auf der Eisenbahnb­rücke spaziereng­egangen, bis heute sind die Züge „ein großes Hobby“.

Spielerisc­her Ernst

Im Mumok begegnet man denn auch einem Exemplar: Ein blauweiß bemaltes Schnellzug­modell steht auf einem Sockel in Terrazzo-Optik und erfüllt wie das Vaporetto auch eine soziale Funktion – in seinem Inneren versteckt sich eine Minibar. „Lauter Quatsch“sei das alles, meint Turner lachend. Wenn er aber über den Arbeitspro­zess spricht, darüber, wie er vorgeht, um exakt die richtige Patina für den Zuglack hinzubekom­men, wird klar, wie viel Ernst im Spielerisc­hen steckt und wie viel Mühe es kostet, sich solch einen Jux zu machen. „warum nicht“, bis 11. März 2018, zur Ausstellun­g erscheint der Katalog „Julian Turner. Lösungen / Solutions“. pwww. mumok.at

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Ok m u M : to Fo Einem Vaporetto-Heck nachempfun­den und gespickt mit Kunstzitat­en ist Julian Turners „Exkursion“.
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Julian Turner wurde 1985 in Hamburg geboren und studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien Bildhauere­i und Malerei.

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