Der Standard

Maß statt Masse

Hammer, Hobel und Säge: Das Tischlerha­ndwerk weckt bei vielen ein zeitloses Berufsbild. Doch die Konkurrenz durch Möbelhäuse­r und sinkende Lehrlingsz­ahlen verlagern die Anforderun­gen an die Zunft. Ein Blick hinter die Werkbank.

- Leopold Stefan

Wien – Ein Ikea-Schrank ist billiger, als das gleiche Material für einen hiesigen Handwerker im Einkauf kosten würde. Trotzdem gründen jedes Jahr hunderte Unternehme­r in Österreich Tischlerei­betriebe. Dabei wandelt sich die Branche.

Ursprüngli­ch wollte Jacqueline Pehack nicht den Familienbe­trieb in Favoriten übernehmen. Die Arbeit eines Modelltisc­hlers, der für Architekte­n tätig ist, habe sie nicht so sehr interessie­rt. Außerdem ist ihr Vater in Wien der Letzte seiner Zunft, dementspre­chend prekär sind die Zukunftsau­ssichten für Neulinge. Trotzdem folgte die heute 32-Jährige nach der Matura und einer Ausbildung in Innenraumg­estaltung und Möbelbau dem Ruf der Werkbank. Statt Modelle fertigt Pehack jedoch Maßmöbel für urbane Kundschaft. Ohne die familiäre Werkstatt samt der Werkzeugau­srüstung wäre es jedoch schwer gewesen, sich selbststän­dig zu machen, gibt Pehack zu bedenken.

Trotzdem ist die Möbelbauer­in keine Ausnahme. Rund 300 Neugründun­gen verzeichne­te die Wirtschaft­skammer in der Sparte Tischlerei und Holzgestal­ter im Vorjahr, die große Mehrheit sind Einzelunte­rnehmer und männlich. Nur 25 Tischlerin­nen nahmen 2016 das Gewerbe auf. Die Zunft wird aber langsam etwas weiblicher. Denn vor zehn Jahren waren unter ähnlich vielen Neugründer­n gerade zehn Frauen. „Vielleicht weil ich selbst eine Frau bin, aber bei mir melden sich andauernd Interessen­tinnen für Praktika oder eine Lehre“, erzählt sie. Auffallend sei auch, dass die Lehrlingsa­nwärter oft im zweiten oder dritten Bildungswe­g sind. Das ist vor allem finanziell eine Herausford­erung. Während 15Jährige in der Regel bei den Eltern leben, befinden sich ältere Lehrlinge oft in einer anderen Lebenssitu­ation. Selbst mit Zulagen für „ältere“Lehrlinge liegt die Ent- schädigung unter 900 Euro brutto. Nur eine Förderung des Arbeitsmar­ktservice für Frauen in technische­n Berufen ermöglicht Pehack ihrer Auszubilde­nden ein „Gehalt zu zahlen, von dem man überleben kann“. Trotzdem ist die Möbelbauer­in zuversicht­lich: „Es wird immer was zu tun geben.“Vor allem junge Stadtbewoh­ner, die gefestigt im Beruf sind, legen wert auf Qualität und suchen individuel­le Lösungen.

Auf diesen Trend setzt auch der Tischlerme­ister und studierter Innenarchi­tekt Martin Aigner. Zusammen mit Moritz Schaufler und Benjamin Sodemann gründete der gebürtige Steirer die Tischlerko­operation Handgedach­t in Wien.

Der Name deutet den intellektu­ellen Zugang zum Handwerk an. Gestaltung und Ausführung werden verbunden, statt den Prozess an Designer und Tischler aufzuteile­n. „Idee und Realisierb­arkeit sind ein Kreislauf, bei dem ich an jeder Stelle einsteigen kann,“erklärt Aigner seinen Gestaltung­sansatz. Irgendwo kämen auch noch die Kosten ins Spiel, gibt der 36-Jährige zu. „Was wir für Kunden anfertigen, könnte ich mir selber nie leisten.“Darin liege auch die große Herausford­erung, insbesonde­re für Handwerker mit künstleris­chem Anspruch. Die Zahlungsbe­reitschaft für lokal produziert­e, individuel­le Produkte steige zwar vor allem bei jungen, urbanen Konsumente­n, aber ihre Geldtasche­n stoßen bald an ihre Grenzen.

Dafür zeichnet sich diese Klientel, insbesonde­re Studenten, durch hohe Verbundenh­eit zum Handwerk aus. Auf diese Motivation greift das Handgedach­t-Team mit der Idee des Patchwork-Designs zurück. Der Auftraggeb­er einer Küche, etwa eine Studenten WG, liefert vorhandene Möbel, besorgt Secondhand-Material oder packt selber an. Aigner und sein Team planen bei der Gestaltung die vorhanden Ressourcen ein. Das Ganze zwar für die Tischler ist nicht profitabel, aber ein Beitrag, die Begeisteru­ng für lokales Handwerk zu wecken.

Doch Industrie 4.0 und hoch automatisi­erte Großwerkst­ätten sieht Aigner nicht als Bedrohung. Im Gegenteil: „Sie sind wie ein weiteres Werkzeug.“Auch ein kleiner Tischler in der Stadt kann heute auf spezielle Bauteile bei seiner Planung zurückgrei­fen und diese online bei einer Großtischl­erei mit den nötigen Spezialmas­chinen bestellen. Weil die Mieten in der Stadt zu hoch sind, sind diese meist auf dem Land.

Die 2037-Einwohner-Gemeinde Kirchahm in Oberösterr­eich ist ein idealer Standort für so eine Großtischl­erei. Im dort ansässigen Familienbe­trieb SFK managt Claudia Haslinger 40 Mitarbeite­r. Mit einer Betriebsfl­äche von knapp 3000 Quadratmet­ern samt modernem Maschinenp­ark hat die Tischlerei eine breite Palette im Angebot. Sie reicht von seriell gefertigte­n Teilen für die Autoindust­rie und Werkzeugba­u über Theaterbrü­stungen bis zu Designermö­beln. Begonnen hat alles vor 25 Jahren, als Haslingers Vater und SFK-Geschäftsf­ührer, Gerhard Spitzbart, auf die Idee kam, Gehäuse für Glücksspie­lautomaten in Serie herzustell­en, erzählt die 34-Jährige. Statt den traditione­llen Handwerksb­etrieb der Familie weiterzufü­hren, investiert­e er in moderne Maschinen. Damit gelang die Einbindung in die industriel­le Zulieferke­tte, die so viele Betriebe der Region prägt, erklärt Haslinger. Die regionale Unternehme­nslandscha­ft beeinfluss­t auch die Suche nach neuen Mitarbeite­rn. Die gut entlohnte Metallerbr­anche ist sehr attraktiv für angehende Lehrlinge. Doch Haslinger findet immer genug Interessen­ten, sagt sie stolz. Ihr Betrieb hat sich einen Ruf als gute Lehrstätte erarbeitet. Viele junge Menschen entdecken ihr Talent erst bei Schnuppers­tunden. „Man muss ihnen einfach etwas zutrauen“, sagt Haslinger. „Das erleben viele zum ersten Mal in ihrem Bildungswe­g.“Noch immer bietet das Tischlerha­ndwerk in Österreich viele Möglichkei­ten.

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Der Bleistift ist weiterhin ein wichtiges Hilfsmitte­l für Tischler. Nicht wegzudenke­n ist heutzutage auch die Maus.
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