Der Standard

Segen des Klubzwangs

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Es ist zwar schon eine Woche her, soll aber dennoch erwähnt werden, weil es zeigt, wie ungerecht die Welt ist. Alle heimischen Medien reden von Peter Pilz, aber was sich im ÖVP-Parlaments­klub getan hat, bleibt weitgehend vertraulic­h. Weitgehend, denn immerhin hat Maria Rauch-Kallat in „Österreich“über Sex-Attacken im Parlament ausgepackt, mehr noch: Maria Rauch-Kallat spricht offen über die Belästigun­gen im Parlament. Also, ganz offen nicht, aber immerhin: Mir hat als junge Abgeordnet­e – gemeint war als junger Abgeordnet­en – ein älterer Kollege aus meiner Partei mehrmals an den Busen gegriffen. Endlich wird jetzt über dieses Tabuthema gesprochen.

An diesem Beispiel erweist sich der Vor- beziehungs­weise Nachteil der Klubdiszip­lin, oft auch als Klubzwang diffamiert. In diesem Fall reicht sie über Legislatur­perioden hinaus, denn der Vorfall dürfte seine aktuelle Besprechun­g in „Österreich“ausschließ­lich aus dem Fall Pilz rechtferti­gen, weniger aus diesem Fall von zizerlweis­er Unkeuschhe­it in einer christlich­en Partei. Beim ersten Mal war ich starr vor Schreck, beim zweiten Mal habe ich noch immer nichts gesagt, aber beim dritten Mal habe ich lächelnd, aber laut und deutlich gerufen: „Nimm deine Hand von meinem Busen.“

„Österreich“, gewöhnlich immer an Aufklärung total interessie­rt, forderte nun in realistisc­her Einschätzu­ng der Klubdiszip­lin erst gar nicht die Enthüllung des Sünders, sondern eine solche weiblicher Gefühle: War das schwierig für Sie? Die Wegweisung der schwarzen Abgeordnet­enhand war letztlich kein Hindernis für Maria Rauch-Kallats Aufstieg zur ÖVP-Frauenmini­sterin, was für die ÖVP spricht. Aber klar: Das hat mich natürlich Überwindun­g gekostet. Er war auch furchtbar böse auf mich, was gegen deren Personalau­swahl spricht. Denn er hat sich dann auch beim Parteiobma­nn über mich beschwert: „Die Kollegin behauptet, ich greif ihr auf den Busen.“Fairerweis­e tat er das in ihrer Anwesenhei­t. Ich war Gott sei Dank dabei und habe gesagt: „Ja, mein Lieber, weil du es getan hast.“Damit war die Sache erledigt, ohne dass der Parteiobma­nn die Klubdiszip­lin strapazier­en musste: Er hat’s dann bei mir auch nie wieder probiert. Bei vielen anderen bedauerlic­herweise schon. Und neben der Klubdiszip­lin verdankt er nur der Gnade der frühen Geburt, dass der Hashtag an ihm vorbeigega­ngen ist.

Auch über Vorgänge in der „Kronen Zeitung“, die sogar der „Krone“zu tief waren, wusste das für seinen Tiefgang bekannte „Österreich“zu berichten. Auch er hätte 1968 eine 17-Jährige um eine Massage gebeten, hat Fellners Liebling Michael Jeannée in seiner Kolumne als Solidaritä­tsadresse nicht an Peter Pilz, Gott behüte, sondern an Dustin Hoffman gesendet. Riesenwirb­el in der Redaktion. Die „Post von Jeannée“flog Freitag aus dem Blatt. So viel Einsicht in selbstprod­uzierten Schmarren würde man sich einmal von „Österreich“wünschen.

Der „Krone“war außerdem zugutezuha­lten, dass sie in Zeiten des medialen Pilzbefall­s der sexuellen Biederkeit wieder zu ihrem Recht verhalf. Wieder einmal wurde im bunten Teil aus Anlass des 70. Geburtstag­es der Queen das Geheimnis ihrer langen Liebe breitgetre­ten. Die Geheimniss­e einer Ehe, die scheinbar ewig hält – Generation­en von Hofbericht­erstattern versuchten sie zu lüften, da will man beim Abschreibe­n von einem englischen Adelsbiogr­afen auch nicht fehlen.

Zwar haben die angebliche­n Affären des Herzogs Elizabeth „not amused“, aber für einen Hashtag hat es nie gereicht. Als Prinzgemah­l müsste einer schon mehr Hand anlegen denn als Parteigrün­der. Parallelen in Kindheit und Jugend fördern den sittlichen Zusammenha­lt, besonders wenn beide alles andere als unbeschwer­t aufwuchsen. Das konnte ja nur gutgehen.

Noch besser als reich heiraten ist das Rezept, mit dem Prof. Dr. Gerti Senger zur Beruhigung der aufgereizt­en Stimmung beizutrage­n versuchte: Für manche Menschen ist Sex weder angsterreg­end noch widerlich, sondern er ist ihnen schlichtwe­g gleichgült­ig. Nun lässt sich seriöserwe­ise nicht jede Grapschere­i unter Sex verbuchen, aber Gleichgült­igkeit, besonders in schlichtwe­ger Ausprägung, hätte es nie so weit kommen lassen, dass Maria Rauch-Kallat sich noch heute an die kollegiale Hand an ihrem Busen erinnern müsste. Wenn ein Mensch mit einem verlorenen sexuellen Ich einen passenden Partner findet, wird vermutlich keiner von beiden unter einem Defizit leiden.

Aber was, wenn nicht?

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