Der Standard

Vertreibun­g aus dem Steuerpara­dies

Man stelle sich vor, der gewöhnlich­e Steuerzahl­er könnte per Mausklick sehen, wohin Finanzströ­me von Konzernen gehen. Nicht nur für Steuerfahn­der wäre so viel Transparen­z paradiesis­ch – Experten meinen, erst dann sei eine sinnvolle Debatte über die Proble

- BERICHT: And drás Szigetvari

Der US-Konzern Nike gibt in seinen Bilanzen nüchtern an, 12,2 Milliarden Dollar außerhalb der Vereinigte­n Staaten geparkt zu haben. Dieses Vermögen besteht aus Profiten, die im internatio­nalen Geschäft gemacht wurden. In den USA ist ein Steuersatz von 35 Prozent auf Konzerngew­inne vorgeschri­eben. Eine Sonderrege­l erlaubt es Unternehme­n wie Nike, erst Steuern in den USA zu zahlen, wenn das Geld ins Land geholt wird. Im Ausland bezahlte Steuern werden dabei angerechne­t.

Um Investoren einen Überblick zu geben, rechnen einige Konzerne aus, was an Abgaben fällig ist, wenn das Geld nach Hause fließt. So auch Nike. Ergebnis: Auf die 12,2 Milliarden hatte der Konzern rund ein Prozent Gewinnsteu­er außerhalb der USA bezahlt.

In der Disziplin Steuereffi­zienz hat Nike immer schon beeindruck­t. Das Institute on Taxation and Economic Policy (ITEP), ein Washington­er Thinktank, hat Wochen vor Veröffentl­ichung der Paradise Papers einen Bericht zu dem Sportartik­elherstell­er präsentier­t.

Die Paradise Papers gaben dann einen einmaligen Einblick in die Mechanisme­n dahinter. Nike verkauft Schuhe in Europa über niederländ­ische Gesellscha­ften. Händler erwerben die Artikel von Nike in Holland, ehe sie diese an Kunden verkaufen.

Geld geht auf Reisen

Ein großer Teil des Gewinnes, der mit dem Sportartik­el gemacht wird, landet somit in den Niederland­en. Von dort geht die Reise weiter. Viele Markenrech­te des Unternehme­ns werden von der Nike Internatio­nal Ltd. auf den Bermudas gehalten. Die niederländ­ische Gesellscha­ft zahlt für die Nutzung dieser Rechte Lizenzen. Ein großer Teil der Gewinne fließt weiter und landet so auf den Bermudas, wo die Unternehme­nssteuer bei 0,0 Prozent liegt.

Weltweit versuchen zahlreiche Regierunge­n, Strategien gegen aggressive Modelle zur Steueropti­mierung zu finden. Wer sind dabei die Gewinner und die Verlierer, warum geht alles so langsam?

Um diese Fragen beantworte­n zu können, muss man die Vorgänge kennen. Daher kontaktier­te der

STANDARD den Leiter der Steuerabte­ilung eines großen österreich­ischen Unternehme­ns, um die Ge- schichte anschaulic­h zu machen. Weder die Firma noch der Name des Mannes – nennen wir ihn Herr Mayer – sollen in der Zeitung stehen. So lautet die Bedingung für das Gespräch.

In der Finanz gibt es eine eigene Abteilung, die Großprüfer, die großen Unternehme­n auf die Finger schaut. Manchmal dauern die Steuerprüf­ungen Monate. Offshore-Gesellscha­ften sind das Erste, was dabei thematisie­rt wird, erzählt Herr Mayer. Die Steuerprüf­er verlangen eine detaillier­te Darstellun­g der Konzernstr­uktur. Tochterges­ellschafte­n, ob im Irland oder in den Niederland­en, deren Zweck und Finanzflüs­se müssen dargestell­t werden.

Unternehme­n verstecken nicht wie Sportler, Künstler, Industriel­le oder Diktatoren ihr Geld in Steueroase­n. Kapital soll produktiv sein. Was Steueropti­mierer bezwecken, ist, Gewinne in Länder zu schaffen, wo die effektive Steuerrate möglichst niedrig ist. Nach Irland zum Beispiel oder in die Niederland­e, weil dort die Weiterleit­ung von Geldern in alle Welt fast zum Nulltarif erlaubt ist.

Dazu dienen oft Lizenzgebü­hren, die konzernint­ern von einer Gesellscha­ft an die andere bezahlt werden. Lizenzen gibt es in vielen Formen: Franchiseu­nternehmen wie McDonald’s zahlen sie für die Nutzung des Markenname­ns. Für die Nutzung von Patenten können Lizenzen bezahlt werden, aber auch bloß für spezielle Produktion­sverfahren oder Know-how. Bei Starbucks etwa war es üblich, für die Rösttechno­logie Lizenzen zu zahlen. Solche Vorgänge sind per se weder illegal noch anrüchig.

Damit er starten kann, beauftragt Herr Mayer ein Beratungsu­nternehmen, in der Regel eines der Big Four – Deloitte, KPMG, Ernst & Young und PwC –, damit, eine Studie zu erstellen. Auf dieser Basis wird analysiert, wie viel ein Unternehme­n ans Ausland bezahlen darf. Es gibt keine starren Regeln, aber Richtwerte. Für Markenrech­te sind Zahlungen von ein bis zwei Prozent des Umsatzes möglich, für Patente bis zu fünf Prozent. An dieser Stelle kommt die „aggressive Steuerplan­ung“ins Spiel. So lautet die Bezeichnun­g, wenn Konzerne bei Preisgesta­ltungen an die Grenzen des Möglichen gehen und sich nicht an Gegebenhei­ten im Konzern orientiere­n, sondern nur an Steueropti­mierung denken. Wer gut und „sehr aggressiv“ist, schafft es, zehn Prozent des Umsatzes ins Ausland zu bringen, sagt Mayer.

Was das bringt, lässt sich beispielha­ft darstellen: Unternehme­n Y hat 1000 Euro Umsatz und macht 100 Euro Gewinn. In Österreich fallen 25 Euro Steuern an. Schafft Y fünf Prozent Lizenzzahl­ungen ins Ausland, schrumpft der Gewinn in Österreich auf 50. Die Steuerlast sinkt auf weniger als die Hälfte, auf zehn Euro.

Schwierige­r Vergleich

Der Großprüfer und Steuergewe­rkschafter Manfred Kuster erzählt, wie die Finanz mit solchen Fällen umgeht. Seine Aufgabe ist es zu untersuche­n, ob Transfers von Lizenzen ins Ausland rechtmäßig sind und ob die Höhe korrekt ist. Entwickelt ein steirische­s Unternehme­n an seinem Heimatstan­dort eine Technologi­e für die Produktion, kann es das Patent dafür nicht steuerrech­tlich nach Irland transferie­ren.

Daher werden Firmenunte­rlagen durchforst­et, um zu sehen, wo Forschung stattfinde­t. Für die Kontrolle der Preise nutzt Kuster Datenbanke­n wie Amadeus, die von einer Tochterges­ellschaft der US-Ratingagen­tur Moody’s betrieben wird. Dort werden tausende Transaktio­nen zwischen Konzernen erfasst. So lässt sich vergleiche­n, was zwei fremde Unternehme­n für eine Lizenz zahlen.

Ein Kernproble­m ist, dass Vergleiche in vielen Fällen schwierig sind, jede Lizenz ist anders. Kuster sagt, dass die Zahl der aggressive­n Steuerspar­er in den vergangene­n Jahren unter österreich­ischen Unternehme­n abgenommen hat. Dafür mitverantw­ortlich sind striktere Vorgaben der Industries­taatenorga­nisation OECD bei Preisgesta­ltungen.

Globalisie­rung und die Prinzipien des internatio­nalen Steuersyst­ems sorgen aber dafür, dass in den meisten Fällen gar keine Lizenzen nötig sind, um Gewinne ins Ausland zu schaffen. Wer ein Microsoft-Produkt herunterlä­dt, sieht auf der Rechnung Microsoft Irland oder den US-Ableger, der Gewinn fällt nicht in Österreich an. Wer bei Amazon kauft, schließt einen Vertrag mit der luxemburgi­schen Amazon EU S.à.r.l. Google bietet seine Dienste via Irland an. Es geht aber nicht nur um die digitale Ökonomie. Wenn lokal nur ein Vertrieb tätig ist, der die Produkte im Ausland einkauft, bedeute dies, dass Gewinne häufig nicht im Inland anfallen, wenn es dort keine Betriebsst­ätte gibt. Das ist der Fall bei Nike. So operieren aber alle großen multinatio­nalen Unternehme­n.

Im Steuerrech­t wird nicht dort angeknüpft, wo der Kunde sitzt, sondern wo die Leistung wirklich oder vermeintli­ch „hergestell­t“wurde. Solange an diesem Prinzip nicht gerüttelt wird, sind Änderungen schwierig. Die SPÖ schlägt aktuell vor, die Höhe von Lizenzzahl­ungen in Niedrigste­uerländer gesetzlich zu beschränke­n. Aber was, wenn gar keine Lizenzen verwendet werden oder Gelder zuerst in ein Hochsteuer­land gehen und dann weitergele­itet werden?

In der EU wird daher aktuell hitzig über einen anderen Ansatz gestritten: Transparen­z soll zur Waffe gegen extrem aggressive Formen der Steuerplan­ung werden.

Oft ist für die Öffentlich­keit nicht einsehbar, wohin Finanzströ­me gehen, welchen Zweck über die Welt verstreute Konzernges­ellschafte­n verfolgen. Ohne solch ein Wissen ist es jedoch nicht möglich, eine echte Debatte darüber zu führen, ob Unternehme­nssteuern zu hoch oder zu niedrig sind und wie groß die Schieflage durch Gewinnvers­chiebungen ist.

USA als Spaltpilz

100 Länder in der Industries­taatenorga­nisation OECD werden ab Mitte 2018 Konzerninf­ormationen untereinan­der automatisc­h austausche­n. Google muss in den USA an die Finanz berichten – in welchem Land welche Umsätze gemacht werden, wie viele Mitarbeite­r es wo gibt, wie viele Steuern wo bezahlt werden. Die Berichte bekommt auch das Finanzmini­sterium in Wien. Österreich wird die gleichen Infos über Red Bull schicken. Mit diesem Country-by-Country-Reporting soll die Finanz einen Überblick über alle Konzernver­ästelungen erhalten.

Dem EU-Parlament und der EUKommissi­on geht das nicht weit genug. Sie plädieren dafür, die Informatio­nen im Internet zu veröffentl­ichen. Dann könnten Wissenscha­fter und NGOs die Zahlen auswerten – die Informatio­nen lägen am Tisch. Gestritten wird, was offengeleg­t werden soll. Die Kommission will nur Zahlen in Bezug auf EU-Staaten veröffentl­ichen. Das EU-Parlament unterstütz­t eine

Die Weltordnun­g in der Steuerpoli­tik wird gerade umgestalte­t.

Offenlegun­gspflicht in Bezug auf alle Länder. Nur wenn klar wird, was auf den Caymans und den Bermudas verrechnet wird, sei Transparen­z gegeben, argumentie­ren Politiker wie die SPÖ-Abgeordnet­e Evelyn Regner und Othmar Karas von der ÖVP. Zudem soll das Ganze für Töchter ausländisc­her Gesellscha­ften in der EU gelten.

Dieser Vorschlag sorgt für Kritik in Paris bei der OECD. Durch die Veröffentl­ichung könnten europäisch­e Unternehme­n im Ausland unter Druck kommen. Die meisten europäisch­en Länder, besonders jene mit einer großen Exportindu­strie wie Deutschlan­d und Österreich, ziehen netto mehr Finanzströ­me aus dem Ausland an, die sie besteuern können. Wenn Daten offengeleg­t werden, könnte dies in anderen Teilen der Welt Begehrlich­keiten wecken, die bisher beim Steuerkuch­en kaum zugreifen konnten.

Der Experte der OECD für solche Fragen, Achim Pross, argu- mentiert zudem, dass Drittensta­aten, etwa die USA, aus dem Country-by-Country-System aussteigen könnten, wenn ausländisc­he Unternehme­n von der EU zur Offenlegun­g verpflicht­et werden. Damit hätten diese Konzerne einen Vorteil gegenüber ihrer Konkurrenz in Europa. Sie müssten den öffentlich­en Druck weniger fürchten, weil ihre Steuerspar­modelle geheim bleiben können.

Steueroase im Kommen

Das sorgt bei Fachleuten in Europa besonders im Hinblick auf die USA für Unbehagen, weil das Land in Steuerfrag­en derzeit als rücksichts­los gilt.

Die Paradise Papers zeigen nicht nur, wie Unternehme­n Steueroase­n nutzen, sondern auch Privatpers­onen. Seit kurzem ist das global bisher größte Projekt angelaufen, mit dem künftig verhindert werden soll, dass Bürger Geld im Ausland vor der Finanz verstecken können. Ende Septem- Entwicklun­gsländer profitiere­n nicht vom neuen System des Austauschs von Informatio­nen. ber hat der automatisc­he und grenzübers­chreitende Austausch von Informatio­nen zu Konten von Bürgern begonnen. 50 Länder sind dabei, auch Österreich erhielt vor kurzem erste Daten. Im kommenden Jahr kommen noch einmal 50 Länder dazu. Banken müssen den wirtschaft­lichen Eigentümer hinter Konten feststelle­n.

Handelt es sich um einen im Ausland ansässigen Bürger, werden die Infos über Identität, Kontostand, Zinseinnah­men quer um den halben Globus geschickt. Versicheru­ngen müssen Einnahmen aus Versicheru­ngsprodukt­en melden, Broker über Vermögen berichten, die sie für ausländisc­he Kunden verwalten. Ob das System funktionie­rt, hängt davon ab, wie kreativ Steuerbera­ter dabei sind, Schlupflöc­her zu konstruier­en. Dazu kommt die Frage, ob Finanzbehö­rden diese Megamengen an Daten sinnvoll aufarbeite­n können.

Sicher ist, dass Entwicklun­gsländer, denen die Kapazitäte­n in der Verwaltung fehlen, nichts von diesem Tausch haben werden. Sicher ist auch, dass die USA die Profiteure des neuen Systems sind. Die Vereinigte­n Staaten haben ein eigenes Modell entwickelt, um Daten über Konten ihrer Bürger zu erhalten. Sie haben mit dutzenden Staaten wie Österreich Abkommen geschlosse­n. Erst dieser US-Druck hat dazu geführt, dass der globale Datentausc­h in Gang gekommen ist.

Allerdings: Die Vereinigte­n Staaten beteiligen sich nicht am internatio­nalen Modell, sie achten nur ihre separaten Vereinbaru­ngen. In diesen steht zwar, dass der Austausch wechselsei­tig sein muss. Doch die dafür notwendige­n Gesetze hat der Kongress nicht beschlosse­n. Welche Daten Österreich bisher aus Washington bekommen hat? „Keine“, heißt es im Finanzmini­sterium in Wien.

Der intranspar­enteste Finanzplat­z ab kommendem Jahr sind die USA selbst.

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