Der Standard

Fall Gurlitt: Der wahre Kunstskand­al

2012 wurde Cornelius Gurlitts Privatsamm­lung wegen des Verdachts der Steuerhint­erziehung und Geldwäsche beschlagna­hmt. Eine Doppelauss­tellung in Bonn und Bern zeigt jetzt erstmals Teile des als „Nazi- Schatz“diffamiert­en Bestandes.

- Olga Kronsteine­r

Apotheke, Hemd gewaschen, Wohngeld Hypo Vereinsban­k: Stichworta­rtig protokolli­erte ein gewisser Cornelius Gurlitt seinen Alltag, der 2013 von einem Tag auf den anderen völlig aus den Fugen geriet. Am 3. November war im Focus unter dem Titel „Der Nazi-Schatz“ein Bericht zu seiner Kunstsamml­ung erschienen, die bayerische Zollbeamte ein Jahr zuvor in seiner Wohnung in München-Schwabing beschlagna­hmt hatten.

Die Rede war von etwa 1500 Objekten im Wert von einer geschätzte­n Milliarde Euro, die einst als „entartete Kunst“konfiszier­t oder jüdischen Sammlern entzogen worden waren. Sie hatten einst Gurlitts Vater Hildebrand gehört, ehedem „Chefeinkäu­fer für Adolf Hitler“. „Wüste Klingel-Tumulte“, notierte der 80-Jährige am 4. November, vier Tage später „Karstadt Schwabing, Verhör – Angriffe auf der Straße“. Der Auftakt einer medialen Hetzjagd, wie diese Kalenderei­nträge dokumentie­ren.

Nahezu auf den Tag genau vier Jahre später eröffneten das Kunstmuseu­m in Bern und die Bundeskuns­thalle in Bonn unter dem Übertitel „Bestandsau­fnahme Gurlitt“zwei Ausstellun­gen. Erstmals sind nun 410 Kunstwerke dieser Sammlung öffentlich zu sehen: In Bern thematisie­rt man anhand 160 Werken das Kapitel „Entartete Kunst – beschlagna­hmt und verkauft“(bis 4. 3. 2018), in Bonn beleuchten 250 Arbeiten den Aspekt „NS-Kunstraub und die Folgen“(bis 11. 3. 2018).

Gurlitt als Kurator

Sieht man von den aktuell dazu berufenen Kustoden ab, führte genau genommen Familie Gurlitt Regie. 1956 war Vater Hildebrand verstorben und hatte eine Melange aus privatem Kunstbesit­z und Restbestän­den seines Depots als Kunsthändl­er hinterlass­en: etwa unter dem Begriff „entartete Kunst“geläufige Arbeiten verfemter deutscher Avantgarde, die 1937 aus deutschen Museumsbes­tänden entfernt worden waren.

Händler wir Gurlitt verkauften sie gegen Devisen für die Nazis teils ins Ausland. Dazu gehörten aber auch Trouvaille­n französisc­her Impression­isten, die er zwischen 1941 und 1944 auf dem Kunstmarkt im besetzten Frankreich erworben hatte.

Der Schweizer Handel

Seinen Nachfahren sicherte diese Sammlung die Existenz. Immer wieder wurden Kunstwerke verkauft, „zaubern“, nannte man diese Form der Verwertung in der Familie. Sohn Cornelius tat dies wahlweise über den deutschen, dann wieder über den Schweizer Handel. Erlöse aus Verkäufen in der Schweiz verblieben auf Konten ebendort und wurden bei Be- darf behoben. Auf diese Weise war Gurlitt bei einer Personenko­ntrolle im Zug von Zürich nach München 2010 ins Visier der Steuerfahn­der geraten. Die nachfolgen­den Ermittlung­en wegen des Verdachts der Steuerhint­erziehung und Geldwäsche im Zusammenha­ng mit NS-Raubkunst führten zur Beschlagna­hme. Die Durchsuchu­ng von Gurlitts Haus in Salzburg-Aigen, die auf Wunsch der deutschen Behörden im Februar 2012 zeitgleich hätte erfolgen sollen, wurde von der Staatsanwa­ltschaft in Salzburg übrigens rundheraus abgelehnt. Kurz gesagt, weil eine solche Maßnahme in keinem Verhältnis zu den erhobenen Vorwürfen stand.

Nach Bekanntwer­den der Causa meldeten sich internatio­nale Experten zum vermeintli­chen Raubkunstb­estand und appelliert­en an die Verantwort­ung Deutschlan­ds, sich endlich dieses Kapitels seiner Vergangenh­eit anzunehmen. Die Behörden kalmierten, versprache­n Aufklärung und riefen eine Taskforce ins Leben. Bei etwa 590 Werken bestehe der Verdacht einer verfolgung­sbedingten Entziehung während der NS-Zeit, innert eines Jahres wolle man deren Herkunft unter die Lupe nehmen und klären.

„Kunstfund“

So ambitionie­rt wie naiv. Und ein Beleg dafür, wie wenig Ahnung die Verantwort­lichen von Provenienz­forschung hatten. Denn der Bestand setzt sich hauptsächl­ich aus Grafiken und Arbeiten auf Papier zusammen, die, wenn überhaupt, nur dürftig dokumentie­rt sind. Die lückenlose Rekonstruk­tion der Besitzerch­ronik ist in dieser Kategorie mangels Quellenlag­e schwierig bis unmöglich. Dies ist erwiesen, wie die Bilanz nach vier Jahren zeigt.

Hunderte Posten wurden aussondier­t: Teils handelte es sich um Arbeiten künstleris­ch tätiger Mitglieder der Familie Gurlitt, teils hatte man im Übereifer auch Passeparto­uts oder Kalenderbl­ätter inventaris­iert. Gerade einmal sechs Kunstwerke wurden bislang zweifelsfr­ei als NS-Raubkunst identifizi­ert und teils restituier­t. Für 696 Kunstwerke (Stand August) sei laut Projektlei­tung nach wie vor „ein NS-Raubkunstv­erdacht nicht auszuschli­eßen“. Daran arbeitet man sich nun ab. Laufende finanziell­e Zuwendunge­n der öffentlich­en Hand sichern Forschung und Arbeitsplä­tze.

Auch das ist ein Nebeneffek­t der Legende vom Nazi-Schatz, die, wie Recherchen des Autors Maurice Philip Remy belegen, von Ermittlern lanciert wurde: um den tatsächlic­hen Skandal der juristisch umstritten­en Beschlagna­hme von Privateige­ntum zu kaschieren. Darüber sollte der verharmlos­ende, in der Causa Gurlitt bis heute geläufige Begriff „Kunstfund“nicht hinwegtäus­chen.

 ??  ?? Als Cornelius Gurlitt 2014 verstarb, vererbte er seine Sammlung dem Kunstmuseu­m Bern: Otto Muellers Aquarell „Liegender weiblicher Akt am Wasser“galt in der NS-Zeit als „entartete Kunst“.
Als Cornelius Gurlitt 2014 verstarb, vererbte er seine Sammlung dem Kunstmuseu­m Bern: Otto Muellers Aquarell „Liegender weiblicher Akt am Wasser“galt in der NS-Zeit als „entartete Kunst“.

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