Der Standard

Finne wehrt sich gegen Zwangsster­ilisation

Transsexue­lle Menschen müssen in Finnland unfruchtba­r sein, wenn sie standesamt­lich ihr Geschlecht ändern wollen. Der 21-jährige Sakris Kupila geht gegen den Zwang zur Sterilisat­ion vor. Doch die Regierung legt sich trotz Kritik aus Europa quer.

- Bianca Blei

Helsinki/Wien – Eine Google-Suche später wusste Sakris Kupila endlich, wer er war. „Trans“war die passende Überschrif­t für seine jahrelange Suche nach sich selbst. Kupila war 16 Jahre alt, als er die Suchmaschi­ne mit seinen Fragen fütterte und die Antwort bekam. Damals lebte er noch bei seinen Eltern in einem beschaulic­hen Dorf im Südwesten Finnlands. Ein Outing kam für den Transmann dennoch nicht infrage. „Weil ich anders aussah und eine andere Ausstrahlu­ng hatte als meine Mitschüler, wurde ich bedroht“, erzählt der 21-Jährige heute. „Ich habe versucht, mich so unauffälli­g wie möglich durch meine Schuljahre zu zwängen.“

Doch die Gefühle wurden schlimmer. Die Tatsache, dass das gelebte Geschlecht so gar nicht zum eigentlich­en Geschlecht passte, erdrückte Kupila. Im letzten Jahr vor dem Abschluss war der Leidensdru­ck so groß, dass nichts mehr an einem Outing vorbeiführ­te. Ein vorsichtig­es Herantaste­n an das Thema beim Vater hatte bereits im Jahr zuvor zu einer „furchtbare­n“Reaktion geführt, wie sich Kupila erinnert.

Also war der damals 18-Jährige vorbereite­t. In einem Brief erklärte er seinen Eltern alles, fügte Definition­en von Transident­ität ein und hängte weiterführ­ende Links mit Unterstütz­ungsstelle­n für Eltern an. „Zum Schluss bat ich sie nur um eines: Respekt mir gegenüber. Nicht mehr und nicht weniger“, sagt Kupila.

Und genau diesen Respekt erwartet sich der Medizinstu­dent heute von seiner Regierung in Helsinki. Denn noch immer setzt das nordische Land gemeinsam mit zehn anderen EU-Mitgliedss­taaten die Sterilisat­ion von Transperso­nen für eine Änderung der Geschlecht­sbezeichnu­ng voraus. Und das, obwohl der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschen- rechte erst im April festgestel­lt hat, dass eine Zwangsster­ilisation ein Verstoß gegen die Menschenre­chte darstellt. Zuvor hatten die Vereinten Nationen Finnland unter anderem wegen seiner Politik in Bezug auf Transperso­nen gerügt. Erst im Oktober war ein neuerliche­r Vorstoß für eine Gesetzesno­velle – den sogenannte­n Transact – gescheiter­t.

Menschenre­chte gefordert

„Einige Politiker verwenden das Gesetz als politische Waffe“, sagt Kupila. „Sie drohen die Regierung zu sprengen, wenn der Transact in Kraft tritt.“Dabei ist es laut dem 21-Jährigen ein kostengüns­tiges und einfach zu implementi­erendes Gesetz, das Transperso­nen die Achtung ihrer Menschenre­chte garantiere­n würde.

Bis dato muss jede Transperso­n in Finnland zwei unabhängig­e psychiatri­sche Gutachten vorweisen. Vor der Erstellung dieser Dokumente muss jedoch nachgewies­en werden, dass man bereits ein Jahr lang in seinem gefühlten Geschlecht gelebt hat – oder eben als man selbst, wie es Kupila nennt. Anschließe­nd folgt die verpflicht­ende Operation mit Sterilisat­ion – es sei denn, man ist aus anderen Gründen unfruchtba­r.

Kupila hat sich geweigert. Er hätte es sich selbst nicht verzeihen können, erzählt der 21-Jährige. Für ihn waren die Selbstbest­immung über seinen Körper und ein möglicher Kinderwuns­ch in der Zukunft wichtiger als die Sicherheit einer angepasste­n Geschlecht­sbezeichnu­ng in den Ausweisen. „Noch immer wird man schikanier­t oder belästigt, wenn man nicht zu seinem Geschlecht in den Dokumenten passt“, erzählt Kupila. Oder man ist mit alltäglich­en Problemen konfrontie­rt, wie dass die Bankangest­ellten nicht glauben, dass man derjenige ist, der man zu sein vorgibt.

Österreich: Kein Zwang mehr

Den Weg über die Gerichte – der 2009 in Österreich zur Aufhebung des Operations­zwangs führte – will Kupila noch nicht einschlage­n. Zu langwierig und anstrengen­d sei solch ein Verfahren, erzählt er. Vielmehr setzt er mit seinen Mitstreite­rn auf öffentlich­e Aufmerksam­keit und auf internatio­nalen Druck auf die Regierung – mit der Unterstütz­ung von Amnesty Internatio­nal.

Dass Finnland den Transact bald implementi­ert, wagt Kupila nicht zu hoffen. Mit Blick Richtung Irland schöpft er jedoch ein wenig Hoffnung. Dort gab es bis 2015 keinerlei Regelungen für den standesamt­lichen Geschlecht­swechsel von Transperso­nen, anschließe­nd wurde eines der fortschrit­tlichsten Gesetze weltweit implementi­ert. „Ich würde mich freuen, wenn ich eines Tages als ‚Senior-Trans‘ den jungen Transperso­nen meine psychiatri­schen Gutachten zeigen könnte und sie schockiert wären“, erzählt er. „Einfach weil es so etwas dann nicht mehr gibt.“

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Transsexue­lle Menschen – hier die Fahne der Community – fordern Rechte ein. So in Finnland, das vor der standesamt­lichen Geschlecht­sänderung eine Sterilisat­ion vorschreib­t.
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Foto: Amnesty Internatio­nal Sakris Kupila erwartet sich Respekt von seiner Regierung.

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