Der Standard

Schiedsger­ichte: Vertraulic­hkeit muss vereinbart werden

In vielen Schiedsord­nungen gibt es keinen Automatism­us zu Geheimhalt­ungspflich­ten

- Niamh Leinwather, Désirée Prantl

Wien – In der Wirtschaft hat sich die Schiedsger­ichtsbarke­it aufgrund ihrer praktische­n Vorteile als Alternativ­e zur staatliche­n Gerichtsba­rkeit etabliert. Schließen Unternehme­n eine Schiedsver­einbarung ab, entscheide­t ein privates Schiedsger­icht über ihre Streitigke­iten. Unternehme­n können so die Austragung von Konflikten nach ihren Vorstellun­gen mehr oder weniger frei gestalten.

Die Schiedsger­ichtsbarke­it ist nicht nur effiziente­r und kostengüns­tiger, sie kann auch vertraulic­h geführt werden. Unternehme­n haben häufig das Bedürfnis, Streitigke­iten nicht öffentlich auszutrage­n. Der Hauptgrund ist die Bewahrung von Geschäfts- und Betriebsge­heimnissen – geheime technische Lösungen oder betrieblic­he Daten und Kalkulatio­nen –, aber gegebenenf­alls auch die Vermeidung von Reputation­sschäden etwa aufgrund eines blo- ßen Vorwurfs der Korruption oder Untreue. Schiedsver­fahren sind in der Regel insofern vertraulic­h, als sie unter Ausschluss der Öffentlich­keit durchgefüh­rt werden und Schiedsurt­eile grundsätzl­ich nicht veröffentl­icht werden.

Allerdings gibt es in der Schiedsger­ichtsbarke­it keinen Automatism­us der Vertraulic­hkeit; „strenge Vertraulic­hkeit“ist per se kein selbstvers­tändlicher Bestandtei­l eines Schiedsver­fahrens. Im Gegenteil: Bestand, Adressaten­kreis und Umfang der Vertraulic­hkeitspfli­cht sind häufig mangels ausdrückli­cher Regelung nicht klar. Daher sind Parteien gut beraten, im konkreten Einzelfall zunächst intern bzw. mit ihren Rechtsvert­retern zu prüfen, inwiefern ein Vertraulic­hkeitsbeda­rf besteht, um in der Folge mit der Gegenseite eine explizite Vereinbaru­ng abzuschlie­ßen. Dies kann im Vertrag selbst oder zu Beginn eines Verfahrens erfolgen.

Schiedsins­titutionen

Ob ein Verfahren vertraulic­h bleibt, hängt auch von den Regeln der angerufene­n Schiedsins­titution ab, etwa die Internatio­nalen Handelskam­mer in Paris (ICC). In Österreich führt das Internatio­nale Schiedsger­icht der Wirtschaft­skammer Österreich (VIAC) Schiedsver­fahren nach den Wiener Regeln. Einen einheitlic­hen Vertraulic­hkeitsstan­dard gibt es dabei nicht.

So haben die Wiener Regeln keine ausdrückli­che Vertraulic­hkeitsrege­lung. Nach der ICCSchieds­gerichtsor­dnung kann eine Partei beantragen, dass das Schiedsger­icht Verfügunge­n zur Wahrung der Vertraulic­hkeit des Schiedsver­fahrens erlässt oder Maßnahmen zum Schutz von Geschäftsg­eheimnisse­n und vertraulic­hen Informatio­nen ergreift. An- dere Institutio­nen sehen wiederum von vornherein Vertraulic­hkeitsbest­immungen vor, die alle am Schiedsver­fahren Beteiligte­n (nicht aber Zeugen und Sachverstä­ndige) zu umfassende­r Vertraulic­hkeit verpflicht­en – sogar hinsichtli­ch der Existenz des Schiedsver­fahrens.

Know-how schützen

Die Tragweite der Vertraulic­hkeitsthem­atik lässt sich an einem Streit zwischen einem marktführe­nden Hersteller aus der Steiermark und seinem ungarische­n Subliefera­nten ersehen. Der Hersteller hatte ein Interesse daran, Geschäftsg­eheimnisse und Knowhow – beides hat er dem Subliefera­nten durch die Einbindung in den Produktion­sprozess teilweise zugänglich gemacht – zu schützen. Ein Nach-außen-Dringen dieser Informatio­nen könnte Wettbewerb­snachteile, Umsatzeinb­ußen und Kundenverl­uste bedeuten. Um zu verhindern, dass geheimes Know-how oder Kosten und Margen von Produkten Konkurrent­en bekanntwer­den, etwa weil die unterliege­nde Seite sie aus Enttäuschu­ng weitergibt, wurden Vertraulic­hkeitspfli­chten vereinbart.

Verletzt der Subliefera­nt nun während des Schiedsver­fahrens die Vertraulic­hkeitsverp­flichtunge­n, kommen als Sanktion schiedsger­ichtliche Verfügunge­n zur Unterlassu­ng von (weiteren) Offenlegun­gen infrage. Für Verletzung­en nach Abschluss des Schiedsver­fahrens wird der Hersteller auch Schadeners­atzansprüc­he geltend machen können.

NIAMH LEINWATHER und DÉSIRÉE PRANTL sind Principal Associates in der Praxisgrup­pe Konfliktlö­sung bei Freshfield­s Bruckhaus Deringer in Wien. niamh.leinwather@freshfield­s.com, desiree.prantl@freshfield­s.com.

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