Der Standard

Brennender Pudding

Wien Modern: Neue Oper Wien mit „Die Antilope“

- Stefan Ender

Wien – Victor hat’s nicht leicht. Bei einem Firmenbesä­ufnis steht der Schüchtern­e abseits; wenig hilfreich für die Kontaktauf­nahme mit feierfreud­igen Kollegen ist auch, dass er eine Arie auf Antilopisc­h singt, nachdem sein Chef Nasenblute­n bekommen hat. Also springt er im 13. Stock aus dem Fenster. Äußerlich unversehrt begibt sich der Unverstand­ene auf einen albtraumha­ften Kurztrip: Er betätigt sich erfolglos in der Paartherap­ie und besingt auf Antilopisc­h liebeshung­rige Mütter.

Drei Doktoren diagnostiz­ieren eine „afrikanisc­he Depression“. Zu mitternäch­tlicher Stunde beschimpft Victor – nun auf Deutsch – im Park eine abstrakte Skulptur, die auf Schmähunge­n mit antilopisc­hem Gesang antwortet. In einem Zoo sucht der Außenseite­r Nähe und Annahme bei den Tieren, aber nicht einmal das wird ihm gegönnt. Im erneuten Durchleben der Bürofeierh­ölle schließt sich dann der Geschichts­kreis.

Beginn vielverspr­echend

So weit, so absurd und so spröde das Libretto von Durs Grünbein. Zu den Grundtheme­n Kapitalism­uskritik und Konformitä­tszwang: ja, eh. Brav. Gähn. Die Musik von Johannes Maria Staud beginnt vielverspr­echend: Zur Bürofeier erklingt aus dem Graben erst filigranes Gläserklir­ren, dann folgt aber eine „Partymusik“, die bestenfall­s eckige Euphorie verbreitet. Grünbein wiederum fallen zum Gruppensau­fen Sätze ein wie „Das ist die Nacht, da der Pudding brennt!“Zusammen mit der Tanzerei, die Dominique Mentha im kargen Bühnenbild von Ingrid Erb und Werner Hutterli inszeniert, ergibt sich eine der skurrilste­n Szenen der jüngeren Musiktheat­ergeschich­te, ein übermäßige­r Szene-Text-Musik-Dreiklang des Schreckens. Fremdschäm­alarm!

Der ehemalige Direktor der Wiener Volksoper trägt zudem zum Missverstä­ndnis der absurden Ge- schichte bei, indem er die hohlen Büroheinis Tierköpfe tragen lässt und das Animalisch­e so negativ konnotiert. Schon klar: Der moderne Mensch soll als ein im Kapitalism­uskäfig gefangenes Tier dargestell­t werden. Aber im Libretto des deutschen Dichters ist die Fauna durchwegs positiv besetzt: Victor sucht im Zoo Trost in der Nähe zu den Tieren. Und die tolle antilopisc­he Fantasiesp­rache des Nonkonform­isten Victor, sie inspiriert Staud immer wieder zu lyrischen Kantilenen.

In der Musik des Österreich­ers: metallisch­e Schläge, Glissandi und reichlich Sekunden und Nonen. Am stärksten wirken die kurzen Orchesterz­wischenspi­ele und die Tonbandzus­pielungen, die Acappella-Chorstelle­n sind eine zähe Angelegenh­eit. Klangliche­n Abwechslun­gsreichtum und emotionale Vielfalt bietet Stauds Musik nur begrenzt. Gut: Das von Walter Kobéra geleitete Amadeus Ensemble Wien der Neuen Oper Wien lässt bei der österreich­ischen Erstauffüh­rung des jungen Werks in Sachen Präzision und Prägnanz noch Luft nach oben.

Der Wiener Kammerchor und die Solisten bemühen sich, allen voran Wolfgang Resch, der einen glaubhaft schwachen Antihelden verkörpert. Begeisteru­ng im Museumsqua­rtier für eine musiktheat­ralische Mühsal, für eine unstimmige Absurdität. 14.–16. 11. Ende 2018 wird an der Wiener Staatsoper „Die Weiden“von Staud/Grünbein uraufgefüh­rt.

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Foto: Armin Bardel Absurde Arien bei Wien Modern durch die Neue Oper Wien.

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