Um den heißen Winkler-Brei
Die kunstgewerbliche Uraufführung von Josef Winklers „Lass dich heimgeigen, Vater ...“im Burgtheater-Kasino erinnert – in der Regie von Alia Luque – an die postdramatische Traumlogik gewisser Werke von Peter Handke.
Wien – Seit Urzeiten, also ungefähr seit 1979, weiß man den Kärntner Dichter Josef Winkler in der Landschaft des Drautals gut aufgehoben. „Gut“meint in Begriffen der Daseinsbewältigung: rechtschaffen schlecht. Klein-Josef („Sepp“) sieht sich in den Bezirken dörflicher Maul- und Denkfaulheit ebenso rätselhaften wie unheilbringenden Ritualen ausgeliefert. Mit der Wiederkehr der Jahreszeiten korrespondieren im Flecken Kamering bei Paternion die größeren Zyklen: von Geburt und Tod, Aufbegehren und nicht immer freudiger Ergebung in das Schicksal.
In der weiten, marmornen Halle des Kasinos am Schwarzenbergplatz nehmen sich Winkler-Figuren naturgemäß vierschrötig und ortsfremd aus. Aber Regisseurin Alia Luque, eine Katalanin, denkt nicht daran, sich aus Anlass einer Winkler-Uraufführung ins wilde Kärnten träumerisch zu versetzen, wie in einen vielleicht besonders verrufenen Bezirk der Seele.
Zum Haferschneiden
Lass dich heimgeigen, Vater oder Den Tod ins Herz mir schreibe nennt sich unübertrefflich knapp und elegant der Winkler’sche Theatertext. In immer neuen Anläufen wird in ihm die Anrede des abwesenden, da toten Vaters in Szene gesetzt. Fabel? Gibt es eher keine. Ein spaßiger Kettentext gibt die Tonlage der kausalen Unentrinnbarkeit vor: „Der Herr, der schickt den Jockel aus“, und zwar zum Haferschneiden.
Es finden sich natürlich tausend Gründe, warum es vorderhand zu keiner Einbringung des Futtermittels kommt. Aber immerhin wird von Winklers ebenso liturgischen wie suggestiven Beschwörungen der Kärntner Alltagswelt eine erkleckliche Anzahl von kreisförmigen Bewegungen in Gang gesetzt. Die Szenerie (Bühne: Christoph Rufer) gleicht rasch einem Laden von – allerdings stark zerflossenen – Uhren (Salvador Dalí). In der Bühnenmitte spuckt ein Fernseher Schwarzweißbilder aus. Frankreichs große Chansonnièren der Moderne wie Françoise Hardy und France Gall säuseln oder sprechsingen ihre sanft widersetzlichen Verheißungen.
Die schöne Hoffnung
Der Sex-Appeal? Für einen Kärntner Hosenmatz, der sich mit der Erfüllung vorgeschriebener Rollenmuster herumplagen muss, gewiss undechiffrierbar. Vier Männer und ein vielleicht zehnjähriger Bub bilden die Lebensalter ab. Jeder stellt ein mögliches Winkler-Imago dar: eine schönere Hoffnung auf ein erfülltes Erwachsenenleben, mit Lockungen eines bisexuellen, jedenfalls aber wahlfreien Entwurfs, wie sich jemand – fernab aller Zwänge und Blutsbande – gewinnbringend entfaltet. Die Herrschaften trippeln und schreiten wie Katzen um den heißen Brei herum. Sie markieren die todtraurige Erotik des Tangos, oder sie laufen mit hochgezogenem Sakko unter imaginären Wolkenbrüchen durch. Schillingmünzen werden freudig aufgehoben oder zum Verschwinden gebracht. Dem allem eignet die postdramatische Traumlogik gewisser Handke-Stücke, besonders jener, in denen die Figuren eher nichts voneinander wissen.
Leider Gottes verpufft so aber auch die syntaktisch fein gesponnene Dringlichkeit von Winklers Litaneien. Man ist, nach schönen Soli von Branko Samarovski und der wüst sprachabschmeckenden Suada von Marcus Kiepe (als Frau und „Mutter“), recht hinlänglich informiert. Man ahnt, wie todtraurig finster eine Kärntner Kindheit wenige Jahre nach der Geburt von Kreiskys absoluter Mehrheit gewesen sein muss. Man nimmt die Ausstrahlung des alten nationalsozialistischen Gedankenguts schaudernd zur Kenntnis. Man fühlt sich postdramatisch ergötzt, theatralisch nur leider komplett unterfordert.
Man ist, mit einem Wort, auch wieder froh, wenn man hinaus in die Wiener Nacht entlassen wird. Der Applaus war anerkennend.