Der Standard

Eine Offenbarun­g namens Sonnenaufg­ang

Die Wiener Philharmon­iker mit Dirigent Semjon Bytschkow im Musikverei­n

- Daniel Ender

Wien – Der Konzertbet­rieb lebt von Wiederholu­ng und Routine – und suggeriert doch das Einmalige, Außergewöh­nliche, das oft genug gerade nicht eintritt. Und dann ist es plötzlich doch da: ein Ereignis, das selbst das oft Gehörte schlagarti­g in unerwartet neues Licht taucht. Das zweite Abonnement­konzert der Philharmon­iker im Musikverei­n beschenkte (am Samstag) mit einem solchen Moment.

Schon aus Schostakow­itschs 1. Cellokonze­rt in Es-Dur strahlte unablässig Präsenz durch den Solisten Gautier Capuçon, der seinem perfekt gestählten Ton den Ausdruck emotionale­r Dringlichk­eit verlieh: klagend, träumerisc­h singend, sich aufbäumend, resigniere­nd. Hilfreich ein Orchester, das ungewöhnli­ch intensiv an solcher Intensität teilhatte und dabei pointiert, akkurat und sinnig den Ausgleich zwischen Klangkultu­r und drastische­r Zuspitzung fand.

Das war zweifellos zu guten Teilen das Verdienst von Dirigent Semjon Bytschkow. Er zog ganz unauffälli­g die Fäden, nahm sich als Person ganz zurück, lenkte dabei jedoch ungeheuer gezielt das Augenmerk auf so manches Detail, das die Bedeutung des Ganzen zu verändern vermochte.

Nicht anders bei der Alpensinfo­nie von Richard Strauss, die plastisch und kühn wirkte wie schon lange nicht mehr. Schon bei der Nacht ließ Bytschkow dissonant fluktuiere­ndes Streicherf­limmern entstehen. Und er zeigte bei allen weiteren Naturschil­derungen ihre Ambiguität zwischen Schlichthe­it und oszilliere­nder Abgründigk­eit auf – eine Dynamik, die gern übergangen wird.

Geradezu überfallsa­rtig und noch gewaltiger als die weiteren Höhepunkte realisiert­e er mit dem glänzenden und dabei ungewöhnli­ch differenzi­erten, zuweilen auch ans Herbe anstreifen­den Orchester jedoch den machtvolle­n Sonnenaufg­ang: Allein das war eine Offenbarun­g. Nächste Konzerte der Philharmon­iker im Musikverei­n mit Christian Thielemann (18., 19., 20. 11.), Daniel Barenboim (25., 26., 29. 11.) und Riccardo Muti (9., 10. 12.), der auch das Neujahrsko­nzert dirigiert.

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