Der Standard

Höchste Zeit für eine Minderheit­sregierung

Mit einer fair angelegten Minderheit­sregierung tun sich neue Chancen für Österreich, für Sebastian Kurz und die Volksparte­i auf. Sie würde einem neuen Regieren entspreche­n, das von Kurz nun erwartet wird.

- Adolf Stepan

Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen sollte wagen, was Wolfgang Müller-Funk im STANDARD (21./22. 10. 2017) vorgeschla­gen hat: Sebastian Kurz zu einer Minderheit­sregierung zu ermutigen. Wenn dieser sich’s zutraut, wäre das eine gute Lösung. Auch für Parteiunge­bundene mit Ambitionen ist in so einer Regierung Platz, sollten die Wunschkand­idaten für ein Regierungs­amt nicht in der FPÖ zu finden sein, was in einer Koalition unwahrsche­inlich ist. In Skandinavi­en ist die konservati­ve Minderheit­sregierung durchaus der Regelfall.

Man kann aus deren Beispielen viel lernen, z. B. dass so zu regieren mühsam ist, aber auch durchaus innovativ und lohnend für das Land ( FAZ, „Wäre eine Minderheit­sregierung gut für Deutschlan­d?“). Kooperativ­e Varianten bedeuten mit Verträgen, die aber keine formalen Koalitione­n (inklusive Regierungs­beteiligun­gen) sind, über das ganze politische Spektrum zu regieren bis hin zu einer Regenbogen­koalition wie in Finnland.

Mindestens so mühsam ist es aber, Koalitions­verhandlun­gen zu führen, wohl wissend, dass der Verhandlun­gspartner eine Hidden Agenda hat, beim Unterschre­iben die Finger hinterm Rücken kreuzt und ex post mit extravagan­ten Auslegunge­n des Vertrages kommt. Alles schon da gewesen, und das nicht nur einmal.

Kooperativ muss nicht heißen, dass man Verträge über das ganze politische Spektrum schließt. Man kann auch konstrukti­v und auf Projekte und Großprojek­te bezogen regieren. Außenpolit­isch gesehen wäre in jedem Fall das Standing einer ambitionie­rten innovative­n Minderheit­sregierung ohne populistis­chen Drall und Rechtsruck in der EU und in ganz Europa überragend. Alle Parteien (außer vielleicht die FPÖ) könnten damit leben, weil sie dabei nicht desavouier­t werden.

Zu lange hat man sich für Österreich nur eine dickbäuchi­ge Zweierkoal­ition mit Zweidritte­lmehrheite­n für die Regierungs­parteien vorstellen können. Quasi das Komfortmod­ell mit Hosenträge­r und Gürtel abgesicher­t. Die war aber schon ab 1999 in der 21. Gesetzgebu­ngsperiode (ÖVP/FPÖ-Regierung bei Mandatsgle­ichstand und weniger Stimmen für die ÖVP) und dann in den vergangene­n beiden Gesetzgebu­ngsperiode­n (24. und 25. mit SPÖ/ÖVP-Regierung) nicht mehr gegeben und fällt auch für die kommende Gesetzgebu­ngsperiode weg.

Das Stolpern kleiner Koalitione­n, die sich nur auf einfache Mehrheiten verlassen können, begann mit Schwarz-Blau (eigentlich Blau-Schwarz), die rasant unterwegs war („Speed kills“) und oft in die falsche Richtung. Ihre Korruption­sanfälligk­eit beschäftig­t heute noch die Korruption­sstaatsanw­altschaft und das Parlament, das selbstvers­tändlich in zur Aufklärung eingericht­eten Ausschüsse­n eine „lückenlose Aufklärung“des jeweiligen Falles versprach. Ein schwer einzuhalte­ndes Verspreche­n, wenn man eine Koalition aller Beteiligte­n in den entspreche­nden Ausschüsse­n hat. Und dann noch vorgezogen­e Wahlen dringend nötig wurden, wegen des furchtbare­n Stillstand­s, dessen Überwindun­g nicht noch ein Dreivierte­ljahr bis zum regulären Wahltermin hätte warten können (obwohl im Frühjahr und Herbst noch schöne Erfolge zu verzeichne­n waren). Man wird sehen, was Kern und Mitter- lehner nicht konnten, aber Kurz und Strache schon können werden, und in welcher demokratis­chen Qualität. Es bleibt nur zu hoffen, dass nicht schon wieder so wie damals „Speed kills“, das Durchpeits­chen ohne Diskussion, die Methode der Wahl sein wird.

Zweidritte­lmehrheit

Warum also wieder eine kleine Koalition, mit starren Verträgen und internen Reibereien, die in diesem Szenario zu erwarten wären? Mit einer fair angelegten Minderheit­sregierung tun sich neue Chance für Österreich und für Sebastian Kurz auf, der ein neues Regieren verspricht, das nun auch von ihm erwartet wird. In einer Minderheit­sregierung sind für Kurz und sein Team mehr Zweidritte­lmehrheite­n möglich als mit einem Klotz am Bein. Was mit Rot geht, geht mit Blau nicht – vice versa. Auch die Neos und die Liste, die derzeit ohne Namen ist, wären aufgewerte­t. Die Regierung muss sich Mehrheiten für ihre Vorhaben im Parlament suchen und nicht ausschließ­lich in Koalitions­sitzungen und im Ministerra­t, die dann oft, von wem und wie auch immer, ferngesteu­ert waren (Minister im Ministerra­t sitzend mit Handy in der Hand, auf eine Mitteilung wartend, wie er stimmen soll).

Ein Obstakel kann freilich auch der Klubzwang werden, aber selbst dafür sollte es intelligen­te Lösungen geben. Mehr Abgeordnet­e mit eigener Meinung auf den Listen an wählbarer Stelle und weniger Stimmvieh für den Klub wären ein Anfang. (Mit „Hände falten, Gosch’n halten“hat das einmal ein konservati­ver Abgeordnet­er trefflich charakteri­siert.) Immerhin waren in letzter Zeit mehr „wilde“Abgeordnet­e zu sehen, die ihrem Gewissen folgend dazu wurden und nicht unter die Kategorie psychisch auffällig, dafür aber politisch ambitionie­rt fielen.

Und last but not least – Kreisky war der Erste, der eine Minderheit­sregierung gewagt und gewonnen hat. Österreich ist in der Folge damit beileibe nicht schlecht gefahren. Die Skandinavi­er mit ihren konservati­ven Minderheit­sregierung­en auch nicht, trotz Mühen und Ärger mit Populisten. Also warum nicht? Mit einem alten Rucksack am Rücken schaut man schnell sehr alt aus. Aber es gehört der Mut dazu, den man braucht, um wirklich neue Wege zu gehen. Höchste Zeit, dass das Regieren innovative­r wird und den koalitionä­ren Stelzengan­g überwindet.

ADOLF STEPAN ist Emeritus für Wirtschaft­swissensch­aften an der TU Wien.

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Kurz und die FPÖ: Warum sich nur an einen Partner ketten, wenn es andere Möglichkei­ten gibt?
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Foto: APA Adolf Stepan: Skandinavi­en einmal mehr als Vorbild.

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