Der Standard

Das Erbe der Grünen

- Conrad Seidl

Die Gleichzeit­igkeit der Ereignisse war frappant: Letzte Woche fand in Wien die erste Nationalra­tssitzung seit 31 Jahren ohne Mandatare der Grünen statt – und im fernen Vorarlberg beschloss die Landeshaup­tleutekonf­erenz, den Naturschut­z künftig etwas lockerer zu sehen. Nun haben die Landeshaup­tleute in ihren Landtagen (und teilweise in ihren Landesregi­erungen) ja weiterhin Grüne sitzen, aber die Richtung ist klar: Ohne eine Ökoopposit­ion im Parlament wird es für Regierunge­n leichter, Anliegen des Natur- und Umweltschu­tzes zu übergehen.

Am Wochenende haben mehrere Umweltorga­nisationen auf diesen Umstand – und die drohende Vernachläs­sigung der Klimaschut­zziele bei den Koalitions­verhandlun­gen – hingewiese­n. Außerparla­mentarisch­e Opposition gerade in Umweltfrag­en erinnert an die frühen 1980er-Jahre, als Bürgerinit­iativen und die ersten NGOs die Regierende­n in Verlegenhe­it gebracht haben, wenn es um AKWs, Waldsterbe­n und Umweltzers­törung gegangen ist.

Klarerweis­e sind wir in vieler Hinsicht weiter als damals, sowohl was institutio­nalisierte­n Umweltschu­tz und praxistaug­liche Umwelttech­nologie betrifft als auch im allgemeine­n Bewusstsei­n: Ökologisch korrektes Verhalten ist den Bürgerinne­n und Bürgern heute eine Selbstvers­tändlichke­it, U auch wenn keine Ökopartei im Nationalra­t sitzt. nd doch gibt es da ein Erbe der Grünen, das politisch nicht uninteress­ant ist. Es sind eben nicht nur die NGOs, die in jene Ökobresche springen könnten, die bundespoli­tisch derzeit unbesetzt erscheint.

Schon hat Bundeskanz­ler Christian Kern erkannt, dass die Sozialdemo­kratie das Thema Klimaschut­z besetzen muss, um die hunderttau­senden ehemaligen Grün-Wähler, die im Oktober zu seiner SPÖ übergelauf­en sind, längerfris­tig zu binden. Wenn Kerns Partei beim nächsten Mal eine realistisc­he Chance haben will, muss sie eine Art rotgrüner Opposition­spolitik betreiben.

Aber auch die beiden wahrschein­lichen Regierungs­parteien sollten sich um die (weit über die früheren GrünWähler hinausgehe­nde) umweltbewu­sste Wählerscha­ft kümmern – nicht nur aus taktischen Erwägungen, sondern auch aus ideologisc­hen Gründen.

Wer sich mit der Parteigesc­hichte der FPÖ befasst, wird staunend feststelle­n, dass die Freiheitli­chen sehr früh Umweltthem­en erkannt haben. Und auch, dass sie in der rotblauen Koalition 1983 bis 1985 die von der SPÖ trotz anderslaut­enden Volksabsti­mmungserge­bnisses betriebene Eröffnung des AKW Zwentendor­f so lange blockiert haben, bis auch der letzte Rote dessen Gefährlich­keit eingesehen hat.

Die ÖVP wiederum hat sich seit 1990 die ökosoziale Marktwirts­chaft auf die Fahnen geschriebe­n – und das Bekenntnis dazu in ihrem von Sebastian Kurz mitverfass­ten Programm 2015 erneuert. Umwelt- und Klimaschut­z sollten ihr also ein Anliegen sein.

Und, nicht zu vergessen und abgesehen von aller Parteitakt­ik: Für die Umwelt, in der wir leben, wäre es auch gut.

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