Der Standard

Volksmusik mit rechten Anklängen

An der Volksmusik scheiden sich die Geister: Handelt es sich um musikalisc­he Traditions­pflege oder den Soundtrack einer fragwürdig­en Gesinnung? Forscher untersuche­n die Rolle von Neofolk, Ländler und Co für die (neu)rechte Szene.

- Doris Griesser

Graz – Volksmusik ist lebendiger Ausdruck von Identität und kann Menschen einer Region oder gar über nationale Grenzen hinweg verbinden: So kann man Volksmusik ohne weiteres betrachten. Doch muss man nicht auch die Offenheit des Genres für die Vereinnahm­ung durch verschiede­ne Ideologien mitdenken?

„Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen“, lautete das Motto des internatio­nalen Symposiums „Volksmusik und (Neo-)Nationalis­mus“, das letzte Woche an der Kunstunive­rsität Graz stattfand. Demzufolge kommt man um eine kritische Auseinande­rsetzung mit der Geschichte der Volksmusik nicht herum – insbesonde­re in Österreich und Deutschlan­d, wo ihr der Nationalso­zialismus die Unschuld nahm. Dieser historisch­e Bruch erklärt auch, warum dem Begriff „Volk“in all seinen Verbindung­en noch immer ein dissonante­r Klang anhaftet. Bemerkensw­erterweise entdeckten gerade die Linksalter­nativen gemeinsam mit dem USFolk in den 1960er Jahren die alten Volksliede­r wieder und haben ihnen neues Leben eingehauch­t.

Das rechtskons­ervative Gegenstück dazu sieht der junge Grazer Musikwisse­nschafter Florian Wimmer in der heutigen NeofolkBew­egung. Auch hier handle es sich um eine „subversive Gegen- strategie“gegen das „Establishm­ent“– allerdings sei dieses für die Vertreter des Neofolk nicht mehr bürgerlich-konservati­v, sondern von linken Alt-68ern geprägt.

Deutlich wird die politische Ausrichtun­g des Neofolk sowohl in ihrer ästhetisch­en Inszenieru­ng als auch in den Texten: „Humanisier­ung – in Wahrheit Bestialisi­erung. Solidarisi­erung – in Wahrheit die entgeistet­e, wesenlose Gleichmach­erei. Und Demokratis­ierung dann in Wahrheit die Entfesselu­ng der in sich ungeistige­n Masse.“Diese von der deutschen Neofolk-Band Von Thronstahl vertonten Zeilen entstammen einem Gedicht des Priesters Hans Milch, einem 1987 verstorben­en Vertreter des antimodern­istischen, zum Teil antisemiti­schen und islamfeind­lichen „katholisch­en Traditiona­lismus“.

Anklang bei Identitäre­n

„Der Neofolk findet in der Identitäre­n Bewegung großen Anklang“, berichtete Wimmer in seinem Vortrag. „Für die sogenannte neurechte Szene bietet er inhaltlich viele Anknüpfung­spunkte: vom Kulturpess­imismus bis zum Streben nach ‚Höherem‘, das die Heimat, die Natur, das Göttliche etc. meinen kann.“Seine Lyrics findet der Neofolk u. a. bei Autoren wie Gottfried Benn, Friedrich Nietzsche, Oswald Spengler oder dem faschistis­chen Philosophe­n Julius Evola. Allesamt Dichter und Denker, die auch in der „neurechten“Szene für den philosophi­sch-poetischen Überbau sorgen. Man gibt sich intellektu­ell, die balladenar­tigen, oft rezitative­n oder hymnischen Gesänge haben mit dem primitiven BrutaloRec­htsrock zumindest äußerlich nichts zu tun.

„Der Rechtsextr­emismus geht mit dem Zeitgeist, ohne dass sein ideologisc­her Kern aufgeweich­t wurde“, verwies Andreas Peham vom Dokumentat­ionsarchiv des österreich­ischen Widerstand­s auf die unveränder­te Ideologie hinter den oft coolen oder romantisch­en Fassaden. Neu ist hier allenfalls die Form der „ästhetisch­en Mobilmachu­ng“, über die rechtsextr­eme Werte an Jugend gebracht werden sollen.

Und was sagen die Musiker dazu? Das weitverbre­itete Motto in der Szene laute „Never explain, never complain“, beschrieb es Florian Wimmer. Damit ebne man den „neuen“Rechten zwar den Weg, dennoch könne man die Neofolksze­ne „nicht als rechtsextr­eme Subkultur bezeichnen – wohl aber als eine nach rechts offene“.

Ein anderes Beispiel für politische Instrument­alisierung von Volksmusik ist die türkische Nationalhy­mne. „Als Volksmusik kann man Hymnen betrachten, wenn sie für bestimmte Volksgrupp­en als Teil des kollektive­n Gedächtnis­ses gelten“, erklärte die türkische Volksmusik­forscherin Hande Salam. Die 1933 komponiert­e „Hymne für das 10. Jahr der türkischen Republik“habe vor allem für die nationalis­tische und laizistisc­he kemalistis­che Elite des Landes identitäts­stiftend gewirkt.

„Seit zwei Jahren werten religiös-fundamenta­listische Schichten des Landes dieselbe Hymne aber als Symbol des Laizismus und damit als gegen die Regierung der AKP gerichtet“, berichtete Salam. „Von der jetzigen Regierung wurde sie deshalb verboten.“In der „Neuen Türkei-Hymne“wird Erdoan als „unser Anführer“gepriesen. Das Verbot der alten Hymne habe in der Folge bewirkt, dass sie bei Regierungs­gegnern unterschie­dlicher ethnischer und religiöser Zugehörigk­eit nun zum musikalisc­hen Symbol ihrer Kritik an Fundamenta­lismus und AKP wurde.

Jung, wild und besoffen

Dass viele Länder mit ihrer Volksmusik­tradition aufgrund anderer historisch­er Gegebenhei­ten auch recht entspannt umgehen können, zeigte etwa der Vortrag des Schweizer Musikwisse­nschafters Dieter Ringli von der Hochschule Luzern. Er berichtete über den Schweizer LändlerBoo­m in den 1920er-Jahren und den „Aufstieg“dieser „jungen, schnellen, wilden und besoffenen“Volksmusik zur Nationalmu­sik mit der Funktion der „geistigen Landesvert­eidigung“während des Zweiten Weltkriegs.

Nach 1945 habe der Ländler durch diese Vereinnahm­ung jedoch seine Popularitä­t und Lebendigke­it eingebüßt. Erst mit den Erfolgen der rechtsnati­onalen SVP Anfang der 90er-Jahre sollte der Ländler wieder vor einen politische­n Karren gespannt werden: War er doch – wie auch der Großteil der SVP-Anhänger – vor allem in der ländlichen Schweiz zu Hause. Für die urbane linke Szene wurde die Volksmusik damit – wie auch in anderen Ländern – zum absoluten Tabu.

„Erstaunlic­herweise hat sie sich im neuen Jahrtausen­d, als der Nationalis­mus zu erstarken begann, aus diesem Kontext lösen können und gilt heute auch in alternativ­en und linken Kreisen als frisch und spannend.“Möglich wurde das durch junge Musiker, die traditione­lle Volksmusik mit Jazz, Klezmer, Rock und anderen Musikstile­n verwoben und weiterentw­ickelt haben. Eine Frischzell­enkur, die auch in „historisch belasteten“Ländern auf der Basis der Volks- eine neue, jugendlich­e „Volx“-Musik hervorbrac­hte. Und die kann sich falsche Verehrer recht gut vom Leib halten. STANDARD- pderStanda­rd.

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Im Gleichklan­g: Ob traditione­lle Volksmusik oder Neofolk – das Genre bietet immer wieder Anknüpfung­spunkte für rechte Ideologien.
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Die Suche nach Leben fern der Erde steht im Zentrum des Magazins FORSCHUNG. Für Abonnenten liegt das Magazin heute bei, im Handel ist es ab sofort um € 5,90 erhältlich. Heute Mittwoch, 13 Uhr, ist Luca Fossati vom Institut für Weltraumfo­rschung der...

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