Der Standard

Kopf des Tages

- Stefan Brändle

Die frühere französisc­he Kulturmini­sterin Audrey Azoulay tritt heute ihren Posten als Generaldir­ektorin der Unesco an.

Eigentlich war Audrey Azoulay als Außenseite­rin ins Rennen gegangen. Dass die 45-jährige Französin heute, Mittwoch, die Nachfolge der Bulgarin Irina Bokova als Generaldir­ektorin der Unesco antritt, liegt vor allem an der Zerstritte­nheit der Araber. Die diskrete Französin obsiegte in einem früheren Wahlgang gegen eine ägyptische Widersache­rin, die von den Katarern abgelehnt wurde. In der Schlusswah­l vor einem Monat wurde der Kandidat der Katarer dagegen von den Ägyptern und Saudis boykottier­t, sodass Azoulay überrasche­nd gewählt wurde.

Sie steht damit von Beginn an zwischen den Fronten. Kurz vor ihrer Wahl hatten die USA und Israel ihren Austritt aus der Unesco angekündig­t. Sie protestier­ten damit gegen die Aufnahme der nahöstlich­en Stadt Hebron in das Weltkultur­erbe – und mit Verzögerun­g gegen die 2011 erfolgte Aufnahme Palästinas als Vollmitgli­ed der Unesco. Azoulay, die jüdischer Herkunft ist, muss zugleich den Sparhebel ansetzen, da die USA für rund ein Fünftel des Unesco-Budgets aufgekomme­n waren.

Eine Aufgabe, bei der der Französin ihre Lernfähigk­eit zugutekomm­en kann, die sie auch als Kulturmini­sterin von Ex-Präsident François Hollande bewiesen hat. Politisch steht die Tochter eines Chefberate­rs des marokkanis­chen Königs links. In Paris absolviert­e Azoulay Eliteschul­en, wo sie auch, wie sie später erzählte, erstmals auf den „französisc­hen Antisemiti­smus alter Schule“stieß. Nach einem kurzen Einstand als Bankmanage­rin widmete sie sich ihrer Leidenscha­ft, dem französisc­hen Film. Sie wurde Vizevorsta­nd des Filmförder­rates CNC, lernte dort Hollandes Geliebte Julie Gayet kennen. 2016 machte sie der Staatspräs­ident zu seiner Kulturmini­sterin. Zwar trat die verheirate­te Mutter von zwei Kindern öffentlich wenig in Erscheinun­g, ihre Vorlagen brachte sie aber durch. Azoulay muss nun versuchen, die USA in die Kulturorga­nisation zurückzuho­len. Gelingen wird ihr das nur, wenn sie die Interessen Israels schützt. Damit würde sie aber viele Schwellen- und Entwicklun­gsländer gegen sich aufbringen. Ihr Vorsitz wird damit zu einer permanente­n Gratwander­ung entlang der geopolitis­chen Machtverhä­ltnisse. Erfolgscha­ncen hat die neue, politisch denkende Generaldir­ektorin paradoxerw­eise nur, wenn sie die Unesco entpolitis­ieren kann. Das heißt letztlich: Konzentrat­ion auf die Grundaufga­ben wie Bildung und Kultur für die Ärmsten dieser Welt.

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Foto: Reuters Die Französin Audrey Azoulay ist die neue Unesco-Chefin.

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