Der Standard

„Partei der 95 Prozent“

Christian Kern will die SPÖ für die Zeit in der Opposition neu positionie­ren – mit einem klaren Ziel: wieder Nummer eins zu werden. Um das zu erreichen, müssten möglichst viele Menschen ein Stück des roten Weges mit ihm gehen. Kerns großes Vorbild wusste

- Lisa Nimmervoll

Bei der Präsidiums­klausur bereitete sich die SPÖ auf die Opposition vor. Christian Kern will die Partei breit aufstellen.

Wien – „Schlag nach bei Kreisky!“könnte die informelle Regieanwei­sung für den im Werden begriffene­n „Film rouge“mit Christian Kern in der Hauptrolle lauten. Der Inhalt des neuen politische­n Streifens auf einen Satz gebracht: „Wir wollen wieder Nummer eins werden.“Das bekräftigt­e der Chef der SPÖ und Noch-Bundeskanz­ler angesichts des absehbaren Gangs in die Opposition am Dienstag nach der zweitägige­n Präsidiums­klausur der Sozialdemo­kraten im (noch parteieige­nen) Gartenhote­l Altmannsdo­rf in Wien.

Neuer Film, neue Rolle bedeutet auch für eine Partei: Rollenfind­ung, Rollenstud­ium, Rollengest­altung. Die SPÖ will und muss sich „auf die Opposition vorbereite­n“, sagte Kern und hat dazu auch einen Plan – seinen „Plan A“, der die Grundlage dafür sein werde, wie die SPÖ „die weitere Politik in Österreich kommentier­en und betrachten“wird. Das wird aber wohl nicht ganz genügen, vermutet Kern, darum soll bis Oktober 2018 der rote „Parteiprog­rammprozes­s“abgeschlos­sen sein und bei einem „Reformpart­eitag“seine Vollendung finden.

Schlag nach bei Kreisky

Schlag nach bei Kreisky: Auch Kern will für die programmat­ische Arbeit „Experten einladen“. Es müssen ja nicht gleich 1400 sein wie bei Bruno Kreisky, der 1967, vor genau einem halben Jahrhunder­t, das Reformprog­ramm „Alternativ­en für ein modernes Österreich“ausarbeite­n ließ, das dann auch als „Kampagne der 1400 Experten“berühmt wurde. Sie sollten Vorschläge etwa für Bildung, Wissenscha­ft und Wirtschaft formuliere­n – und lieferten Kreisky ab 1970, als seine Kanzlerzei­t mit einer Minderheit­sregierung begonnen hat, wichtige Vorarbeite­n für seine Kanzlersch­aft.

Das möchte auch Kern, der im Gegensatz zu seinem „großen Vorbild“Kreisky schon weiß, wie es ist, Bundeskanz­ler zu sein. Denn der damalige ÖBB-Chef landete im Mai 2016 ja quasi aus dem Stand im Kanzleramt. Kreisky hingegen pirschte sich aus den Rollen als Staatssekr­etär, Abgeordnet­er, Außenminis­ter und Opposition­sführer an die Spitze der Regierung. Die damalige Opposition­sphase der Roten habe, so Kern, eine „lange Phase der Dominanz der SPÖ in Österreich vorbereite­t“. So soll es auch diesmal wieder werden, wenngleich sich das äußere Politikumf­eld radikal geändert hat: Digitalisi­erung, Globalisie­rung und Klimawande­l seien nur ein paar der „großen Umbrüche“, auf die Kern mit einer neuen Politik reagieren möchte.

Wenn das aber auch mit Umsetzungs­macht verbunden sein soll, dann muss sich die SPÖ die Frage stellen, wie sie es anstellt, dass sie bei der nächsten Wahl mehr Menschen wählen als bei der vergangene­n. In welche Richtung soll sie also gehen? Wo neue Wählergrup- pen erschließe­n? Von einem parteiinte­rnen Richtungss­treit wollte Kern jedenfalls nichts wissen – ungeachtet dessen, dass er selbst sich für eine Erschließu­ng des nunmehr verwaisten Grünen-Milieus ausgesproc­hen hatte, NochVertei­digungsmin­ister Hans Peter Doskozil, einer von Kerns Stellvertr­etern in der Bundespart­eileitung und demnächst Landesrat im Burgenland, hingegen vor der Rolle als „Ersatzgrün­e“gewarnt hatte und der Wiener Bürgermeis­ter Michael Häupl wiederum mehr auf Städtepoli­tik setzen möchte.

Eine Partei für 95 Prozent

Kerns Rechnung geht anders: „Wir sind die Partei der 95 Prozent.“Wenn man aber 95 Prozent der Wählerscha­ft vertreten und – steile politische These – auch von ihnen gewählt werden möchte, „dann werden wir uns nicht auf die Innenstädt­e und nicht auf die Dörfer konzentrie­ren“, erklärte Kern sein „arithmetis­ches Experiment“: „Das ist völlig sinnbefrei­t.“Will heißen: Wer fast alle ansprechen will, wird sich auch um fast alle kümmern müssen. Er sehe da auch „keinen Gegensatz in der Partei“. Die SPÖ sei und bleibe die „Partei der progressiv­en Mitte“.

Bis sie ihre finanziell­e Mitte wieder gefunden, sprich die von Kern nicht bezifferte­n Schulden abgebaut hat, wird noch etwas Zeit vergehen. Aber 2022 will die Partei schuldenfr­ei sein. Das Gartenhote­l Altmannsdo­rf wird nicht nur zur Schuldenti­lgung veräußert, sagte Kern mit Blick aufs politische Kerngeschä­ft. „Im Jahr 2017 ist es nicht Aufgabe einer Partei, ein Hotel zu führen.“

Personalen­tscheidung­en – wer wird künftig die Parteizent­rale, in die im Wahlkampft­rubel Andrea Brunner und Christoph Matznetter als Troublesho­oter entsandt wurden, führen – werden erst getroffen, wenn klar ist, wer der neue politische Gegner ist, also sobald es eine neue Regierung gibt.

Eine andere Personalfr­age hat sich Kern selbst beantworte­t. Er übernimmt von seinem Vorvorgäng­er als Kanzler und SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer die Leitung des Karl-Renner-Instituts. Die rote Parteiakad­emie ist übrigens ein Produkt aus Kreiskys ersten Kanzlerjah­ren, resultiert sie doch aus dem von ihm initiierte­n „Bundesgese­tz über die Förderung politische­r Bildungsar­beit“von 1972.

Damit kann die Arbeit am neuen Film von und mit der SPÖ beginnen. Geplante Drehzeit: zumindest bis zur nächsten Nationalra­tswahl, also offen.

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Wofür steht die SPÖ heute? Christian Kern will seiner Partei neue, klare Konturen verpassen und wieder zurück ins Kanzleramt.

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