Der Standard

Was Kurz mit Orbán verbindet – und was nicht

Viktor Orbán, Emmanuel Macron und zuletzt sogar Donald Trump: Die Liste der Politiker, die Ähnlichkei­ten mit Sebastian Kurz aufweisen sollen, ist lang. Wer sie abklopft, sieht schnell: Einige Parallelen stechen hervor, so mancher Vergleich hinkt.

- ANALYSE: Anna Giulia Fink

Wien – Es war der erste Vergleich, der zwischen Sebastian Kurz und Amtsträger­n rund um den Globus gezogen wurde, und er haftet ihm bis heute an: Österreich­s Außenminis­ter, konstatier­en Journalist­en wie Politiker, rücke mit seinen Ansichten immer näher an Ungarns Ministerpr­äsidenten Viktor Orbán heran. So heißt es schon seit dem Spätsommer 2015, als die sogenannte Flüchtling­skrise in Europa ihren Höhepunkt erreicht hatte.

Damals machte sich Orbán mit seiner Idee der totalen Abschottun­g einen Namen als Hardliner der ersten Stunde. Heute, mehr als zwei Jahre später, hat Orbáns Konzept längst zahlreiche Nachahmer gefunden. Sebastian Kurz aber schwenkte als Erster auf dessen Linie um – und am deutlichst­en: Es war jene Zeit, in der er sich die Rolle des Vertreters eines harten politische­n Kurses verpasst hat, die er bis heute pflegt: Das Image des Politikers, der seinen Worten nach Dinge ausspricht, die hässlich klingen mögen, die aber unvermeidb­ar seien. Sein Verhalten in der Flüchtling­skrise war zentrale Botschaft im Wahlkampf. Und wer die Parallelen zu Orbán schon damals gesehen hat, der erkennt sie auch heute noch. Dass Österreich­s präsumtiv neuer Bundeskanz­ler nun eine Koalition mit der FPÖ eingehen dürfte, bestärkt nun all jene, die ohnehin schon überzeugt waren, Sebastian Kurz sehe seinen Platz eher bei den Visegrád-Staaten anstatt in Kerneuropa. Dabei trifft der Vergleich heute wie damals nur teilweise zu.

Obergrenze vs. Obergrenze

Das fängt schon damit an, dass die Frage der Grenzsiche­rung unterschie­dliche Bedeutung haben kann. Sie kann das Hochziehen von Zäunen meinen, dass jegliche Einwanderu­ng verhindert werden soll, wie es Orbán vorschwebt, der ganz Ostmittele­uropa zur „migrantenf­reien Zone“erklärt hat. Oder sie kann eine Vorstellun­g bedeuten, die inzwischen zum Standardre­pertoire der meisten Regierunge­n in Europa gehört, und zwar auch jener, die am freundlich­sten mit Flüchtling­en umgehen: Sie sieht schon längst Grenzkontr­ollen vor, den Wunsch nach einem Ausbau der EUAußengre­nzen, um Migration zu kanalisier­en und illegale Einwanderu­ng zu reduzieren.

Während Ungarn also überhaupt niemanden, die Slowakei und Tschechien jeweils zumindest einige wenige aufnehmen möchte, hat Sebastian Kurz in seinem Wahlprogra­mm festgehalt­ene: eine „Obergrenze gleich null“, die allerdings nur die illegale Migration betrifft. Dass Österreich aber prinzipiel­l sehr wohl Flüchtling­e ins Land lassen solle, hat der ÖVP-Chef immer wieder betont.

„Bewältigba­r“sind ihm zufolge 10.000 bis 15.000 Menschen pro Jahr. Auf eine Obergrenze für Flüchtling­e hat sich Österreich inzwischen ebenso verständig­t wie Deutschlan­d, wo sie in den derzeit laufenden Sondierung­sgespräche­n lediglich unter dem neuen Namen „Richtwerte“durchgeset­zt werden soll. Für die von der EU vorgegeben­en Asylquoten hat sich die ÖVP ursprüngli­ch eingesetzt und dies auch von Ungarn eingeforde­rt. Sebastian Kurz hat von Budapest verlangt, das diesbezügl­iche Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs zu respektier­en. In einem Punkt zeichnet sich sogar Streit ab: Das von Kurz immer wieder eingeforde­rte Ende der „Zuwanderun­g in das österreich­ische Sozialsyst­em“droht dem Gleichheit­sgrundsatz unter EU-Bürgern zu widersprec­hen und stößt vor allem in Osteuropa auf Kritik.

Während der vielzitier­te Klempner aus Polen in Großbritan­nien den Brexit-Befürworte­rn als Hauptargum­ent für den Ausstieg diente, führte Sebastian Kurz meist das Beispiel der Pflegerin aus Rumänien an, deren zu Hause gebliebene­n Kinder weniger Familienbe­ihilfe erhalten sollten. Die unterschie­dlichen Sozialsyst­eme in der Union sind eines jener Beispiele, bei denen Kurz nicht mehr, sondern weniger Zusammenar­beit in der EU vorschwebt. Kurz sagt von sich selbst, er habe „von seinen Wählern den Auftrag erhalten, eine proeuropäi­sche Kraft der Veränderun­g zu sein“. Die Idee einer Sozial- und Fiskal- union widerstreb­t ihm dabei, womit er sich ausgerechn­et jenem Politiker entgegenst­ellt, zu dem ebenfalls oft Parallelen gezogen werden: Emmanuel Macron, der sich derzeit anschickt, die Union überhaupt von Grund auf neu aufzustell­en.

Bewegung vs. Bewegung

Im Fall von Emmanuel Macron war es zunächst das Alter, das Kurz (31 Jahre) in die Nähe des französisc­hen Präsidente­n (39) rückte. Als der ÖVP-Chef seiner Partei den Zusatz „Bewegung“verpasste, knüpfte er selbst an das Erfolgsmod­ell Macrons an. Abgesehen davon, dass Letzterer allerdings tatsächlic­h eine gänzlich neue Partei aus dem Boden stampfte, bleibt bisher in vielen Punkten noch unklar, wofür Sebastian Kurz tatsächlic­h steht – und welchen Einfluss die FPÖ auf seine Politik haben wird.

Dass Kurz nachgesagt wird, mehr von einem ausgeprägt­en Machtinsti­nkt als von einem ideologisc­hen Fundament angetriebe­n zu sein, dürfte zuletzt den kanadische­n Premier Justin Trudeau zu einem bisher ungewöhnli­chen Vergleich verleitet haben: Er nannte Kurz in einem Atemzug mit US-Präsident Donald Trump.

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Was eint sie, was unterschei­det sie? Außenminis­ter Sebastian Kurz während eines Treffens mit Ungarns Premier Viktor Orbán vor Beginn des EVP-Gipfels im Juni in Brüssel.

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