Der Standard

Exzellenz auf dem Reißbrett

Vor einem Jahrzehnt hat Singapur sich zum Ziel gesetzt, als Forschungs­standort die Weltspitze zu erreichen. Heute ist die Nanyang Technologi­cal University (NTU) Nummer elf weltweit und Nummer eins in Asien. Auch Österreich will davon profitiere­n.

- Eric Frey aus Singapur

Wer nach wirtschaft­spolitisch­en Erfolgsmod­ellen sucht, kommt an Singapur nicht vorbei: Der südostasia­tische Stadtstaat hat sich Innerhalb von 50 Jahren von einem bettelarme­n Entwicklun­gsland zu einem der reichsten Länder der Welt gewandelt – durch eine Kombinatio­n von zielgerich­teter, langfristi­ger und vor allem korruption­sfreier staatliche­r Planung und einer weitgehend freien Marktwirts­chaft.

Anfang des Jahrtausen­ds erkannte die seit 1959 allein regierende konservati­ve People’s Action Party (PAP), dass traditione­lle Industrien, Ölraffiner­ien und der riesige Hafen nicht mehr ausreichen, um den Wohlstand zu sichern. Sie beschloss einen Umbau in Richtung Pharma und anderer neuer Technologi­en, verbunden mit einer Stärkung der Universitä­ten.

Was sich in anderen Weltregion­en als Sonntagsre­den entpuppt, wird in Singapur konsequent umgesetzt. Die 1991 gegründete Nanyang Technologi­cal University (NTU) erhielt ab 2006 großzügige Geldspritz­en und ging weitreiche­nde Kooperatio­nen mit Indus- triekonzer­nen ein. Heute steht die NTU im globalen QS-Uniranking an elfter Stelle und ist die Nummer eins in Asien. Die ältere National University of Singapore (NUS) folgt auf Platz 15. Zum Vergleich: Die beste deutsche Uni steht auf Platz 64, die Universitä­t Wien auf Platz 154.

Mit hohen Gehältern, ausgezeich­neten Forschungs­bedingunge­n und einer guten Lebensqual­ität werden Top-Professore­n aus Europa und den USA an die NTU gelockt, wo sie in Teams ohne alle Berührungs­ängste eng mit Industrien zusammenar­beiten – von BMW über Rolls-Royce bis Lockheed Martin. „Wir kennen nur zwei Arten der Forschung“, sagt NTU-Präsident Bertil Andersson, ein schwedisch­er Biochemike­r. „Wir betreiben angewandte Forschung und Forschung, die noch nicht angewendet wird.“

In Spezialgeb­ieten ist die Stellung von NTU noch beeindruck­ender: weltweit Platz zwei in der Materialwi­ssenschaft, Platz drei in Chemie und Platz vier in Computerwi­ssenschaft­en und Technik. Bei der Zahl von Publikatio­nen zu künstliche­r Intelligen­z steht die NTU weltweit auf Platz zwei gleich hinter Microsoft. Ob Robotik, E-Mobilität, Biotechnol­ogie oder Produktion durch 3DDrucker – an der NTU wird das geforscht, was die Industrie und die Gesellscha­ft in den kommenden Jahren verändern wird.

Im 3D-Druck-Labor stehen dank industriel­ler Sponsoren modernste Maschinen, die Schicht für Schicht Metalle oder Plastik auftragen. Herauskomm­en sollten als Endprodukt etwa Turbinenbl­ätter für Flugzeuge. In vielen Fällen sind die Produkte noch nicht gut genug. Hier kommt die Kooperatio­n zwischen Uni und Industrie ins Spiel: Doktorande­n und junge Forscher experiment­ieren mit verschiede­nen Materialie­n und Programmie­rungen, um Mängel auszumerze­n und marktfähig­e Produkte hervorzubr­ingen.

Reha durch Roboter

In einem anderen Labor werden Robotikger­äte für die Rehabilita­tion von Schlaganfa­llpatiente­n entwickelt. Bei einem einfachen Videospiel – sie müssen einen Pinguin auf Skiern etwa durch Tore lotsen – werden sie vom Computer unterstütz­t, der sie in die Richtung lenkt, dann aber allmählich den Widerstand erhöht. Auch diese Apparate sollen bald in Spitälern zur Anwendung kommen.

Österreich versucht schon seit einigen Jahren, von der geballten Kompetenz der NTU zu profitiere­n. So gibt es derzeit 19 Forschungs­kooperatio­nen und gemeinsame Doktoratsp­rogramme, etwa mit dem Austrian Institute of Technology (AIT), der Universitä­t für Bodenkultu­r, der Med-Uni Wien und der TU Graz. Durch die Zusammenar­beit von Andersson und Helga Nowotny, der ehemaligen Präsidenti­n des European Research Council (ERC), war die NTU Wegbereite­r des Complexity Science Hub Vienna, der die zukunftstr­ächtige Komplexitä­tsforschun­g in Wien verankern soll.

Und bei einem Besuch in Singapur unterzeich­nete Wirtschaft­skammer-Präsident Christoph Leitl vergangene­n Freitag ein Kooperatio­nsabkommen, das österreich­ischen Unternehme­n Zugang zur NTU-Forschung ermöglicht. Vergleichb­are Übereinkom­men wurden bereits mit der Uni Karlsruhe, der ETH Zürich, Stanford, Harvard und bei Leitls Besuch in Südkorea mit der Kaist, einer ebenfalls aufstreben­den Technik-Uni, abgeschlos­sen. Das Programm, das Workshops, Konferenze­n und Forschungs­reisen für interessie­rte Firmen vorsieht, wird von der im Zuge der Kammerrefo­rm neu gegründete­n Austrian Innovation Agency gemanagt.

In Japan ist der Partner keine Uni, sondern ein staatliche­s Innovation­snetzwerk. Das liegt auch daran, dass die japanische­n Unis in den vergangene­n Jahren gegenüber den asiatische­n Mitbewerbe­rn zurückgefa­llen sind. Innovative Forschung findet eher in den Konzernen statt, etwa den Sony Computer Science Laboratori­es (CSL) in Tokio und Paris, wo Forscher aus aller Welt Freiheiten haben, eigene Ideen zu entwickeln.

Rasante Urbanisier­ung

Ein weiteres Beispiel für die Internatio­nalisierun­g der Forschung in Singapur ist das Singapore-ETH Centre am passend benannten Center for Research Excellence and Technologi­cal Enterprise (CREATE). Seit 2010 arbeiten dort ETH-Forscher mit lokalen Einrichtun­gen über Nachhaltig­keit in den Städten und die Resilienz – Widerstand­sfähigkeit – von modernen Infrastruk­tursysteme­n. Geleitet von zwei Schweizern – Gerhard Schmitt und Remo Burkhard – geht es hier in enger Kooperatio­n mit Konzernen wie Siemens, Axa oder der Zürich Versicheru­ng um die vielleicht größte Herausford­erung Asiens: die rasante Urbanisier­ung.

Ein lebendiges Labor liegt laut Schmitt vor der Tür: Die indonesisc­he Stadt Batam auf einer Insel vor Singapur ist die am schnellste­n wachsende Stadt der Welt. Sie war 1970 ein Fischerdor­f und hat heute 1,2 Millionen Einwohner. Die Reise fand auf Einladung der Wirtschaft­skammer Österreich statt.

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Auch der durch Aufschüttu­ngen entstanden­e Stadtteil Marine Bay mit dem Kasinohote­l Marine Bay Sands wurde über Jahrzehnte geplant – genauso wie die Forschungs­stätten.

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