Der Standard

Winzige Kügelchen mit enormem Potenzial

Extrazellu­läre Vesikel wurden lange Zeit unterschät­zt. Inzwischen weiß man, dass die kleinen Bläschen auf Tumoren hinweisen können. Die Biotechnol­ogin Agnes Reiner hat eine entspreche­nde Methode zur Früherkenn­ung von Eierstockk­rebs entwickelt.

- Thomas Bergmayr aus Berlin

Sie sind so klein, dass ihnen in der Medizin lange Zeit nur Spezialist­en Beachtung schenkten: Extrazellu­läre Vesikel sind Bläschen von 30 bis 150 Nanometern Durchmesse­r, die von den meisten Zelltypen unseres Körpers ausgestoße­n werden. Nachdem pro Zelle täglich mehrere Hundert dieser Kügelchen anfallen, ist unsere Blutbahn gleichsam fortwähren­d „verstaubt“, ihre Konzentrat­ion im Blut entspricht etwa jener von roten Blutkörper­chen.

Vesikel enthalten meist Lipide und Proteine, können aber auch Fragmente von genetische­n Informatio­nen und andere Zellbestan­dteile transporti­eren. Anfangs wurden sie nur für eine Art zelluläre Müllabfuhr gehalten. Erst in den 1990er-Jahren erkannte man allmählich, dass sie unter anderem der interzellu­lären Kommunikat­ion dienen und auch in der Immunabweh­r wichtige Aufgaben erfüllen. Insgesamt aber kratzt man in diesem Gebiet erst an der Oberfläche, viele der vermutlich zahlreiche­n weiteren Vesikelfun­ktionen liegen nach wie vor im Dunkeln.

Im Visier der Tumorforsc­her

Für die klinische Medizin wurden die kleinen Membranbeu­tel interessan­t, als man dahinterka­m, dass der „Staub“im Blutkreisl­auf von Krebspatie­nten bedeutend dichter ist als bei gesunden Menschen. Damit gerieten die Fettbläsch­en in den Fokus der onkologisc­hen Forschung, und man vermutet, dass sie Tumormetas­tasen den Boden bereiten könnten. Als Vorteil erwies sich dabei für die Wissenscha­fter, dass Vesikel gut eingefrore­n und längere Zeit gela- gert werden können, ohne Schaden zu nehmen. Was Vesikel allerdings besonder vielverspr­echend für die Krebsforsc­hung macht, ist die Tatsache, dass man ihnen ihre Herkunft aufgrund der speziellen Protein- und Lipidzusam­mensetzung gleichsam ansieht. Mithilfe dieser Marker lassen sie sich sogar bestimmten Krebsarten zuordnen. So stellten Anfang des Jahres USForscher um Ye Hu von der Arizona State University im Fachjourna­l Nature Biomedical Engineerin­g einen Vesikeltes­t zur Diagnose von Bauchspeic­heldrüsenk­rebs vor.

Die österreich­ische Biotechnol­ogin Agnes Reiner verfolgte einen ähnlich innovative­n Weg. „Zu dem Forschungs­gebiet gibt es erst wenige Studien, das ist also noch weitgehend Neuland“, sagt die 30Jährige dem STANDARD gegenüber. Bei ihren Forschunge­n im Rahmen ihrer PhD-Arbeit unter anderem an der Boku Wien, dem Austrian Institute of Technology (AIT) und der Nanyang Technologi­cal University in Singapur ging es Reiner darum, extrazellu­läre Vesikel zur Diagnose von Eierstockk­rebs zu nutzen. Ihre Ergebnisse präsentier­te sie in der vergangene­n Woche beim Falling-Walls-Lab-Wettbewerb in Berlin unter dem Titel „Breaking the wall of ovarian cancer diagnosis“– und errang damit den ersten Platz.

Das Ovarialkar­zinom tritt in Österreich bei einer von hundert Frauen auf und ist ähnlich tödlich wie Pankreaskr­ebs. „Das liegt vor allem daran, dass der Tumor in über 70 Prozent der Fälle erst in einem sehr späten Stadium entdeckt wird“, so Reiner. Im Schnitt liegt die Fünf-Jahres-Überlebens­rate je nach Zeitpunkt der Diagnose bei zehn bis 30 Prozent. Umso wichtiger sei es daher, diese Krebsart so früh wie möglich zu diagnostiz­ieren, und dafür seien Vesikel durchaus geeignet, sagt Reiner. Der jungen Wissenscha­fterin ist es gelungen, Marker auf den Bläschen zu identifizi­eren, die sich mit hoher Treffsiche­rheit auf Ovarialkar­zinomzelle­n zurückführ­en lassen. Damit hielt Reiner den Schlüssel zu einer möglichen Frühdiagno­se auf der Grundlage von Vesikeln in Händen. In einem zweiten Schritt entwickelt­e die Forscherin ein zweiteilig­es hochspezif­i- sches Detektions­verfahren auf Basis von sogenannte­n plasmonisc­hen Biosensore­n.

Erfolg im Modellsyst­em

Dass ein solcher Biosensor in der Praxis funktionie­ren könnte, hat Reiner in einem Modellsyst­em bereits unter Beweis gestellt. Für diese Laborexper­imente griff sie auf Vesikel aus Aszites zurück, einer krankheits­bedingten Flüssigkei­tsansammlu­ng im Bauchraum, die unter anderem bei Patienten mit einer Krebserkra­nkung auftritt. „Es spricht jedoch nichts dagegen, dass die Methode auch bei herkömmlic­hen Blutproben klappt“, meint die Forscherin.

Bis Vesikelsen­soren zur Tumordiagn­ose im Klinikallt­ag ankommen, würden aber wohl noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vergehen, sagt Reiner. Die winzigen Lipidbläsc­hen bergen einfach noch zu viele ungeklärte Geheimniss­e. Die Reise nach Berlin erfolgte auf Einladung des AIT.

 ??  ?? Eine Ovarialkar­zinomzelle auf Knochengew­ebe: Eierstockk­rebs wird häufig viel zu spät erkannt. Neue Methoden zur frühzeitig­en Diagnose werden daher dringend benötigt.
Eine Ovarialkar­zinomzelle auf Knochengew­ebe: Eierstockk­rebs wird häufig viel zu spät erkannt. Neue Methoden zur frühzeitig­en Diagnose werden daher dringend benötigt.
 ?? Foto: AIT ?? Agnes Reiner nutzt Vesikel für die Suche nach Tumoren.
Foto: AIT Agnes Reiner nutzt Vesikel für die Suche nach Tumoren.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria