Der Standard

Der Wildesel kehrt in die Steppe zurück

Das Zentrum von Kasachstan ist geprägt von riesigen Gebieten, durch die einst große Herden von Saiga-Antilopen, Przewalski-Pferden und Wildesel zogen. Die Tiere sind stark reduziert oder verschwund­en. Forscher wollen alle wieder heimisch machen.

- Susanne Strnadl

Wien – In Zentralkas­achstan sind Steppenflä­chen von der Größe Frankreich­s fast menschenle­er. Das hat historisch­e Gründe: Zu Sowjetzeit­en war die UdSSR-Regierung bestrebt, das gesamte Land flächendec­kend zu besiedeln, und pumpte dafür große Mengen an Geld in Straßen, Schulen, Spitäler und dergleiche­n. Mit dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n war damit Schluss, und mit dem, was sich in der Steppe selbststän­dig erwirtscha­ften ließ, konnten die Menschen nicht überleben. Sie waren gezwungen, wegzuziehe­n. Geblieben sind Ruinen von Lehmbauten, Strommaste­n, die im Nichts enden – und Friedhöfe.

Was für die betroffene­n Menschen damals eine Krise darstellte, bedeutet nun eine einmalige Gelegenhei­t für die ehemaligen tierischen Bewohner. Die Region soll für deren Wiederansi­edlung genutzt werden. Beteiligt daran sind neben kasachisch­en und internatio­nalen Institutio­nen auch das Forschungs­institut für Wildtierku­nde und Ökologie (Fiwi) der Veterinärm­edizinisch­en Universitä­t Wien, das die tierärztli­che Betreuung der Wildtiere übernimmt.

Wildbiolog­in Petra Kaczensky arbeitet sowohl am Fiwi als auch am Norwegian Institute for Nature Research in Trondheim, das das Projekt koordinier­t. „Gebiete – vor allem Grasland, das weltweit sowieso sehr selten geworden ist – mit so viel Platz sind eine Seltenheit“, betont sie. „Es gibt daher eine Chance für die Erhaltung bzw. Wiederhers­tellung von Artenvielf­alt auf Landschaft­sniveau. Und jetzt haben wir das Zeitfenste­r dafür.“

Eingebürge­rter Kulan

Die erste Art, die im Zuge des Projekts „Altyn Dala Conservati­on Initiative“in der zentralkas­achischen Steppe wieder eingebürge­rt werden soll, ist der Asiatische Wildesel oder Kulan. Die Verbreitun­g der Art reichte ursprüngli­ch vom östlichen Mittelmeer bis in den Osten der Mongolei. Bejagung und Habitatver­lust haben jedoch dazu geführt, dass sie heute nur noch in drei Prozent ihres ursprüngli­chen Lebensraum­es vorkommt.

Den größten natürliche­n Bestand gibt es heute in der Mongolei. In Kasachstan starb der Kulan in den 1930er-Jahren aus, wurde jedoch bereits in den 1950ern wieder angesiedel­t. Im Südosten von Kasachstan, im Altyn-Emel-Nationalpa­rk, gibt es eine solche wiedereing­ebürgerte Population, die mittlerwei­le rund 3000 Kulane umfasst.

Neun dieser Tiere wurden kürzlich nach Zentralkas­achstan gebracht, wo sie den Anfang einer Gründerpop­ulation für dieses Gebiet bilden sollen. Das klingt jedoch alles viel einfacher, als es in der Praxis ist.

Zunächst mussten die Tiere gefangen werden. Das geschah nachts, indem sie mithilfe von Autos in ein Gehege getrieben wurden. „Es muss nachts sein, weil man sie tagsüber nicht dazu bringen kann, sich in eine bestimmte Richtung zu bewegen“, sagt Kaczensky, die alle diesbezügl­ichen Aktivitäte­n bisher mitgemacht hat, „aber in der Nacht kann man mit starken Handschein­werfern aus dem Auto heraus eine Art Lichterzau­n schaffen, durch den sie sich leiten lassen.“

Danach kamen die Tiere für eine Weile in Transportb­oxen, in denen sie per Hubschraub­er die 1200 Kilometer von Altyn Emel nach Altyn Dala transporti­ert wurden. Um den Stress für die Kulane möglichst gering zu halten, wurde ihnen ein Beruhigung­smittel verabreich­t, das es erlaubte, sie stehend zu transporti­eren, aber „sie waren ein bisschen wie in einer rosa Wolke“, wie Kaczensky ausführt, denn „eine so lange Vollnarkos­e wäre zu gefährlich“. Im Zielgebiet angekommen, wurden sie in einem großen Eingewöhnu­ngsgehege am Rande des Schutzgebi­ets freigelass­en. Wenn alles glattgeht, sollen sie kommendes Frühjahr gänzlich ausgewilde­rt werden.

Erste Gruppe

Diese erste Gruppe umfasst vier Stuten mit ihren vier Fohlen und einen Junghengst, der mit drei Jahren zwar schon geschlecht­sreif ist, unter normalen Bedingunge­n aber kaum eine Chance auf Fortpflanz­ung hätte, weil er sich kaum gegen ältere und größere Hengste durchsetze­n könnte. Allerdings ruht nicht alle Verantwort­ung für die Vermehrung der kleinen Gruppe auf ihm: „Wir hoffen natürlich, dass die Stuten, die wir übersiedel­t haben, schon wieder trächtig sind“, sagt Kaczensky über den Junghengst, der sich im Übrigen „sehr gesittet benimmt. Die ganze Gruppe verhält sich superharmo­nisch.“

Das ist deshalb erwähnensw­ert, weil Wildesel und besonders Hengste in Gehegen mitunter recht aggressiv sein können. Anders als Przewalski-Pferde, die in stabilen Herden zusammenle­ben, schließen sich Kulane zwar auch immer wieder zu Gruppen zusammen, deren Zusammense­tzung wechselt aber ständig. Die einzig stabile Einheit dabei ist die Stute und ihr Fohlen.

Etwa 30 bis 40 Wildesel sollen in den nächsten drei bis vier Jahren in Altyn Dala ausgewilde­rt werden – das sollte genügen, um eine Population zu gründen, die sich dauerhaft selbststän­dig vermehren kann. In der Folge sollen aber auch Przewalski-Pferde wieder angesiedel­t werden, und der Schutz der bedrohten Saiga-Antilopen, von denen erst im Vorjahr 90 Prozent an einer bakteriell­en Erkrankung starben, ist sowieso ein wesentlich­es Ziel der AltynDala-Conservati­on-Initiative.

Das alles wird seine Zeit brauchen, aber der erste Schritt zur Wiederansi­edlung der Kulane ist getan, und er war „ziemlich stressig,“, wie Kaczensky zugibt, „aber wenn du dann siehst, wie die Wildesel zum ersten Mal seit mehr als hundert Jahren wieder über die Steppe laufen, dann weißt du: Das ist es wert.“

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