Der Wildesel kehrt in die Steppe zurück
Das Zentrum von Kasachstan ist geprägt von riesigen Gebieten, durch die einst große Herden von Saiga-Antilopen, Przewalski-Pferden und Wildesel zogen. Die Tiere sind stark reduziert oder verschwunden. Forscher wollen alle wieder heimisch machen.
Wien – In Zentralkasachstan sind Steppenflächen von der Größe Frankreichs fast menschenleer. Das hat historische Gründe: Zu Sowjetzeiten war die UdSSR-Regierung bestrebt, das gesamte Land flächendeckend zu besiedeln, und pumpte dafür große Mengen an Geld in Straßen, Schulen, Spitäler und dergleichen. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion war damit Schluss, und mit dem, was sich in der Steppe selbstständig erwirtschaften ließ, konnten die Menschen nicht überleben. Sie waren gezwungen, wegzuziehen. Geblieben sind Ruinen von Lehmbauten, Strommasten, die im Nichts enden – und Friedhöfe.
Was für die betroffenen Menschen damals eine Krise darstellte, bedeutet nun eine einmalige Gelegenheit für die ehemaligen tierischen Bewohner. Die Region soll für deren Wiederansiedlung genutzt werden. Beteiligt daran sind neben kasachischen und internationalen Institutionen auch das Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (Fiwi) der Veterinärmedizinischen Universität Wien, das die tierärztliche Betreuung der Wildtiere übernimmt.
Wildbiologin Petra Kaczensky arbeitet sowohl am Fiwi als auch am Norwegian Institute for Nature Research in Trondheim, das das Projekt koordiniert. „Gebiete – vor allem Grasland, das weltweit sowieso sehr selten geworden ist – mit so viel Platz sind eine Seltenheit“, betont sie. „Es gibt daher eine Chance für die Erhaltung bzw. Wiederherstellung von Artenvielfalt auf Landschaftsniveau. Und jetzt haben wir das Zeitfenster dafür.“
Eingebürgerter Kulan
Die erste Art, die im Zuge des Projekts „Altyn Dala Conservation Initiative“in der zentralkasachischen Steppe wieder eingebürgert werden soll, ist der Asiatische Wildesel oder Kulan. Die Verbreitung der Art reichte ursprünglich vom östlichen Mittelmeer bis in den Osten der Mongolei. Bejagung und Habitatverlust haben jedoch dazu geführt, dass sie heute nur noch in drei Prozent ihres ursprünglichen Lebensraumes vorkommt.
Den größten natürlichen Bestand gibt es heute in der Mongolei. In Kasachstan starb der Kulan in den 1930er-Jahren aus, wurde jedoch bereits in den 1950ern wieder angesiedelt. Im Südosten von Kasachstan, im Altyn-Emel-Nationalpark, gibt es eine solche wiedereingebürgerte Population, die mittlerweile rund 3000 Kulane umfasst.
Neun dieser Tiere wurden kürzlich nach Zentralkasachstan gebracht, wo sie den Anfang einer Gründerpopulation für dieses Gebiet bilden sollen. Das klingt jedoch alles viel einfacher, als es in der Praxis ist.
Zunächst mussten die Tiere gefangen werden. Das geschah nachts, indem sie mithilfe von Autos in ein Gehege getrieben wurden. „Es muss nachts sein, weil man sie tagsüber nicht dazu bringen kann, sich in eine bestimmte Richtung zu bewegen“, sagt Kaczensky, die alle diesbezüglichen Aktivitäten bisher mitgemacht hat, „aber in der Nacht kann man mit starken Handscheinwerfern aus dem Auto heraus eine Art Lichterzaun schaffen, durch den sie sich leiten lassen.“
Danach kamen die Tiere für eine Weile in Transportboxen, in denen sie per Hubschrauber die 1200 Kilometer von Altyn Emel nach Altyn Dala transportiert wurden. Um den Stress für die Kulane möglichst gering zu halten, wurde ihnen ein Beruhigungsmittel verabreicht, das es erlaubte, sie stehend zu transportieren, aber „sie waren ein bisschen wie in einer rosa Wolke“, wie Kaczensky ausführt, denn „eine so lange Vollnarkose wäre zu gefährlich“. Im Zielgebiet angekommen, wurden sie in einem großen Eingewöhnungsgehege am Rande des Schutzgebiets freigelassen. Wenn alles glattgeht, sollen sie kommendes Frühjahr gänzlich ausgewildert werden.
Erste Gruppe
Diese erste Gruppe umfasst vier Stuten mit ihren vier Fohlen und einen Junghengst, der mit drei Jahren zwar schon geschlechtsreif ist, unter normalen Bedingungen aber kaum eine Chance auf Fortpflanzung hätte, weil er sich kaum gegen ältere und größere Hengste durchsetzen könnte. Allerdings ruht nicht alle Verantwortung für die Vermehrung der kleinen Gruppe auf ihm: „Wir hoffen natürlich, dass die Stuten, die wir übersiedelt haben, schon wieder trächtig sind“, sagt Kaczensky über den Junghengst, der sich im Übrigen „sehr gesittet benimmt. Die ganze Gruppe verhält sich superharmonisch.“
Das ist deshalb erwähnenswert, weil Wildesel und besonders Hengste in Gehegen mitunter recht aggressiv sein können. Anders als Przewalski-Pferde, die in stabilen Herden zusammenleben, schließen sich Kulane zwar auch immer wieder zu Gruppen zusammen, deren Zusammensetzung wechselt aber ständig. Die einzig stabile Einheit dabei ist die Stute und ihr Fohlen.
Etwa 30 bis 40 Wildesel sollen in den nächsten drei bis vier Jahren in Altyn Dala ausgewildert werden – das sollte genügen, um eine Population zu gründen, die sich dauerhaft selbstständig vermehren kann. In der Folge sollen aber auch Przewalski-Pferde wieder angesiedelt werden, und der Schutz der bedrohten Saiga-Antilopen, von denen erst im Vorjahr 90 Prozent an einer bakteriellen Erkrankung starben, ist sowieso ein wesentliches Ziel der AltynDala-Conservation-Initiative.
Das alles wird seine Zeit brauchen, aber der erste Schritt zur Wiederansiedlung der Kulane ist getan, und er war „ziemlich stressig,“, wie Kaczensky zugibt, „aber wenn du dann siehst, wie die Wildesel zum ersten Mal seit mehr als hundert Jahren wieder über die Steppe laufen, dann weißt du: Das ist es wert.“