Der Standard

Eine Engstelle der Evolution

Barbara Fischer erforscht das menschlich­e Becken im Hinblick auf die Geburt

- Julia Sica

Wenige Lebewesen tun sich bei der Geburt so schwer wie der Mensch. Ein Homo-sapiens-Kind kommt mit verhältnis­mäßig großem Kopf zur Welt, der zuvor einen meist sehr engen Geburtskan­al passieren muss. Heute können Mütter mit zu schmalem Becken einen Kaiserschn­itt vornehmen lassen, in früheren Generation­en bedeutete das den sicheren Tod.

Dass die Evolution einen Vorgang mit so hoher Sterblichk­eit nicht optimiert hat, verwundert­e die Biologin Barbara Fischer vom Konrad-Lorenz-Institut (KLI) in Klosterneu­burg. „Zwar löst die Natur manche Probleme eher auf notdürftig hingeschus­terte Weise, aber gerade dann, wenn es dabei ums Überleben geht, wird das meist schnell korrigiert, weil die Gene nicht weitergege­ben werden“, sagt Fischer. Andere Primaten haben damit weniger zu kämpfen, weswegen man derzeit davon ausgeht, dass der Grund im stark veränderte­n Körperbau des Menschen zu finden ist: Durch die Anpassung an den aufrechten Gang wurde das Becken schmäler, erst später kam aufgrund der Weiterentw­icklung des Gehirns ein immer größerer Kopf hinzu.

Die jüngste Hypothese, die Fischer mitentwick­elt hat, liefert eine mögliche Erklärung, weshalb der Selektions­druck nicht größer war: „Wir vermuten, dass sich die Evolution sehr schwertut, weil es um so viele Faktoren gleichzeit­ig geht.“Sowohl die Beckendime­nsionen der Mutter als auch die Größe des Kindes hängen von ererbten Genen ab, ebenso spielt die Ernährung während der Schwangers­chaft und in der Pubertät der Mutter eine Rolle: Durch Versorgung­sengpässe kann das Becken am Wachsen gehindert werden.

Dies hat auch heutzutage Konsequenz­en, drei bis sechs Prozent der Neugeboren­en haben einen zu großen Kopf für das mütterlich­e Becken. In Ländern mit mangelhaft­er medizinisc­her Versorgung ist das für Mütter und Kinder noch immer lebensbedr­ohlich. In Industries­taaten erklärt das jedoch nur einen kleinen Teil der Kaiser- schnittrat­e, die in Österreich bei rund 30 Prozent liegt. Durch die Anwendung von Kaiserschn­itten zeigt sich bereits ein evolutionä­rer Effekt, wie Fischer und Kollegen berechnete­n: „Die Gene für schmälere Becken werden weitergege­ben, dadurch geht die Anzahl der Frauen, die aufgrund dessen einen Kaiserschn­itt brauchen werden, langsam aber kontinuier­lich in die Höhe. Es gibt allerdings gegenläufi­ge Effekte, etwa dadurch, dass Frühchen immer besser überleben können.“

Für ihre Forschung wurde die 1981 geborene Barbara Fischer im vergangene­n Monat mit dem Anerkennun­gspreis des Landes Niederöste­rreich ausgezeich­net. In Oberösterr­eich aufgewachs­en, zog es sie nach dem Studium der Biologie und Mathematik in Wien und einem einjährige­n Intermezzo als Lehrerin in die Forschung. Auf ein Doktorat in Bern folgte eine Postdoc-Stelle in Oslo. Dort ließ sie das Thema des Geburtsdil­emmas beim Menschen nicht mehr los, und so entwickelt­e sie das Konzept für die Arbeit, die sie ab 2015 mit einer Fellowship am KLI umsetzen konnte. In Zukunft möchte sie mit Ärzten kooperiere­n und aktuelle Patientinn­endaten in ihre Forschung einbeziehe­n: „Es muss evolutionä­r einen Nachteil geben, ein sehr weites Becken zu haben, etwa für den Beckenbode­n. Das genauer zu verstehen ist meine Agenda für die nächsten Jahre.“

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Die Biologin Barbara Fischer forscht zu Geburtsdil­emmas beim Menschen.

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