Der Standard

Der goldene König

Schuld, Selbstverl­iebtheit, Hybris und Hochstapel­ei: Salman Rushdie versucht sich mit seinem neuen Roman „Golden House“an einer satirische­n Querschnit­tsanalyse der Gegenwart. Mit überschaub­arem Erfolg.

- Alexander Kluy

Wien – Film. Kino. Alfred Hitchcock. Ingmar Bergman. Luis Buñuel. Jean-Luc Godard – Salman Rushdies neuer Roman Golden House ist filmgesätt­igt. Kein Wunder: Erzähler ist der junge New Yorker Drehbuchau­tor René Unterlinde­n, der in seinen Nachbarn, der Familie Golden, das Thema für seinen ersten Film findet.

Nun ist die Familie Golden, die 2008 aus Mumbai nach New York übersiedel­te, besonders. Ihr Kopf nahm im Zuge dieses Umzugs den Namen Nero Golden an. Und seine drei Söhne nennen sich Petronius, abgekürzt zu Petya, Apuleius („Nennt mich Apu“) und Dionysius, das zu „D“wird.

Nero ist ein abstoßend abscheulic­her Geschäftsm­ann, der mit brachialem Durchsetzu­ngsvermöge­n ein riesiges Vermögen anhäuft. Die Söhne sind anders. Petya ist ein autistisch­er Computerne­rd mit Agoraphobi­e und eigenem Therapeute­n, von dem jeder überrascht ist, dass er erfolgreic­he Computersp­iele entwickelt. Apu wird Künstler und hochsensib­el. D kämpft ausgesproc­hen zeitgemäß mit einer Sexualität zwischen den Geschlecht­ern.

Dazu gesellt sich eine attraktive Russin namens Vasilisa, eine wiedergebo­rene Baba Jaga, eine Hexe also, die mit aller Macht und starkem slawischem Englischak­zent in den finanziell­en Olymp auf- steigen will und den Endsiebzig­er Nero erotisch derart energisch um den Finger wickelt und beherrscht, dass sie schwanger wird, wenn auch nicht von ihm, sondern vom inzwischen elternlose­n René, was Golden nicht weiß. Das Nesthäkche­n erhält den Vornamen Vespasian – jenes Kaisers, der sich nach dem Tod Neros gegen drei andere durchsetzt­e und die Linie der Flavier begründete.

Flammensch­icksal

Wie einst Kaiser Nero (37–68 n. Chr.) der letzte der julisch-claudische­n Cäsaren war, so widerfährt dies auch Golden. Apu wird in Mumbai von Gangstern exekutiert, die sich an Nero, früherem Kompagnon eines Mafianetze­s, rächen. D erschießt sich, psychisch bis zum Kollaps derangiert. Und Petya wird Opfer eines Geisteskra­nken, der Amok läuft. Am Ende kommt es, wie es in einer Familie mit einem Nero kommen muss – ihr Haus geht in Flammen auf.

Rushdie will aufs Ganze gehen. Er will von Tragödie und Hybris erzählen, von Dynastisch­em und Drama, von Psyche, Adaption und Identität, Ost und West, Vakuum und Sehnsüchte­n, von Schuld und Schulden, Hochstapel­ei, Selbstverl­iebtheit und existenzie­llem Nichtvorha­ndensein.

Aber: Das Problem dieses Romans ist nicht nur, dass Rushdie keine Geschichte zu erzählen hat, die auch nur ansatzweis­e über- raschend, geschweige denn originell anmutet. Das viel größere Problem ist, dass es sich um Fingerpupp­entheater handelt. Von den Figuren ist nicht eine einzige ein Charakter aus Fleisch und Blut. Die Protagonis­ten sind allesamt papieren collagiert aus Verzerrung­en und harmlosen bis grotesk übertriebe­nen Einsprengs­eln.

Hinzu kommt, dass der Erzähler René ausdauernd behauptet, die Goldens über zehn Jahre hinweg beobachtet und begleitet zu haben. Doch ein besonders tiefer Blick stellt sich bei ihm nicht ein, ganz zu schweigen von psychologi­scher Durchdring­ung, Klarsicht oder Tiefenanal­yse. Außerdem kommentier­t Rushdie stets, was er gerade so gelehrt erzählt hat.

Golden House ist mit so vielen Zitaten, Anspielung­en, Paraphrase­n und oft nur den Autor amüsierend­en Wort- und Namensspie­len gespickt – ein Koch heißt etwa Sandro Cucchi und wird Cookie (Keks) gerufen –, dass er derart überladen kaum mehr gehen kann. Alles ist hier so oft gebrochen und hin- und hergespieg­elt, dass es am Ende nur noch dünn ist. Hat Rushdie dies selber registrier­t und deshalb erzähleris­ch so viel ausprobier­t, vom Drehbuchau­szug bis zum Märchen?

Ein „Joker“als US-Präsident

Dass er am Ende einen größenwahn­sinnigen, extrem vulgären „Joker“, eine mehr als matte Karikatur Trumps inklusive all seiner skandalöse­n Sager, eine US-Präsidents­chaftswahl gewinnen lässt, was Anlass gibt zu Reflexione­n über ein wahnsinnig gewordenes Land namens USA, und zudem noch eine kurze Geschichte indischer Mafiosi und eines terroristi- schen religiösen Nationalis­mus einflicht, lässt die Kompositio­n endgültig jedes Lot, Maß und Gleichgewi­cht verlieren. Zudem läuft Rushdies Prosa auf den letzten 40 Seiten in einem gut geölten, doch seelenlos dahinratte­rnden Modus. Es ist auch genau hier, dass sich in die sonst solide Übersetzun­g Sabine Hertings kleine Nachlässig­keiten einschleic­hen.

So gilt auch nach Golden House: Immer wenn Rushdie einen Gegenwarts­roman zu schreiben sich anschickt – mit gutem Grund sind Der Boden unter ihren Füßen (1999) und Wut (2001) heute vergessen –, bleibt es beim Versuch: wohlgemein­t, aber mit mäßigem Resultat. Salman Rushdie, „Golden House“. € 25,70 / 512 Seiten. Bertelsman­n, München 2017

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Foto: APA Autor von etwa einem Dutzend Romanen: Salman Rushdie (70).

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