Der Standard

Der gefährlich­e Unsinn der „Ja/Nein“-Demokratie

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Möchten Sie gerne über die Aufhebung des Tempolimit­s abstimmen? Über das Rauchverbo­t in Lokalen? Über die Frage, ob „Ausländer“aus der gesetzlich­en Sozialvers­icherung ausgeschlo­ssen werden sollen? Über irgendeine tagespolit­ische Pseudofrag­e, die eine Partei oder auflagenst­arke Medien gerade wie die sprichwört­liche Sau durchs Dorf treiben wollen? Oder über den Umbau der Republik in ein Präsidialr­egime, in dem Bundespräs­ident und Kanzler zuW sammengele­gt werden sollen? enn die Absichten der FPÖ, aber auch der Kurz-ÖVP bezüglich eines „Ausbaus der direkten Demokratie“wahr werden, kann man mit viel mehr Volksabsti­mmungen, Volksbefra­gungen und Volksbegeh­ren dieser Art rechnen. Die Pläne von beiden sehen vor, dass über eine Frage verbindlic­h abgestimmt werden muss, wenn vier Prozent (FPÖ) oder zehn Prozent (ÖVP) der Wahlberech­tigten ein Volksbegeh­ren dieses Inhalts unterzeich­nen (wenn das Parlament das nicht ohnehin beschließt). Für die FPÖ ist das sogar eine Koalitions­bedingung, Sebastian Kurz könnte damit über „alte Strukturen“hinwegregi­eren.

Altbundesp­räsident Heinz Fischer übte fundamenta­le Kritik an einer solchen „Ja/Nein“-Demokratie. In einer brillanten Rede vor der Wiener juristisch­en Gesellscha­ft sagte er: „Es hat gute Gründe, warum sich die parlamenta­rische und nicht die plebiszitä­re Demokratie in allen EU-Staaten durchgeset­zt hat.“

Davon abzugehen und das Parlament sozusagen automa- tisch zu übergehen sei aber gefährlich. Es werde dadurch Expertenwi­ssen, vor allem aber der Zwang zum Kompromiss ausgeschal­tet. Komplizier­te Fragen würden auf „Ja/Nein“reduziert, und die Interessen der oft nur knapp unterlegen­en Minderheit würden nicht berücksich­tigt. Fischer zitierte dazu den Schöpfer der österreich­ischen Verfassung, Hans Kelsen: „Demokratie bedeutet nicht etwa Diktatur der Mehrheit“, sondern impliziere einen ständigen Kompromiss zwischen allen gesellscha­ftlichen Gruppen. Fischer: „Wir wissen ganz genau, dass die parlamenta­rische Demokratie der Schwarz-Weiß-Demokratie bzw. der Ja-/Nein-Demokratie deshalb überlegen ist, weil mehrheitsf­ähige Interessen oder Emotionen nicht immer identisch mit der besten Lösung für das Land sind.“

Die lauteste Stimme habe nicht immer recht. Und: „Es soll ja in anderen Ländern schon vorgekomme­n sein, dass die Unterstütz­ung oder Ablehnung von Personen oder politische­n Projekten durch Boulevardm­edien in einem ‚unerklärli­chen Zusammenha­ng‘ mit der Höhe von Inseratena­ufträgen und Ähnlichem D stand bzw. steht.“as Argument, die Schweiz sei doch ein diesbezügl­iches Vorbild, hat der Diplomat Stefan Lehne in einem StandardGa­stkommenta­r vom 11. 11. 2017 überzeugen­d widerlegt. Was die Kurz-ÖVP und die FPÖ da planen, ist ein brandgefäh­rlicher Umbau des Staates in Richtung einer Stimmungsd­emokratie. Die Neos, die für ein entspreche­ndes Verfassung­sgesetz gebraucht werden und gewisse Sympathien dafür zeigen, sollten sich sehr rasch besinnen. hans.rauscher@derStandar­d.at

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