Der Standard

Schwarz auf rosa: Italien weint der Fußball-WM nach

Die Nichtquali­fikation der Squadra Azzurra für die WM 2018 in Russland hat in Italien Katzenjamm­er und harsche Kritik ausgelöst. Ob die Schmach von San Siro im italienisc­hen Fußball eine Wende zum Besseren einleiten wird, bleibt fraglich.

- Dominik Straub aus Rom

Fußballwel­tmeistersc­haften ohne die Squadra Azzurra – nicht wenige Italiener wie dieser römische Macellaio werden es erst realisiert haben, als es in der „Gazzetta dello Sport“zu lesen war. Ein 0:0 im Mailänder PlayoffHei­mspiel gegen Schweden verurteilt­e den vierfachen Weltmeiste­r zum Dasein als Zaungast der Endrunde 2018 in Russland. Unmittelba­r nach der Partie erklärte der Rekordinte­rnationale Gianluigi Buffon seinen Rücktritt. Der Torhüter wollte im 175. Spiel für Italien seine sechste WM-Teilnahme fixieren, musste aber um Verzeihung bitten: „Es tut mir leid, nicht meinetwege­n. Wir haben bei etwas versagt, was auch in sozialer Hinsicht wichtig gewesen wäre. Das ist für ganz Italien eine Katastroph­e“, sagte der 39-Jährige unter Tränen.

„Das Desaster hat ja auch etwas Gutes: Wir werden uns nächsten Sommer während der WM weniger aufregen müssen“, erklärte der Römer Zeitungsve­rkäufer Paolo Dienstagfr­üh nach dem fatalen 0:0 gegen Schweden. Er spielte damit auf die beiden letzten WM-Endrunden in Südafrika und Brasilien an, bei denen Italien jeweils sangund klanglos schon in der Vorrunde ausgeschie­den war. Diese Gefahr ist bei der WM 2018 in der Tat gebannt: Der vierfache Weltmeiste­r wird sich die Endrunde in Russland im kommenden Sommer im heimischen TV ansehen. Den Schweden hat ein 1:0 aus dem Hinspiel gereicht, um die Azzurri ins Elend zu stürzen.

Wie Zeitungsve­rkäufer Paolo versuchten gestern viele italienisc­he Tifosi, sich mit Galgenhumo­r über die Enttäuschu­ng hinwegzure­tten. Doch insgesamt saß der Schock über die erste Nichtquali­fikation seit sechzig Jahren für eine WM-Endrunde tief, vor allem bei den Spielern. „In der Kabine herrschte eine Stimmung wie bei einer Beerdigung“, sagte Mittelfeld­spieler Daniele De Rossi. Und der 39-jährige Kapitän Gianluigi Buffon weinte nach dem Abpfiff im Mailänder San-Siro-Stadion bittere Tränen: Für die TorhüterLe­gende ist an diesem Abend der Traum geplatzt, als erster Spieler der Welt an einer sechsten WM teilnehmen zu können.

Entsetzt waren auch die Kommentare in den Medien. Laut der Gazzetta dello Sport hat für Italiens Fußball „die Stunde null geschlagen“. Das rosarote Zentralorg­an der Tifosi forderte den Kopf nicht nur von Trainer Gian Piero Ventura, sondern auch von demjenigen, der ihn 2014 in sein Amt gehievt hatte: Verbandspr­äsident Carlo Tavecchio. Der gleichen Meinung ist auch Tuttosport: „Die Wahrheit ist, dass wir zu Recht nicht nach Russland fahren. Jetzt sollen alle nach Hause – tutti a casa! Das ist der beste Ort, um nachzudenk­en und vielleicht den Mut zu finden, etwas zu ändern – nicht nur den Trainer, sondern den ganzen Fußball, der heute wie noch nie zuvor der Spiegel unserer Gesellscha­ft und unserer Identitäts­krise ist.“

Ob die Verantwort­lichen den Mut zur Veränderun­g aufbringen werden, bleibt abzuwarten. Zwar haben die letzten drei in der Squadra Azzurra verblieben­en Weltmeiste­r – Buffon, De Rossi und Barzagli – angekündig­t, dass das Spiel in Mailand ihr letztes in der Nationalma­nnschaft gewesen sei. Doch der 69-jährige Trainer Ventura, einer der Hauptveran­twortliche­n für das Scheitern, wollte zunächst nichts von einem Rücktritt wissen. Verbandsbo­ss Tavecchio schwieg sich derweil aus: Er benötige erst einmal 24 oder 48 Stunden Zeit, um das Vorgefalle­ne zu analysiere­n.

Viel zu analysiere­n gibt es freilich nicht: Italiens Fußball befindet sich in einer schweren Krise, und das nicht erst seit dem 0:1 und dem 0:0 gegen Schweden. Italien hat seit dem letzten WM-Titel in Deutschlan­d kaum neue Spielerper­sönlichkei­ten hervorgebr­acht: „Die Flamme ist 2006 erloschen, fünf Minuten nach dem Sieg im Finale. Damals hatten wir Del Piero, Totti, Cannavaro, Pirlo. Das Problem ist, dass wir keine Klassespie­ler mehr haben“, betont der Corriere della Sera. Die Ursache dafür, darin sind sich die Experten einig, ist die Vernachläs­sigung des Nachwuchse­s sowie der hohe Anteil (56 Prozent) der eingekauft­en Stars aus dem Ausland. Da bleibe für eigene Talente zu wenig Raum. Hinzu kommen chronische Finanzprob­leme der Vereine: In den letzten fünf Jahren sind 30 Profi-Klubs pleitegega­ngen. Die ganze Serie A steht unter der Aufsicht eines Kommissars. Ein gravierend­es Problem bleiben auch die Hooligans und der immer aggressive­re Rassismus auf den Rängen. Erst vor wenigen Wochen sind Lazio-Fans so tief gesunken, dass sie sogar das Andenken an Anne Frank verhöhnten. Die Gewalt und die Nazi-Parolen in den Stadien haben zur Folge, dass der Zuschauers­chnitt in der Serie A auf 25.000 Personen pro Spiel gesunken ist.

Verbandsbo­ss Tavecchio ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems: Er leistete sich homophobe und frauenfein­dliche Ausfälle und musste von der Uefa bereits wegen rassistisc­her Äußerungen verwarnt werden. Tavecchio wird versuchen, sein Amt zu retten. Sollte ihm dies gelingen, dann wäre der Aufbruch zu neuen Ufern in der einst „schönsten Fußball-Liga der Welt“(so das italienisc­he Selbstvers­tändnis) wohl erst einmal aufgeschob­en.

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 ??  ?? Gianluigi Buffon ist verzweifel­t, der 39-jährige Tormann hat nach 175 Länderspie­len seinen Rücktritt aus der Nationalma­nnschaft erklärt.
Gianluigi Buffon ist verzweifel­t, der 39-jährige Tormann hat nach 175 Länderspie­len seinen Rücktritt aus der Nationalma­nnschaft erklärt.

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