ZITAT DES TAGES
Sexuelle Gewalt und Belästigung beschäftigen seit Wochen die Öffentlichkeit. der Standard hat mit den Gewaltschutzexpertinnen Maria Rösslhumer, Nora Ruck und Ursula Kussyk über Täterschaft und die Verantwortung der Medien gesprochen.
„Bei sexueller Belästigung und Gewalt geht es schließlich um eine Erniedrigungshandlung, und wer sagt schon gerne, dass er erniedrigt worden ist?“
Standard: Als die derzeit riesige Debatte über sexuelle Belästigung und Gewalt losging: Was war Ihr erster Eindruck, wie sich diese auf das Problemfeld Gewalt gegen Frauen auswirken könnte? Rösslhumer: Grundsätzlich finde ich Kampagnen wie #MeToo und davor auch #Aufschrei sehr gut. Sie zeigen auch, wie lange es oft dauert, dass sich Frauen trauen, Gewalt an ihnen öffentlich zu machen. Das ist eine enorme Herausforderung, und es erfordert Mut und Courage. Das Ganze ist also eine große Stärkung für Frauen. Ruck: Der Fall Weinstein hat etwas mit dem vorigen medialen Fokus auf Gewaltthemen gemeinsam, der vor Weinstein vor allem auf arabischen Männern lag. Bei beiden gibt es die Möglichkeit, das Thema einfach auszulagern. Bei Hollywood kann man sagen, das sei halt eine spezifische Branche, mit viel Geld und Ruhm, bei den arabischen Männern, dass es eine andere Kultur ist. Deshalb bin ich froh, dass man sich von Weinstein ausgehend schnell auf die#MeToo-Kampagne konzentrierte. Und jetzt reden auch Männer über Übergriffe, das haben die Vorwürfe gegen Kevin Spacey ausgelöst.
Standard: Gibt es für männliche Opfer sexueller Gewalt eine größere Hemmschwelle, darüber zu reden? Rösslhumer: Ja. Laut einer Studie aus dem Jahr 2011 vom Bundesministerium für Familie waren 27 Prozent aller befragten Männer (1.042) mit dem Thema sexuelle Belästigung konfrontiert, im Vergleich zu 74 Prozent bei den Frauen. Kussyk: Frauen schämen sich natürlich auch. Nicht nur Macht und Abhängigkeit spielen eine Rolle, warum Opfer schweigen, sondern auch Scham. Bei sexueller Belästigung und Gewalt geht es schließlich um eine Erniedrigungshandlung, und wer sagt schon gerne, dass er erniedrigt worden ist? Das ist immer unangenehm. Ruck: Es geht nicht nur ums Darübersprechen, sondern auch um die Wahrnehmung. Der öffentliche Diskurs spielt eine große Rolle dabei, ob Gewalt als Gewalt, sexuelle Belästigung als Belästigung wahrgenommen wird. Es gibt psychologische Mechanismen, die uns davon abhalten, etwas als Belästigung oder Gewalt wahrzunehmen.
Standard: Es gibt viele Studien und verlässliche Zahlen zum Thema. Ärgert es Sie als Expertinnen, dass es trotzdem nur in Wellen Beachtung findet? Kussyk: Der Nachteil an den Studien ist, dass die Täter dahinter völlig unsichtbar bleiben. Es gibt nur die Opferzahlen, und im Verborgenen bleibt, wie viele Männer vergewaltigen oder belästigen. Die Täter waren bisher irgendwelche Schattenwesen. Doch an der aktuellen Debatte über die vielen Prominenten sehen wir, dass es ganz konkrete Männer sind – und das erschüttert.
Standard: Im Zuge des aktu- ellen Aufschreis wird viel über Grenzen diskutiert und dass diese für Männer so schwer erkennbar seien. Ist das so? Kussyk: Es gibt Untersuchungen darüber, inwieweit Männer zwischen sexueller Belästigung und dem, was noch okay ist, unterscheiden können. Für diese Untersuchungen wurden Männer gefragt: „Ist das Belästigung oder noch nicht?“Es zeigte sich, dass diese Grenzen meistens sehr klar sind. Wenn man jemandem schlichtweg nicht auf gleicher Augenhöhe begegnet, zeigt man dem Gegenüber: Ich kann hier jetzt bestimmen. Viele zeigen derzeit ja große Ängste vor Zuständen, die angeblich in den USA herrschen: Alles sei nur mehr sexuelle Belästigung, Männer dürften überhaupt nichts mehr. Kussyk: Ist das wirklich so? Ruck: Da sind schon viele Projektionen im Spiel. Auf der einen Seite die sogenannte orientalische Welt, wo man mit Frauen der Imagination nach alles machen darf. Auf der anderen Seite die USA, wo angeblich alles verboten ist – und dazwischen Europa. Natürlich gibt es in den USA eine andere Klagskultur, und die Beziehungen zwischen Männern und Frauen sind in manchen Bereichen stärker reglementiert – denken wir nur an die dortige Datingkultur, die schon sehr reguliert ist.
Standard: Frau Kussyk, was raten Sie Ihren Klientinnen, die Opfer sexueller Gewalt wurden? Kussyk: Wir raten ihnen nicht, ob sie anzeigen sollen oder nicht. Wie erklären ihnen nur, was mit einer Anzeige auf sie zukommt. Ob sie sich dem aussetzen oder nicht, bleibt ihre Entscheidung. Aber ich persönlich finde es sehr problematisch anzuzeigen: Man bekommt massiv das Gefühl, dass einem nicht geglaubt wird. Es ist auch irrsinnig anstrengend, man muss in manchen Fällen zwei-, dreimal bei der Polizei aussagen – und noch mal bei Gericht. Die Frauen sind dabei oft extrem nervös, wie vor einer Prüfung. Nur steht nicht ihr Wissen auf dem Prüfstand, sondern die Frau als Person. Der mutmaßliche Täter muss währenddessen zu alldem nichts sagen, und dann wird das Verfahren vielleicht eingestellt. Da fühlen sich viele Frauen verarscht. Rösslhumer: Aber die in Österreich geltende Prozessbegleitung, die durch das Verfahren hilft, ist schon eine Hilfe. Kussyk: Ja. Viele gehen ohne Prozessbegleitung durch die Verfahren, weil sie gar nicht wissen, dass es das gibt. Ich würde keiner Frau unbegleitet zu einem Verfahren raten. Rösslhumer: Trotzdem muss man Frauen ermutigen anzuzeigen. Wie es ausgeht, das ist eine andere Geschichte. Die Frauen müssen darüber informiert werden, dass es Prozessbegleitung gibt und Einrichtungen, die ihnen helfen.
Standard: Die Sprache über sexuelle Gewalt in den Medien wird immer wieder kritisiert. Wenn etwa von „Sexattacken“die Rede ist, würde das Opfer verhöhnen und Gewalt verniedlichen. Was muss anders werden? Ruck: Es soll etwa nicht von Tätern als „Monstern“die Rede sein, die Taten sollen auch nicht pathologisiert werden, denn damit wird ausgeblendet, dass es ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Jede Form von Sensationalisierung oder Individualisierung sollte vermieden werden, das sollte eine Faustregel sein. Und es sollten parallel zur Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen auch immer die gesellschaftlichen Hintergründe beleuchtet werden. Es wird etwa kaum über Männlichkeit gesprochen, und wenn, dann sind es bestimmte Männlichkeiten wie „die Afghanen“, die der oberösterreichische Landespolizeipräsident als „auffällige Gruppe“definierte.
Standard: Welche Männlichkeitsbilder spielen für das Gewaltproblem eine Rolle? Rösslhumer: Es wird kaum hinterfragt, warum Täter so agieren, wie sie agieren. Männer werden viel zu wenig dahingehend sozialisiert und konfrontiert, über ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu reden oder einen erweiterten Wortschatz zu entwickeln, mit dem sie sich differenziert über ihre Gefühlswelt äußern müssen. In den Schulen fällt mir immer wieder auf, dass Burschen selten über die Begrifflichkeiten „gut“oder „schlecht“hinausgehen, wenn man sie danach fragt, wie es ihnen geht. Ruck: Es gibt aber schon Emotionen, die männlich kodiert sind und die auch als okay gelten, etwa Wut oder Aggression. Aber passive Emotionen wie Angst oder Trauer gehören nicht zum herrschenden Männlichkeitsbild dazu – doch genau das WahrnehmenKönnen auch dieser Emotionen müsste man stärken.
Denn natürlich haben auch Männer Nachteile aus dem Patriarchat, oder anders gesagt: Es haben nur manche Männer Vorteile aus dem Patriarchat. Die anderen Männer sind auch die Dummen.
Der öffentliche Diskurs spielt eine große Rolle, ob Gewalt als Gewalt wahrgenommen wird. Nora Ruck
An der aktuellen Debatte sehen wir, dass es konkrete Täter sind – und das erschüttert. Ursula Kussyk Es wird kaum hinterfragt, warum Täter so agieren, wie sie agieren. Maria Rösslhumer
URSULA KUSSYK (geb. 1966) ist Leiterin des Vereins Notruf, Beratung für Vergewaltigte MARIA RÖSSLHUMER (geb. 1960) ist Geschäftsführerin des Vereins Autonome Frauenhäuser NORA RUCK (geb. 1981) ist Assistenzprofessorin für Psychologie an der Sigmund-Freud-Uni Wien