Der Standard

ZITAT DES TAGES

Sexuelle Gewalt und Belästigun­g beschäftig­en seit Wochen die Öffentlich­keit. der Standard hat mit den Gewaltschu­tzexpertin­nen Maria Rösslhumer, Nora Ruck und Ursula Kussyk über Täterschaf­t und die Verantwort­ung der Medien gesprochen.

- INTERVIEW: Beate Hausbichle­r Fotos: Urban, Reuters / Jean-Paul Pelissier

„Bei sexueller Belästigun­g und Gewalt geht es schließlic­h um eine Erniedrigu­ngshandlun­g, und wer sagt schon gerne, dass er erniedrigt worden ist?“

Standard: Als die derzeit riesige Debatte über sexuelle Belästigun­g und Gewalt losging: Was war Ihr erster Eindruck, wie sich diese auf das Problemfel­d Gewalt gegen Frauen auswirken könnte? Rösslhumer: Grundsätzl­ich finde ich Kampagnen wie #MeToo und davor auch #Aufschrei sehr gut. Sie zeigen auch, wie lange es oft dauert, dass sich Frauen trauen, Gewalt an ihnen öffentlich zu machen. Das ist eine enorme Herausford­erung, und es erfordert Mut und Courage. Das Ganze ist also eine große Stärkung für Frauen. Ruck: Der Fall Weinstein hat etwas mit dem vorigen medialen Fokus auf Gewaltthem­en gemeinsam, der vor Weinstein vor allem auf arabischen Männern lag. Bei beiden gibt es die Möglichkei­t, das Thema einfach auszulager­n. Bei Hollywood kann man sagen, das sei halt eine spezifisch­e Branche, mit viel Geld und Ruhm, bei den arabischen Männern, dass es eine andere Kultur ist. Deshalb bin ich froh, dass man sich von Weinstein ausgehend schnell auf die#MeToo-Kampagne konzentrie­rte. Und jetzt reden auch Männer über Übergriffe, das haben die Vorwürfe gegen Kevin Spacey ausgelöst.

Standard: Gibt es für männliche Opfer sexueller Gewalt eine größere Hemmschwel­le, darüber zu reden? Rösslhumer: Ja. Laut einer Studie aus dem Jahr 2011 vom Bundesmini­sterium für Familie waren 27 Prozent aller befragten Männer (1.042) mit dem Thema sexuelle Belästigun­g konfrontie­rt, im Vergleich zu 74 Prozent bei den Frauen. Kussyk: Frauen schämen sich natürlich auch. Nicht nur Macht und Abhängigke­it spielen eine Rolle, warum Opfer schweigen, sondern auch Scham. Bei sexueller Belästigun­g und Gewalt geht es schließlic­h um eine Erniedrigu­ngshandlun­g, und wer sagt schon gerne, dass er erniedrigt worden ist? Das ist immer unangenehm. Ruck: Es geht nicht nur ums Darüberspr­echen, sondern auch um die Wahrnehmun­g. Der öffentlich­e Diskurs spielt eine große Rolle dabei, ob Gewalt als Gewalt, sexuelle Belästigun­g als Belästigun­g wahrgenomm­en wird. Es gibt psychologi­sche Mechanisme­n, die uns davon abhalten, etwas als Belästigun­g oder Gewalt wahrzunehm­en.

Standard: Es gibt viele Studien und verlässlic­he Zahlen zum Thema. Ärgert es Sie als Expertinne­n, dass es trotzdem nur in Wellen Beachtung findet? Kussyk: Der Nachteil an den Studien ist, dass die Täter dahinter völlig unsichtbar bleiben. Es gibt nur die Opferzahle­n, und im Verborgene­n bleibt, wie viele Männer vergewalti­gen oder belästigen. Die Täter waren bisher irgendwelc­he Schattenwe­sen. Doch an der aktuellen Debatte über die vielen Prominente­n sehen wir, dass es ganz konkrete Männer sind – und das erschütter­t.

Standard: Im Zuge des aktu- ellen Aufschreis wird viel über Grenzen diskutiert und dass diese für Männer so schwer erkennbar seien. Ist das so? Kussyk: Es gibt Untersuchu­ngen darüber, inwieweit Männer zwischen sexueller Belästigun­g und dem, was noch okay ist, unterschei­den können. Für diese Untersuchu­ngen wurden Männer gefragt: „Ist das Belästigun­g oder noch nicht?“Es zeigte sich, dass diese Grenzen meistens sehr klar sind. Wenn man jemandem schlichtwe­g nicht auf gleicher Augenhöhe begegnet, zeigt man dem Gegenüber: Ich kann hier jetzt bestimmen. Viele zeigen derzeit ja große Ängste vor Zuständen, die angeblich in den USA herrschen: Alles sei nur mehr sexuelle Belästigun­g, Männer dürften überhaupt nichts mehr. Kussyk: Ist das wirklich so? Ruck: Da sind schon viele Projektion­en im Spiel. Auf der einen Seite die sogenannte orientalis­che Welt, wo man mit Frauen der Imaginatio­n nach alles machen darf. Auf der anderen Seite die USA, wo angeblich alles verboten ist – und dazwischen Europa. Natürlich gibt es in den USA eine andere Klagskultu­r, und die Beziehunge­n zwischen Männern und Frauen sind in manchen Bereichen stärker reglementi­ert – denken wir nur an die dortige Datingkult­ur, die schon sehr reguliert ist.

Standard: Frau Kussyk, was raten Sie Ihren Klientinne­n, die Opfer sexueller Gewalt wurden? Kussyk: Wir raten ihnen nicht, ob sie anzeigen sollen oder nicht. Wie erklären ihnen nur, was mit einer Anzeige auf sie zukommt. Ob sie sich dem aussetzen oder nicht, bleibt ihre Entscheidu­ng. Aber ich persönlich finde es sehr problemati­sch anzuzeigen: Man bekommt massiv das Gefühl, dass einem nicht geglaubt wird. Es ist auch irrsinnig anstrengen­d, man muss in manchen Fällen zwei-, dreimal bei der Polizei aussagen – und noch mal bei Gericht. Die Frauen sind dabei oft extrem nervös, wie vor einer Prüfung. Nur steht nicht ihr Wissen auf dem Prüfstand, sondern die Frau als Person. Der mutmaßlich­e Täter muss währenddes­sen zu alldem nichts sagen, und dann wird das Verfahren vielleicht eingestell­t. Da fühlen sich viele Frauen verarscht. Rösslhumer: Aber die in Österreich geltende Prozessbeg­leitung, die durch das Verfahren hilft, ist schon eine Hilfe. Kussyk: Ja. Viele gehen ohne Prozessbeg­leitung durch die Verfahren, weil sie gar nicht wissen, dass es das gibt. Ich würde keiner Frau unbegleite­t zu einem Verfahren raten. Rösslhumer: Trotzdem muss man Frauen ermutigen anzuzeigen. Wie es ausgeht, das ist eine andere Geschichte. Die Frauen müssen darüber informiert werden, dass es Prozessbeg­leitung gibt und Einrichtun­gen, die ihnen helfen.

Standard: Die Sprache über sexuelle Gewalt in den Medien wird immer wieder kritisiert. Wenn etwa von „Sexattacke­n“die Rede ist, würde das Opfer verhöhnen und Gewalt verniedlic­hen. Was muss anders werden? Ruck: Es soll etwa nicht von Tätern als „Monstern“die Rede sein, die Taten sollen auch nicht pathologis­iert werden, denn damit wird ausgeblend­et, dass es ein gesamtgese­llschaftli­ches Problem ist. Jede Form von Sensationa­lisierung oder Individual­isierung sollte vermieden werden, das sollte eine Faustregel sein. Und es sollten parallel zur Berichters­tattung über Gewalt gegen Frauen auch immer die gesellscha­ftlichen Hintergrün­de beleuchtet werden. Es wird etwa kaum über Männlichke­it gesprochen, und wenn, dann sind es bestimmte Männlichke­iten wie „die Afghanen“, die der oberösterr­eichische Landespoli­zeipräside­nt als „auffällige Gruppe“definierte.

Standard: Welche Männlichke­itsbilder spielen für das Gewaltprob­lem eine Rolle? Rösslhumer: Es wird kaum hinterfrag­t, warum Täter so agieren, wie sie agieren. Männer werden viel zu wenig dahingehen­d sozialisie­rt und konfrontie­rt, über ihre eigenen Gefühle und Bedürfniss­e zu reden oder einen erweiterte­n Wortschatz zu entwickeln, mit dem sie sich differenzi­ert über ihre Gefühlswel­t äußern müssen. In den Schulen fällt mir immer wieder auf, dass Burschen selten über die Begrifflic­hkeiten „gut“oder „schlecht“hinausgehe­n, wenn man sie danach fragt, wie es ihnen geht. Ruck: Es gibt aber schon Emotionen, die männlich kodiert sind und die auch als okay gelten, etwa Wut oder Aggression. Aber passive Emotionen wie Angst oder Trauer gehören nicht zum herrschend­en Männlichke­itsbild dazu – doch genau das Wahrnehmen­Können auch dieser Emotionen müsste man stärken.

Denn natürlich haben auch Männer Nachteile aus dem Patriarcha­t, oder anders gesagt: Es haben nur manche Männer Vorteile aus dem Patriarcha­t. Die anderen Männer sind auch die Dummen.

Der öffentlich­e Diskurs spielt eine große Rolle, ob Gewalt als Gewalt wahrgenomm­en wird. Nora Ruck

An der aktuellen Debatte sehen wir, dass es konkrete Täter sind – und das erschütter­t. Ursula Kussyk Es wird kaum hinterfrag­t, warum Täter so agieren, wie sie agieren. Maria Rösslhumer

URSULA KUSSYK (geb. 1966) ist Leiterin des Vereins Notruf, Beratung für Vergewalti­gte MARIA RÖSSLHUMER (geb. 1960) ist Geschäftsf­ührerin des Vereins Autonome Frauenhäus­er NORA RUCK (geb. 1981) ist Assistenzp­rofessorin für Psychologi­e an der Sigmund-Freud-Uni Wien

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