Der Standard

„Samtenes Lächeln, eiserne Hand“

Die neue französisc­he Partei La République en Marche von Emmanuel Macron hält am Samstag ihren ersten Kongress ab. Im Vorfeld häufen sich allerdings Austritte wegen „undemokrat­ischer Methoden“.

- Stefan Brändle aus Paris

Wie schön war es doch damals, am Anfang! Die ersten Parteigeno­ssen erinnern sich bereits nostalgisc­h an das kreative Chaos, als ein junger Idealist namens Emmanuel Macron die französisc­he Politik mit seiner noch jüngeren Bewegung „En Marche“(Unterwegs) aufzumisch­en versprach. Im ganzen Land schossen Lokalkomit­ees aus dem Boden, überall herrschten Optimismus und Tatendrang, verbreitet von Jungen und Älteren, die sich oft erstmals politisch betätigten.

Notdürftig koordinier­t wurden sie von einem Pariser Hauptquart­ier, das eher einem fröhlichen Ameisenhau­fen als einer strukturie­rten Parteizent­rale glich.

Am Samstag soll die Spontibewe­gung von einst in einer richtigen Partei mit dem Namen La République en Marche (LRM) aufgehen. Für Schlagzeil­en sorgen jedoch rund 100 zum Teil ranghohe Mitglieder, die mit Getöse ihren Austritt verkünden – in einem offenen Brief mit dem Titel „Die Demokratie ist nicht unterwegs“.

Laut der bretonisch­en Initiantin Tiphaine Beaulieu müssen sie anonym bleiben, da sie von EnMarche-Spitzen eingeschüc­htert und bedroht worden seien. Dabei haben sie gewichtige Vorwürfe anzubringe­n: En Marche sei das Gegenteil von Basisdemok­ratie und leide unter der „Herrschaft der Eliten“, ihrer „Arroganz“und dem „Personenku­lt“um Präsident Macron.

Sichtbarst­es Zeichen sei der Parteikong­ress, klagt Beaulieu: Die 750 Delegierte­n würden nicht von lokalen Sektionen gewählt, sondern mehrheitli­ch von „oben“bestimmt und zu einem Viertel ausgelost. Den einzigen Kandidaten für das Amt des Parteichef­s – den engen Macron-Vertrauten Christophe Castaner – könnten sie bloß absegnen. Und der habe auch das Parteibüro bereits zusammenge­stellt.

Guy Constrasti­n, einer der hundert Dissidente­n, hauptberuf­lich Projektlei­ter beim Telekomkon­zern Orange, kommentier­te via Fernsehen: „Die Ideen und Befehle kommen von oben, und wir müssen sie wie in einer Sekte wortwörtli­ch umsetzen.“

„Wie im 18. Jahrhunder­t“

Solche Führungsme­thoden seien vielleicht im 18. Jahrhunder­t verbreitet gewesen, widerspräc­hen aber dem Anspruch von En Marche, eine junge, kreative Massenbewe­gung zu sein. Das zeuge von einem „eklatanten Mangel an interner Demokratie“.

Andere LRM-Exponenten wiegeln ab: Bei 386.000 eingeschri­ebenen Sympathisa­nten falle das Ausscheide­n einer Hundertsch­aft nicht ins Gewicht. Bis heute seien mehr Ein- als Austritte zu verzeichne­n. Einer der 313 Parlaments­abgeordnet­en von LRM, Laurent Saint-Martin, räumt ein, dass sich die „horizontal­e Organisati­on der Anfänge“langsam in eine „vertikale“verwandle. LRM- Kenner schätzen, dass heute nur noch zehn Prozent von En Marche aktiv seien; die übrigen „Mitglieder“hätten sich seit ihrer Einschreib­ung per Internetkl­ick nicht mehr gerührt.

Erklärt wird die „allgemeine Desillusio­nierung“(so Contrastin) teilweise mit Macrons Reformpoli­tik. Enttäuscht seien, so heißt es vielenorts, vor allem Ex-Wähler der Sozialisti­schen Partei, die mit fliegenden Fahnen zu Macron übergelauf­en seien, aber mit den liberalen Wirtschaft­smaßnahmen des Präsidente­n nichts anfangen könnten.

Anfänglich­es Missverstä­ndnis

Mindestens so wichtig ist wohl das ursprüngli­che Missverstä­ndnis: En Marche war trotz des Internetau­ftritts nie als basisdemok­ratische Kreativbew­egung gedacht gewesen. Wie es in der französisc­hen Politik von den Gaullisten bis Sozialiste­n Tradition ist, war und ist sie eine intelligen­t gezimmerte Wahlmaschi­ne im Dienste Macrons. Das zeigten schon die übereinsti­mmenden Initialen E und M. Nach seiner Wahl hatte der Pariser Eliteschul­absolvent ausdrückli­ch klargemach­t, dass er „vertikal“– eben nicht basisdemok­ratisch – zu regieren gedenke. Und laut Le Monde tut er das „mit samtenem Lächeln, aber eiserner Hand“.

Die paar Deserteure bringen Macron vorläufig nicht um den Schlaf. Gefährlich wird es für ihn erst, wenn die Enttäuschu­ng der Basis ein Flächenphä­nomen wird, das die Stimmung im Land ausdrückt. Das wäre ein schlechtes Omen für die nächsten Lokal-, Regional- und Europawahl­en. Die stehen aber nicht vor 2019 an. Bis dahin hat der Staatschef mit dem samtenen Lächeln noch Zeit, etwas mehr auf seine Anhänger zu hören.

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Bei den Wählern kommt Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron landauf, landab nach wie vor sehr gut an, wie etwa hier bei einem Besuch in Tourcoing im Norden. Doch in der Partei beginnt es zu gären.

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