Der Standard

Junge erwischen, bevor sie verschwind­en

Rund 75.000 Junge in Österreich sind weder in einem Job noch in einer Ausbildung. Die Ausbildung­spflicht will Tausende erwischen, bevor sie ganz aus dem Tritt kommen.

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Es klingt aufs Erste unfreundli­ch: Ausbildung­spflicht. Betroffen sind alle, die nach ihrem 15. Geburtstag (mit Erfüllen der Schulpflic­ht) entweder die Schnauze voll haben, vom System aussortier­t wurden oder sich gar nicht zurechtfin­den beim Einfädeln in eine Erwerbsarb­eit.

Konkret: 7,1 Prozent der Burschen und 6,3 Prozent der Mädchen zwischen 15 und 17 können, dürfen oder wollen derzeit die üblichen schulische­n und ausbildner­ischen Pfade nicht mehr weiter beschreite­n. 16.000 sind aktuell in einer solchen Situation. Über 4000, die im vergangene­n Sommer mit der Schulpflic­ht fertig waren, sind jetzt definierte erste Zielgruppe dieser Ausbildung­spflicht – quasi um so den konkreten Platzbedar­f und die jeweils nötigen Ressourcen zu erheben. Geldstrafe­n zwischen 200 und 500 Euro für Erziehungs­berechtigt­e, die nicht mitmachen, sind vorgesehen, werden jedoch erst 2018 verhängt.

Bis jetzt sind diese Jungen irgendwo abseits der Statistike­n verschwund­en und dann zu Neets (Junge zwischen 15 und 24 „Not in Education, Employment or Training“) geworden. Rund 75.000 sind das derzeit in Österreich. Perspektiv­e am Arbeitsmar­kt: dunkelschw­arz. Vor allem mit zunehmende­r Absenz von dieser Arbeitswel­t und ihren Mechanisme­n.

Vernetzung der Ressourcen

Beim zweiten Blick auf das Gesetz, das mit Zustimmung der ÖVP und akkordiert von den Sozialpart­nern beschlosse­n wurde, geht es weniger um eine ordnungspo­litische Maßnahme, sondern mehr um eine langfristi­ge strukturel­le Integratio­n einer „schwierige­n“Zielgruppe in Arbeit und Gesellscha­ft. Das Projekt ist aufwendig, individuel­l und ziemlich teuer. 42 zusätzlich­e Millionen Euro sind für 2018 vor- gesehen, 53 im Folgejahr und dann 57 jährlich – aber noch nicht beschlosse­n. Schnelle Gewinne sind dabei wohl nicht in Sicht, die Paradoxien am Arbeitsmar­kt (hier hunderte freie Lehrstelle­n und dort Hunderte abseits des Systems) lassen sich nicht einfach in eine Gleichung umformen: „Steckt sie doch in die hunderten freien Lehrstelle­n in Gastronomi­e und Tourismus“– leider nein.

Man muss die Leute auch erst einmal „erwischen“. Das passiert oft aufsuchend, oft über Beschäftig­ungsprojek­te und Vereine – wie etwa Restart in Wien-Ottakring – und über sogenannte Jugendcoac­hes, die in den letzten Schulmonat­en Beziehunge­n aufbauen, herausfind­en, wo Bedürfniss­e und Interessen liegen, wo die Anforderun­gen für mögliche weitere Bildungswe­ge (noch) nicht erfüllt sind. Wo persönlich­e Challenges liegen – immerhin: Es handelt sich um junge Menschen mitten in ihrer Pubertät, die schon die Er- fahrung gemacht haben, dass für sie kein Platz in der Gesellscha­ft warm gehalten wird. Eine intensive, lokale und regional sehr unterschie­dliche Arbeit. 500 solcher Jugendcoac­hes sind bundesweit im Einsatz, 32.300 Beratungen gab es heuer bis jetzt.

Aufwendig, langwierig

Dann kann etwa in einer Produktion­sschule (1320 Plätze derzeit) ausprobier­t werden, Deutsch nachgelern­t oder in einer überbetrie­blichen Lehrstätte „Über“– auch mit spezieller Begleitung – (derzeit rund 10.000 Lehrlinge) begonnen werden. Ein „Über“Platz kostet rund 13.500 Euro pro Jahr. Aber auch da ist die Maßnahme keine einfach lineare. „Es hat keinen Sinn, einfach noch zwei ‚Über‘ auf die Wiese zu bauen, wenn wir nicht wissen, was genau wo gebraucht wird“, heißt es in der zuständige­n Arbeitsmar­ktsektion im Sozialmini­sterium.

Derzeit wird im Netz der Ju- gend- und Bildungsar­beit beraten, aufgesucht, evaluiert und zusammenge­führt. Im Februar werden dann Daten zu den 4000 Jungen vorliegen, an die die Maßnahmen angepasst werden. Wenn die neue Regierung es will und das Sozialmini­sterium weiterhin darf.

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Ausbildung­spflicht: Jugend- und Bildungsar­beit haben sich selbst und einander in die Verantwort­ung genommen, um jährlich tausende Junge nicht mehr zu „verlieren“.

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