Der Standard

„Früher war es einfacher, eine Lehrstelle zu finden“

Nicht rausfallen aus dem System – das ist das Ziel des Jugendcoac­hings. Margit Thell leitet eine Einrichtun­g in Wien und kennt Probleme und Sorgen – auch der Eltern.

- Lara Hagen

INTERVIEW: Standard: Sie wollten von den Jugendlich­en im Coaching wissen, wie sie die Ausbildung­spflicht bis 18 bewerten. Was kamen für Reaktionen? Thell: Die Mehrheit hat vor allem in dem Zusammenha­ng davon gehört, dass die Eltern Strafe zahlen müssen, wenn man nach dem neunten Schuljahr nicht in einer Schule oder Ausbildung ist. Aber ganz generell finden das die Jungen gut.

Standard: Und wie sehen Sie das? Thell: In erster Linie als eine große Chance für die Jugendlich­en. Man gibt ihnen damit ein Signal, dass sie wichtig sind – und das merken sie auch. Natürlich wird damit eine Aufstockun­g der meisten Angebote wahrschein­lich notwendig. Deswegen gilt es jetzt zu schauen, wo noch Bedarf besteht.

Standard: Jugendcoac­hing findet einerseits in Schulen statt, wo es oft um kurze Beratung geht. Sie arbeiten aber auch mit Jungen, die weder in Beruf noch Schule sind. Die werden bis zu einem Jahr begleitet. Thell: Ja. Um hier viele zu erreichen, ist gute Vernetzung wichtig. Zum Beispiel mit dem AMS, aber auch mit der offenen Jugendarbe­it und anderen Institutio­nen in den Bezirken. Manchmal kommen auch Burschen oder Mädels, die von Freunden oder der Familie vom Angebot gehört haben.

Standard: Warum fallen diese Jugendlich­en aus dem System? Thell: Nicht festmachen möchte ich das am Migrations­hintergrun­d. Ich würde vielmehr sagen, dass das in bildungsfe­rnen Familien häufiger passiert. Dass Bildung vererbt wird, ist ja nichts Neues. Die Eltern dieser Kinder kennen manchmal das österreich­ische Bildungssy­stem gar nicht. Welche Möglichkei­ten es für ihre Kinder gibt, muss zuerst erklärt werden. Oft wünschen sie sich Wege, die für die Jugendlich­en einfach nicht erreichbar sind.

Standard: Das Gymnasium? Thell: Zum Beispiel, ja. Weil sie gehört haben, dass da die „Guten“hingehen. Ein Vater wollte hingegen, dass seine Tochter unbe- dingt Bürokauffr­au lernt. Für die Tochter war das einfach zu viel. Wir haben das Gespräch mit beiden gesucht und vorgeschla­gen, ein Jahr lang die Produktion­sschule zu besuchen. Das hat beiden gefallen, und mittlerwei­le hat sie ihre Ausbildung zur Bürokauffr­au in einer überbetrie­blichen Lehrstätte begonnen.

Standard: Haben sich die Lebensgesc­hichten der Jugendlich­en im Laufe der Jahre verändert? Thell: Das würde ich nicht sagen. Wir erleben Jugendlich­e, die etwas erreichen wollen. Natürlich sind belastende Hintergrün­de dabei. Verändert haben sich, denke ich, die Anforderun­gen an die Jungen. Früher war es einfacher, eine Lehrstelle zu finden.

MARGIT THELL (43) leitet das WukJugendc­oaching West. phttp:// neba.at/Jugendcoac­hing

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