Der Standard

Bei Notruf Verteidige­r: Hotline bietet nach Festnahme Rechtsbeis­tand

1200 Mal haben strafrecht­lich Verdächtig­e in Österreich seit Anfang 2017 einen neuen Service des Justizmini­steriums und der Rechtsanwä­lte in Anspruch genommen: die Anwälte-Hotline, die jedoch nur einem kleinen Teil Beschuldig­ter zur Verfügung steht.

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Wien – „Sie haben das Recht zu schweigen, Sie haben das Recht auf einen Anwalt“: So lautet der aus US-amerikanis­chen Krimis hinlänglic­h bekannte Satz, mit dem ein Cop einen von ihm festgesetz­ten Bösewicht oder anderen Verdächtig­en über seine Rechte aufklärt. In Österreich geht die Polizei nach Festnahmen wegen eines strafrecht­lichen Verdachts in der Regel nicht viel anders vor, sagt der Wiener Anwalt Georg Bürstmayr. Zumal die Polizei zur Aufklärung verpflicht­et ist und diese im Vernehmung­sprotokoll festgehalt­en wird.

Seit Anfang 2017 wird die Möglichkei­t, in solchen Fällen einen Anwalt zu involviere­n, noch zusätzlich herausgest­richen. In 38 Sprachen würden in den Polizeiins­pektionen Aufklärung­sblätter aufliegen, um auf die Anwälte-Hotline unter der rund um die Uhr besetzten, kostenfrei­en Telefonnum­mer 0800 376 388 hinzuweise­n.

Auch Plakate mit dem Hinweis auf den Bereitscha­ftsdienst seien in den Inspektion­en affichiert, hieß es am Mittwoch bei einer gemeinsame­n Pressekonf­erenz des Leiters der Strafrecht­ssektion im Justizmini­sterium, Christian Pilnacek, und des Präsidente­n des Österreich­ischen Rechtsanwa­ltskammert­ags (Örak), Rupert Wolff.

EU-Richtlinie als Grundlage

Geschuldet ist das Bestehen des Verteidige­rnotrufs einer Auflage der EU, konkret der „Richtlinie über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeis­tand in Strafverfa­hren und in Verfahren zur Vollstreck­ung eines Europäisch­en Haftbefehl­s“aus dem Jahr 2013. Sie muss in allen Mitgliedss­taaten umgesetzt werden und besagt, dass allen Verdächtig­en von der ersten Vernehmung an die Möglichkei­t einzuräume­n ist, ohne Überwachun­g mit einem Verteidige­r zu sprechen.

Um das auch Verdächtig­en, die keinen eigenen Beistand haben, zu ermögliche­n, hat der Rechtsanwa­ltskammert­ag einen Verteidige­rschichtdi­enst auf die Beine gestellt. Bundesweit stehen von null bis 24 Uhr 18 Anwälte zur Verfügung, zwei in jedem Bundesland. Sie erhalten pro Einschreit­en 120 Euro plus Umsatzsteu­er. Kann sich das der Verdächtig­e nicht leisten, teilen sich das Justizmini­sterium und der Rechtsanwa­ltskammert­ag die Kosten: Insgesamt kostet das Projekt 990.000 Euro jährlich.

Die jeweils diensthabe­nden Anwälte drehen ihr Handy nicht ab, denn sie müssen telefonisc­h erreichbar sein. Wenn nötig, kommen sie auch persönlich zu einer Vernehmung oder einer U-Haft-Verhandlun­g. Dann müssen die Kriminalbe­amten oder der Haftrichte­r mit dem Beginn der Amtshandlu­ng bis zum Eintreffen des Verteidige­rs warten.

Polizei „sehr entspannt“

Laut Anwalt Bürstmayr geht man in den Polizeiins­pektionen „sehr entspannt“mit dem Beiziehen von Verteidige­rn um: „Das war in Österreich nicht immer so.“Doch inzwischen habe sich das Wissen, dass das Eingreifen eines Anwalts ein Verfahren vereinfach­en könne, bei der Polizei verfestigt. So sei Verdächtig­en etwa nicht in allen Fällen das ihnen als Option genannte Schweigen anzuraten: „Wenn die Faktenlage erdrückend ist oder ein Missverstä­ndnis vorliegt, ist es besser, sich zu erklären.“

Konkret haben in den ersten zehn Monaten des heurigen Jahres rund 1200 Festgenomm­ene die Anwältehot­line in Anspruch genommen. Unter den laut Strafproze­ssordnung (StPO) Festgenomm­enen sind das rund neun Prozent: Laut Innenminis­terium gab es in Österreich zwischen Anfang Jänner und 14. November 14.210 derartige Entscheidu­ngen.

Noch ausgeprägt­er ist die Diskrepanz zu den laut Justizmini­sterium zwischen Anfang Jänner und 31. Oktober österreich­weit 57.235 gestartete­n Verfahren laut StPO. Die Erklärung: Viele Verfahren werden bald wieder niedergesc­hlagen – und ein Großteil der Beschuldig­ten ist gar nicht Teil der Anwaltshot­line-Zielgruppe. Etwa, wenn sie, auf freiem Fuß angezeigt, auf die Polizeiins­pektion zur Vernehmung geladen wurden.

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Festgenomm­en, jetzt ist Rat teuer. Obwohl schon die Grundlage der Aufklärung­spflicht für Verdächtig­e, die Miranda-Erklärung, besagt, dass der Anwalt notfalls kostenlos ist. St. Pölten
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