Der Standard

Mobiler Schutz gegen steigenden Meeresspie­gel

Der Hafen von Spakenburg in den Niederland­en hat nun die längste flexible Flutbarrie­re der Welt. Die Expertise der Niederländ­er im Kampf gegen Überflutun­gen ist gefragt: Denn der steigende Meeresspie­gel wird für viele Länder zum Problem.

- Kerstin Schweighöf­er aus Spakenburg

Noch ist alles ruhig am alten Hafen von Spakenburg, einem pittoreske­n Fischerdor­f rund 50 Kilometer südöstlich von Amsterdam. Roeland Hillen steht direkt am Kai, umringt von Backsteinh­äuschen mit weißen Giebeln. Vor ihm im Hafenbecke­n, gut zwei Meter tiefer, dümpeln alte Holzschiff­e.

„Doch ein Sturm aus Nordwest mit Windstärke elf kann das Wasser bis über den Rand des Hafenbecke­ns peitschen“, erklärt Hillen von Rijkswater­staat, der nationalen Wasserbehö­rde der Niederland­e. Zum letzten Mal war das 1916 der Fall: „Da wurden die Fischerboo­te von den Fluten in die umringende­n Häuserfass­aden geschmette­rt!“

Das ist zwar schon 100 Jahre her. Aber mit solchen Fluten müssen die Niederländ­er aufgrund des Klimawande­ls auch in Zukunft rechnen: Denn die Regenfälle sind extremer geworden und der Meeresspie­gel steigt: 23 Zentimeter waren es in den letzten 125 Jahren, also jedes Jahr knapp zwei Millimeter. Bis 2100 könnte der Meeresspie­gel bis zu einen Meter steigen. Vorausgese­tzt, die Ziele des Klimavertr­ags von Paris werden erreicht und die Erde hat sich bis dahin um nur zwei Grad erwärmt. Sonst steigt er noch höher. Und noch schneller als erwartet.

Doch dagegen sind die gut 20.000 Einwohner von Spakenburg nun gewappnet und mit ihnen alle Menschen im Umkreis von 15 Kilometern. Denn ihr Dorf hat die längste flexible Flutbarrie- re der Welt bekommen. Eine, die nur dann zum Einsatz kommt, wenn man sie braucht. Ansonsten ist sie unsichtbar.

Man muss schon genau hinsehen, um den 300 Meter langen Streifen im Kopfsteinp­flaster zu erkennen, der sich rund um das Hafenbecke­n zieht. Nur zwölf Zentimeter dick sind sie, die Kunststoff­schotten, die hier in die Straße eingelasse­n wurden, eineinhalb Meter hoch und einen Meter breit. Bei Hochwasser werden sie bis zu 80 Zentimeter nach oben getrieben und formen eine 300 Meter lange Flutbarrie­re.

Dazu wurden im Hafenbecke­n kleine Öffnungen angebracht. Wenn das Wasser steigt, wird es durch diese Öffnungen nach innen in den Schacht geführt, wo die Schotten liegen. Und die werden dann von den Wassermass­en nach oben gedrückt. „Ein ebenso einfaches wie geniales System“, sagt Hochwasser­schutzexpe­rte Hillen. Gesamtkost­en: 6,6 Millionen Euro. „Wir konnten hier mitten im Dorf ja keinen Erdwall bauen, das hätte das Ortsbild total zerstört“, sagt er, als ein lautes Brummen ertönt: Der nationale Wassergesa­ndte des Landes hat das Startzeich­en für eine Testdemons­tration gegeben.

China übernimmt Barrieren

Henk Ovink heißt er und reist im Auftrag von Den Haag durch die ganze Welt, um das Know-how der Niederländ­er in Sachen Hochwasser­schutz zu exportiere­n. Und egal, ob New York, New Orleans, Thailand oder Australien: Der Rat der Niederländ­er ist gefragt. Auch dafür sind die Spakenburg­er das jüngste Beispiel: Flexible Flutbarrie­ren nach ihrem Vorbild werden inzwischen auch in China, Vietnam und Großbritan­nien gebaut. „Wir setzen auf maßgeschne­iderte Lösungen, so können wir Sicherheit und Lebensqual­ität unter einen Hut bringen“, so Ovink.

Zufrieden schaut er zu, wie sich rund um das Hafenbecke­n die Flutbarrie­re langsam aus dem Straßenpfl­aster nach oben schiebt. Nur zehn Minuten dauert es, und sie hat sich in voller Höhe aufgericht­et.

Dass die Niederländ­er in Sachen Hochwasser­schutz eine führende Rolle spielen, kommt nicht von ungefähr. 400 Millionen Euro stellt die Regierung dafür inzwischen jedes Jahr zur Verfügung. Der Kampf gegen das Wasser ist so alt wie das Land selbst. Denn ein Drittel der Niederland­e liegt gerade einmal auf Meeresspie­gelniveau und ein weiteres Drittel darunter – stellenwei­se bis zu sechs Meter tief. Ohne Deiche und Dämme, Pumpen und Flutwehre würden zum Beispiel auf dem nationalen Flughafen Schiphol bei Amsterdam die Nordseewel­len gut vier Meter über den Köpfen der Passagiere zusammensc­hlagen. Und das bei einem Meeresspie­gel, der schneller als erwartet steigt. Wird sich die alte Seefahrern­ation trotz Klimawande­ls über Wasser halten können?

„Ich bin Optimist, aber kein Wahrsager“, stellt Wassergesa­ndter Ovink klar. „Ich kann nicht garantiere­n, dass wir trockene Füße behalten. Doch wenn wir uns an die Absprachen von Paris halten, könnten wir es schaffen.“

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6,6 Millionen Euro hat der Schutz gegen Überflutun­gen am alten Hafen von Spakenburg gekostet. Um das Stadtbild nicht zu zerstören, fährt er nur im Notfall aus dem Boden.

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