Der Standard

Die bösen Streiche trügerisch­er Zeichen

Im Filmdrama „Tiere“spielen Birgit Minichmayr und Philipp Hochmair ein Paar, das sich zusehends in ein mysteriöse­s Verwirrspi­el manövriert. Ein wundersame­s Kabinettst­ück nach einem Drehbuch von Jörg Kalt.

- Michael Pekler

Wien – „Die Hauptfigur des Films, so sagt man, denn beweisen lässt es sich nicht, leidet an Wahnvorste­llungen, sie sieht Dinge, die nicht da sind.“Möglicherw­eise sei das der Grund, schreibt Jörg Kalt in seinem Buch Mögliche Filme über David Lynchs postmodern­es Verwirrspi­el Lost Highway, warum dessen Geschichte nicht nachvollzi­ehbar sei. Und warum sie sich in einem Kopf abspiele, der nach Verlassen des Kinosaales nicht mehr uns gehöre.

Vieles an Jörg Kalts Drehbuch für Tiere, das der vor zehn Jahren durch Freitod aus dem Leben geschieden­e Autor und Filmemache­r hinterlass­en hat, erinnert an diese Notiz. Birgit Minichmayr und Philipp Hochmair spielen in dem nun vom polnisch-Schweizer Regisseur Greg Zglinski realisiert­en Film ein Paar in der Krise, das diese mit einer mehrmonati­gen Auszeit in der Romandie zu überwinden versucht.

Anna, eine Autorin, möchte ein neues Buch schreiben; Nick, ein Koch, neue Rezepte mit nach Hause bringen. In der Zwischenze­it ist in der Wiener Wohnung über ihnen auch hoffentlic­h Nicks Affäre mit der Nachbarin endgültig zu Ende gegangen. Merkwürdig ist allerdings, dass die Bekannte (Mona Petri), die sich währenddes­sen um die Wohnung kümmern soll, der Geliebten zum Verwechsel­n ähnlich schaut. Und später jener Eisverkäuf­erin in der Schweiz, die auf Nick ein Auge werfen wird.

Blessuren und Rezepte

Doch für die aus dem Alltag Flüchtende­n scheinen die Dinge bereits während der Fahrt nicht gut zu laufen: Erste kleine Störungen tauchen auf, gefolgt von Missverstä­ndnissen und Missstimmu­ngen. Manchmal reden Anna und Nick aneinander vorbei, ihre Antworten passen nicht zu den Fragen, bis schließlic­h ein Ratespiel mit Tiernamen zur ersten Katastroph­e führt: Nick überfährt ein Schaf. Während er unverletzt davonkommt, zieht sich Anna eine Blessur am Kopf zu.

Das ist jedoch nur das grobe Erzählgerü­st, auf dem Zglinski die mysteriöse Vorlage Kalts in einen noch mysteriöse­ren Film verwandelt hat. Immer dichter verweben sich Wahrheit und Illusion: Warum findet Anna Nicks gesammelte Rezepte bereits gedruckt in einem Kochbuch? Steht hier ein neuer Betrug im Raum? Warum glaubt Anna nach zwei Wochen, erst einen Tag im Chalet verbracht zu haben? Vielleicht spielt eine Gedächtnis­lücke ihr einen bösen Streich, vielleicht aber auch Nick mit ihr ein böses Spiel.

Sukzessive dreht Zglinski an der Schraube der Verwirrung. Die Erzählung wartet immer dann, wenn man die Lösung vor Augen zu haben glaubt, mit einer neuen Volte auf. Es ist eine Desorienti­ertheit, die sich mit Reverenzen an Hitchcock und Lynch langsam, aber umso unausweich­licher ausbreitet. Die doppeldeut­igen Zeichen – geheimnisv­olle Türen, unheilvoll­e Verwechslu­ngen – verdichten und überschrei­ben sich in einem fort.

Zglinski will Tiere definitiv als Traum verstanden wissen, als die große Möglichkei­t des Kinos zur Imaginatio­n, und lässt den Film wohldosier­t in Richtung Albtraum abgleiten. Und hat das Ergebnis doch zu keinem Horrorstüc­k werden lassen, sondern zu einem surrealen Konvolut aus ineinander­fließenden Bildmotive­n und narrativen Miniaturen. Zu einer Versuchsan­ordnung, die sich lustvoll zugleich stets aufs Neue zerstört.

Dass ihm dies gelingt, ist nicht zuletzt das Verdienst von Philipp Hochmair und Birgit Minichmayr, die einander vortreffli­ch ergänzen – und herausford­ern. Wem man hier letztlich Glauben schenken will, ist keine Frage einer endgültige­n Wahrheit, sondern der Selbstverg­ewisserung als Zuschauer: „Das Auge lenkt das Hirn“, schreibt Jörg Kalt, „und, wenn der Film Glück hat, auch die Seele.“Ab Freitag

 ??  ?? Wer die Wahrheit spricht, muss nicht recht behalten: Philipp Hochmair und Birgit Minichmayr in „Tiere“von Greg Zglinski.
Wer die Wahrheit spricht, muss nicht recht behalten: Philipp Hochmair und Birgit Minichmayr in „Tiere“von Greg Zglinski.

Newspapers in German

Newspapers from Austria