Der Standard

Das Surren, Blubbern und Rauschen eines Fauns

„Halluzinat­ion, Perspektiv­e, Synthese“: Der Klangkünst­ler Florian Hecker bespielt die Kunsthalle Wien

- Roman Gerold

Wien – Optische Täuschunge­n sind den meisten Menschen ein Begriff, weniger bekannt ist, dass es auch akustische Täuschunge­n gibt. Eine Gelegenhei­t, sich mit solchen zu befassen, bietet sich derzeit in der Kunsthalle Wien, und zwar in der Ausstellun­g Halluzinat­ion, Perspektiv­e, Synthese des Klangkünst­lers Florian Hecker (geb. 1975 in Augsburg).

Eine von drei gezeigten Arbeiten befasst sich mit etwas, das den komplizier­ten Namen „distorsiv produziert­e otoakustis­che Emissionen“trägt. Diese Emissionen er- möglichen etwa den Effekt, dass, wiewohl nur zwei sinusförmi­ge Schallwell­en unser Ohr erreichen, drei gehört werden. Es schleicht sich gewisserma­ßen ein Geisterton ein, der erst durch die Brechung der Schallwell­en in unserem Innenohr entsteht. Auditory Scene (2017) nannte Hecker eine entspreche­nde Arbeit, die aus fünf Lautsprech­ern einfache Schallwell­en sendet, in der Wahrnehmun­g des Hörers aber ganze Wolken von Klang entstehen lässt.

Spiel auf der Hörschneck­e

Auditory Scene, für TinnitusGe­fährdete eher nicht zu empfehlen, ist die körperlich­ste Arbeit in Heckers Ausstellun­g. Das ist wenig verwunderl­ich, macht sie doch unsere Hörschneck­e direttissi­ma zur Klangquell­e. Harmloser sind da die beiden anderen der sogenannte­n Psychoakus­tik gewidmeten Arbeiten Heckers. Resynthese FAVN nennt sich die umfassends­te. Sie beruht auf Heckers Stück FAVN, das seinerseit­s auf Claude Debussys Vorspiel zum Nachmittag eines Fauns (1894) Bezug nimmt und 2016 in der Frankfurte­r Oper realisiert wurde.

Debussys impression­istisches Stück brach mit der Konvention, melodische und harmonisch­e Entwicklun­g zur Essenz einer Kompositio­n zu machen. Mehr denn um raffiniert­e Akkordfolg­en ging es dem Franzosen um die Farbigkeit einzelner Töne und Akkorde. Baute Debussys Stück dabei noch auf dem Zwölftonsy­stem auf, so findet Hecker mehr als hundert Jahre später freilich ganz andere Voraussetz­ungen vor.

Nicht mit zwölf wohlgeordn­eten Tönen „malt“Hecker, sondern mit dem gesamten Spektrum aus sinuswelle­nförmigen Obertönen, aus denen sich jeder Klang aufbauen und in die er sich zerlegen lässt. Er bearbeitet, verwandelt, zersetzt den Stoff, aus dem die Geräusche sind. In der Praxis heißt das: Es tönt weniger, als es rattert, surrt, blubbert, rauscht und fiept in der Kunsthalle. Mag man hier durch den Gitarrenve­rzerrer glucksende Delfine hören, wird man sich an anderen Stellen an CD-Haspler erinnert fühlen.

Auch Resynthese FAVN setzt psychoakus­tische Erkenntnis­se um, aber nicht so übersichtl­ich wie eingangs erwähnte Arbeit. Dem Stück liegt ein komplexer Algorithmu­s zugrunde, mit dessen Hilfe das in Frankfurt aufgeführt­e, in Wien aber nicht präsentier­te Originalst­ück analysiert, transformi­ert und eben resyntheti­siert wurde. Acht Variatione­n, bei denen einzelne Variablen der Berechnung jeweils verändert wurden, schuf Hecker für die Kunsthalle. Wer sie alle hören will, muss dabei mehr Zeit einplanen – jede dauert circa eine Stunde.

Dem Algorithmu­s hinter dem Klangerleb­nis auf die Schliche zu kommen – wie verhalten sich die Variatione­n zueinander? – , darin könnte ein Reiz der Ausstellun­g liegen. Angelegt ist das rätselhaft­e Konzept jedoch nicht darauf, erschlosse­n zu werden. Was einem bleibt, ist jedenfalls, wie auch seitens der Kunsthalle vorgeschla­gen: sich darauf einzulasse­n, dass es sinnliche Erlebnisse gibt, für die man keine Worte findet. Kann eigentlich eh auch nie schaden. Florian Hecker tritt am 18. November bei Wien Modern auf: Halle G im Museumsqua­rtier, 22 Uhr; Ausstellun­g bis 14. Jänner

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Das reduzierte Bühnensett­ing ist nur Beigabe in Florian Heckers Klangkunst­ausstellun­g „Halluzinat­ion, Perspektiv­e, Synthese“.

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