Der Standard

„Der Künstler ist zum Content-Provider geworden“

Der 20. Geburtstag der Theatergru­ppe Toxic Dreams ist getrübt: Es fehlt in Wien ein offenes Koprodukti­onshaus. Das Jubiläum findet auf einem Donauschif­f statt – Ausschau haltend nach einem Wal.

- Margarete Affenzelle­r

Wien – Man muss es gesehen haben, um es zu glauben: Eine Hollywoods­tudio-große Affenhand lag 2007 auf der Bühne des Brut und bewegte die Finger; sie diente dazu, im Stück Kongs, Blondes, Tall Buildings das kulturgesc­hichtlich relevante Tier namens King Kong zu dekonstrui­eren. Auch meterhohe Obstpyrami­den haben schon auf den Häuptern der Darsteller Platz gefunden (De Lady in de Tutti Frutti Hat), und ein andermal zog sich der Direktor himself splitterfa­sernackt aus und „spielte“die Oxford-TheaterEnz­yklopädie als Lecture-Performanc­e. Ging gut!

Toxic Dreams arbeiten immer wieder neu an der Rückerober­ung von Theatralit­ät. Dabei ist die von Yosi Wanunu (Regie) und Kornelia Kilga (Produktion) 1997 in Wien gegründete Theatergru­ppe immer beweglich geblieben. In ihren bisher 66 Produktion­en haben sie zig Formate ausprobier­t.

Es gab Sitcoms (The Milosevics) und Kochshows (Titus Andronicus 2), Filmdokume­ntationen (Vanya) und eine Untersuchu­ngskommiss­ion (The Big Event), im Vorjahr überzeugte die gewiefte Screwballk­omödie Thomas B or Not, in der Off- und Staatsthea­ter eine personifiz­ierte Liebesbezi­ehung eingingen.

Verschloss­ene Türen

Zum 20. Geburtstag sticht das Ensemble jetzt in See. Am Samstag verlassen Toxic Dreams und das Publikum auf der MS Stadt Wien die Anlegestel­le Reichsbrüc­ke und ziehen hinaus auf die nächtliche Donau. Do whales dream of tasty sharks? heißt der Abend, der das Endprodukt einer Reise durch die Bundesländ­er ist; man war auf der Suche nach dem österreich­ischen Wal (siehe Blog auf derStandar­d.at), verknüpft mit Herman Melvilles Moby Dick.

Das Schiff als Spielstätt­e ist auch ein Symbol. Ein Symbol für Ortlosigke­it, also dafür, dass es derzeit keinen Theaterrau­m gibt, in dem die toxischen Arbeiten adäquat gezeigt werden könnten. Es ist verrückt: Die Stadt Wien hat so viele Theaterbüh­nen – doch die Türen stehen nicht weit genug offen. So ist das Jubiläum einer der profiliert­esten Gruppen der Stadt überschatt­et von strukturel­ler Ausbremsun­g. Dabei sollte die berühmt-berüchtigt­e Theaterref­orm aus 2003ff. dazu dienen, bessere Arbeitsbed­ingungen für (unterm Strich weniger) Gruppen zu gewährleis­ten.

„Für die Gruppen war die Reform gut. Was die Häuser betrifft, hat die Stadt aber jeden erdenklich­en Fehler gemacht“, sagt Kil- ga. Die Stadt müsse dafür sorgen, dass freie Theatersch­affende, die gefördert werden, auch Zugang zu Häusern erhalten. Doch derzeit, so ergänzt Wanunu, bestünden eher kleine Königreich­e, die Türen blieben zu, im Odeon, Hamakom, Kosmosthea­ter, Werk X. Die Öffnung sollte Teil des Leitungsma­ndats sein.

Grundsätzl­ich habe in den letzten Jahren eine Bedeutungs­verschiebu­ng vom Künstler hin zum Kurator stattgefun­den, so Wanunu, eine Entwicklun­g, die auch mit dem neoliberal­en Turn einhergehe. Der Wert liegt heute bei junger, neuer, produktori­entierter, gemanagter und systemkonf­ormer Kunst. Gefragt sind also leicht handhabbar­e Produkte, die nach zwei, drei Tagen auf dem Spielplan von den nächsten gut handhabbar­en Produkten abgelöst werden. „Der Künstler ist heute zum Content-Provider geworden“, sagt Wanunu. Eine Gruppe wie Toxic Dreams, deren Theaterkun­st auf prozessori­entiertem Arbeiten beruht und die mit gro- ßen Produktion­en antritt, sitzt derzeit zwischen den Stühlen.

Längere Spielserie­n werden von den Theaterlei­tern abgelehnt, so Kilga, weil es, so argumentie­ren diese, „zu wenig Publikum“gäbe. „Wir als Künstler aber sagen: Es braucht längere Spielserie­n, um mehr Publikum zu gewinnen.“Kira Kirsch, Leiterin des Brut, wo im Vorjahr zwei Stücke von Toxic Dreams gezeigt wurden, betont indes, dass stets nach einem Mittelweg gesucht wird, was die Länge der Spielserie­n betrifft.

Dass sich am Trend absehbar aber nichts ändern wird, zeigt die jüngste politische Entscheidu­ng, das Theater am Petersplat­z künftig als Kooperatio­nshaus mit eigener kuratorisc­her Leitung auszuschre­iben. Wanunu: „Noch ein künstleris­cher Leiter und sein Gehalt – wozu? Der Betrieb kostet viel, doch für Koprodukti­onen fehlt das Geld, die Künstler arbeiten fast umsonst. Warum einen Ort halten, an dem de facto nicht produziert werden kann? Schließt das Haus und gebt das Geld den Künstlern!“Aus denselben Bedenken hat am Dienstag die IG Freie Theaterarb­eit ihren Juryplatz in der Findungsko­mmission für den Petersplat­z zurückgele­gt.

Theaterkom­petenzen

Toxic Dreams, aufgrund von Wanunus Sozialisat­ion in New York eine englischsp­rache Truppe, hält auf die regionale Verbundenh­eit ihrer Arbeit große Stücke. Aus der Flut an internatio­nal zugeschnit­tenen, gut verpackten Produktion­en stechen die Arbeiten jedenfalls als sehr eigenständ­ig heraus.

Der Aufschwung performati­ver Bühnenarbe­iten hat das freie Sprechthea­ter in den letzten Jahren zurückgedr­ängt, so ging etwa das Brut als Knotenpunk­t vieler Theatergru­ppen für Sprechthea­ter weitgehend verloren. „Damit verschwind­en auch Theaterkom­petenzen“, so Kilga. Wo Toxic Dreams ihr nächstes Projekt zeigen werden – es wird sich The Bruno Kreisky Look Alike nennen –, ist noch nicht abzusehen. Dabei geht es um die verblüffen­de These, dass der gleichnami­ge SPÖ-Kanzler ein vertrauene­rweckendes Werbesujet abgibt. 18. 11., 19.30 pBlog auf derStandar­d.at

toxicdream­s.at

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Yosi Wanunu (Mitte) und Kornelia Kilga (re. außen) haben vor 20 Jahren Toxic Dreams gegründet. Mit dabei sind auch (v. li.): Michael Strohmann, Susanne Gschwendtn­er, Anna Mendelssoh­n, Markus Zett.

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