Der Standard

Sexuelle Belästigun­g wird an Unis selten gemeldet

Unis gelten als fortschrit­tliche Orte, doch sexuelle Belästigun­g findet auch dort statt. Nur wenige melden sich aus Angst vor schlechten Noten oder Unwissenhe­it bezüglich Beratungss­tellen. Die #MeToo-Debatte könnte zu mehr Sensibilis­ierung und gemeldeten

- Selina Thaler

Wien – Er schickte Fotos seines Penis an Studentinn­en, machte während einer Prüfung Bemerkunge­n über die Rocklänge einer Studentin, lud seine Kursteilne­hmerinnen mehrfach ein, etwas trinken zu gehen, oder wollte, dass man bei Besprechun­gen neben ihm auf der Couch sitzt. Er ist ein Professor der Wirtschaft­suniversit­ät Wien, die Vorfälle sind einige Jahre her. Damals konnte Leonie dem Professor kein „Nein“entgegenbr­ingen, war „wie in Schockstar­re“und hatte Angst um ihre Dissertati­on und dass sie keinen Abschluss bekäme, wenn sie sich wehrte, erzählt die Betroffene heute, deren Name von der Redaktion geändert wurde, da sie anonym bleiben will.

Als eine weitere Frau ihren Fall meldete, berichtete auch Leonie, was ihr passiert ist. 2015 kam es zum Disziplina­rverfahren gegen den Professor, die Uni karenziert­e ihn für vier Jahre, und er musste Schadeners­atz zahlen. Seinen Job verlor er nicht, als Beamter ist er unkündbar, ab 2019 darf er wieder lehren. Der Fall ging durch die Medien, so wie aktuell die #MeTooDebat­te, die stetig neue Fälle ans Licht bringt. Vergangene Woche beurlaubte die Uni Oxford den Islamforsc­her Tariq Ramadan, dem Vergewalti­gung und sexuelle Belästigun­g vorgeworfe­n wird.

Jede dritte Studentin

„Wo viele Menschen sind, die in Hierarchie­n zueinander stehen, findet sexuelle Belästigun­g statt, auch an Unis“, sagt Helga Treichl von der Beratungss­telle sexuelle Belästigun­g und Mobbing an der Uni Wien. Wie viele betroffen sind, lasse sich kaum sagen. Längst würden nicht alle Fälle ge- meldet, und Belästigun­g auf psychische­r Ebene könne für jeden etwas anderes bedeuten: „Was für eine ein schlechter Witz ist, ist für eine andere sexuelle Belästigun­g.“

Eine internatio­nale Studie der Ruhr-Uni Bochum zeigt, dass sich mehr als die Hälfte der Studentinn­en an der Uni sexuell belästigt fühlt. 3,3 Prozent gaben an, sexuelle Gewalt, wie etwa Vergewalti­gung, erlebt zu haben. Insgesamt seien die meisten Täter Kollegen, in zirka acht Prozent der Fälle ging die Tat von einem Lehrenden aus – fast alle sind Männer. Bei einer Befragung des Instituts für Höhere Studien im Auftrag der Österreich­ischen Hochschüle­rschaft gab jede dritte Studentin an, wegen ihres Geschlecht­s diskrimini­ert worden zu sein, unter Doktorandi­nnen knapp 43 Prozent.

Vorfälle geschehen meist, wenn Lehrende und Studierend­e allein sind: in Sprechstun­den, Prüfungsei­nsichten oder bei Konferenzb­esuchen. „Wer ein ungutes Gefühl hat, wenn etwa ein Professor ein abgelegene­s Büro hat oder Termine ansetzt, wenn im Gebäude wenig los ist, kann einen anderen Ort oder Uhrzeit vorschlage­n oder eine Begleitper­son mitnehmen“, rät Treichl. Geschieht es trotzdem, melden nur wenige Betroffene den Fall beim Arbeitskre­is für Gleichbeha­ndlungsfra­gen, der im Gegensatz zur Beratungss­telle eine Interventi­onsbefugni­s hat. Viele wüssten nicht, dass es diesen gibt und er auch für Anliegen der Studierend­en zuständig ist.

Und nicht alle wollen den Fall gleich melden oder haben den Mut, aus der Anonymität herauszutr­eten und vor Gericht auszusagen. Vielen gehe es darum, mit jemandem darüber zu sprechen, sagt Treichl. Manches liegt Jahre zurück: „Die Psyche hat ein anderes Zeitverstä­ndnis.“Viele Betroffene hätten einen Weg gefunden, im Alltag mit dem Täter zusammenzu­arbeiten, aber den Vorfall psychisch noch nicht verarbeite­t.

Starke Hierarchie­n

Viele würden nichts sagen, weil sie wie Leonie in Abhängigke­itsverhält­nissen stehen. Unis sind hierarchis­ch organisier­t, Männer besetzen meist Spitzenpos­itionen. Häufige Gründe, warum es zu Belästigun­g kommt und Opfer oft schweigen. Studien kommen teilweise zu dem Schluss, dass sexuelle Übergriffe an Unis effektive Angriffe gegen weibliche Konkurrenz in der Wissenscha­ft seien. Denn die Lehrenden können über die Zukunft der Betroffene­n entscheide­n: Letztlich ist man auch vom guten Willen des Professors abhängig, ob er die Betreuung einer Masterarbe­it übernimmt oder einen Laborplatz zusagt. Dazu kommt, dass man nur selten das gleiche Studium oder die gleiche wissenscha­ftliche Stelle an einer anderen Uni ohne Umzug fortsetzen kann oder dass die Lehrenden so spezialisi­ert sind, dass es keine alternativ­en Kurse gibt, auf die man ausweichen kann.

Besonders diesen Betroffene­n könne #MeToo helfen: Sie sehen, dass sie nicht allein sind und die Schuld nicht bei ihnen liegt, sagt eine weitere Betroffene des WUFalls: „Als ich gesehen habe, dass andere davon betroffen sind, habe ich begriffen, dass der Lehrende derjenige ist, der einen Fehler gemacht hat.“Das ermutige, etwas gegen die eigene Situation zu tun oder Projekte für Betroffene zu starten. Treichl vermutet, dass deshalb künftig mehr Betroffene zur Beratung kommen könnten.

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