„Vorfälle dürfen nicht bagatellisiert werden“
Welche Machtdynamiken hinter sexuellen Belästigungen an den Unis stehen und was dagegen getan werden kann, diskutieren die Wissenschaftssprecherin der Neos Claudia Gamon und der Arbeitsrechtler Martin Risak.
UniStandard: Im Zuge der #MeTooDebatte, die ursprünglich vom Filmbusiness ausgegangen ist, wurden auch Übergriffe an Universitäten weltweit öffentlich gemacht. Hat Sie das überrascht? Gamon: Überhaupt nicht. Über die Jahre hat es immer wieder solche Fälle gegeben, die publik geworden sind. In Österreich war das vor allem der Fall an der Wiener Wirtschaftsuni 2015. In meinem Freundeskreis kennen fast alle Studierende so einen Professor „der alten Schule“oder wen, der so jemanden erlebt hat. Risak: Universitäten sind Orte, wo Menschen arbeiten, aber auch Orte, wo Menschen ausgebildet werden. Beides sind Autoritätsverhältnisse, die dem Filmbusiness gar nicht so unähnlich sind: Es gibt sehr wenige Personen, die ganz oben stehen und auf deren Gunst man angewiesen ist. Das zeigt Muster auf, warum man gewisse Dinge nicht meldet oder Sachen über sich ergehen lässt, weil es Bestandteil der Kultur ist. Der WU-Vorfall ist in Österreich der einzige, der wirklich gut dokumentiert ist, weil es ein Disziplinarerkenntnis dazu gibt, das veröffentlicht worden ist.
UniStandard: Tun die Universitäten zu wenig gegen Belästigung? Risak: Die Unis tun nicht nichts. Der WU-Fall zeigt das ganz gut. Das erwähnte Erkenntnis sagt, dass es keine Verjährung der Belästigung gibt, weil der Täter aus derselben verwerflichen Grundeinstellung die Belästigung über Jahre gesetzt hat. Dadurch ist es ein Dauerdelikt, das man auch Jahre später problematisieren kann. Wenn man das liest, denkt man, die Konsequenz kann nur sein, dass er hinausgeschmissen wird, aber dann war das Ergebnis nur: eine Geldstrafe von vier Monatsgehältern, die dann auch noch in 36 Raten abgestottert werden durfte. Die Wirtschaftsuni hat dann eine Lösung gefunden, ihn zumindest für vier Jahre aus dem Betrieb zu entfernen. Man sollte sich aber nicht auf das Disziplinarrecht konzentrieren, denn wir haben kaum mehr Beamte an den Universitäten – das ist ein Auslaufmodell. Die meisten Lehrenden sind heute im privaten Dienstrecht angesiedelt, da braucht es kein Disziplinarverfahren, die Sanktionierung von Fehlverhalten ist weniger schwierig.
UniStandard: Wie zeigt sich Belästigung an der Uni? Risak: In der Broschüre der Uni Wien Sexuelle Belästigung an der Universität Wien – das ist das, was uns Mitarbeitern kommuniziert wird – wird zu sexueller Belästigung erklärt: „Ob ein Verhalten unerwünscht oder grenzüberschreitend ist, liegt im Empfinden der betroffenen Person.“Ich finde, so eine Deutungshoheit der betroffenen Person geht über das hinaus, was wir ansonsten judizieren würden. Die Universität ist da schon sehr sensibel, das würde jede progressive Studierendenorganisation genau so hineinschreiben. Es gibt von oben her eine gute Sensibilität, die Frage ist, wie es nach unten tröpfelt und insbesondere zu den Personen, die noch andere Kulturen gewöhnt sind.
UniStandard: Wie kann sich diese Kultur ändern? Gamon: Es gibt keine allgemeine Lösung, man muss sich selber an der Nase nehmen. Wenn man im Freundeskreis oder von Studienkollegen von einem Vorfall hört, kann nicht die erste Reaktion sein, das nicht zu glauben oder jemandem zu unterstellen, sich eine bessere Note erschlafen zu haben. Da sollte man sagen „Ich glaube dir“oder „Ich nehme dich ernst“. Risak: Es wird oft unterstellt, dass die Opfer das nur ansprechen, um gute Noten zu bekommen. Aber da muss man sagen, ich darf eine Person nicht benoten, mit der ich eine freundschaftliche Beziehung habe, und schon gar nicht eine, mit der ich seine sexuelle Beziehung habe – das ist ein No-Go. Das heißt, die Strategie, die man den Opfern ungerechtfertigt unterstellt, macht gar keinen Sinn.
UniStandard: Welche Faktoren begünstigen Belästigung an Unis? Risak: In die Wissenschaftscommunity hineinzukommen hat viel mit gemeinsamem Fortfahren, Alkoholgenuss, Zusammensitzen, Nächte-Durchdiskutieren und mit genau den Dingen zu tun, wo die Wahrscheinlichkeit gar nicht so gering ist, das es zu Grenzüberschreitungen kommt, weil Leute unterschiedliche Interpretationen haben. Das Risiko an der Uni ist, dass sich das Private und das Berufliche stark miteinander vermischen – die Tätigkeit an einer Uni ist ja quasi auch ein Lifestyle. Das hört nicht auf um 16.30 Uhr. Auch die persönliche Beziehung spielt eine ganz besondere Rolle. Wenn man Leute betreut, ist es oft so, dass man sie auch einmal zu sich nach Hause einlädt, um etwas zu besprechen, oder gemeinsam bei einer Konferenzreise am Abend noch etwas trinken geht – da ist diese Sensibilität besonders wichtig. Gamon: Es geht auch um Professionalität im Umgang. Um Führungspersonen wie auch angestellten Mitarbeiterinnen ein gutes Gefühl zu geben, muss das wissenschaftliche Arbeiten professionalisiert werden. Risak: Die klassische Seminarreise, wo am Abend noch alle zusammensitzen – ist das unprofessionell? Gamon: Nein, gar nicht.
UniStandard: Was ist dann die Lösung für das Problem? Gamon: Was nicht passieren darf, ist, dass jetzt die puritanische Revolution kommt und man gar nichts mehr tun darf. Viele Dinge sind verboten, und sie passieren trotzdem – immer mehr zu verbieten löst also nicht das Problem. Es ist viel wichtiger, darauf einzugehen, was ist meine persönliche Verantwortung, und die auch in einer Sensibilisierung den Menschen klarzumachen. Das Problem ist immer, Dinge als das zu sehen, was sie nicht sind. Gemeinsam saufen und Spaß haben ist okay. Jemanden dann zu begrapschen ist nicht okay. Und die Unterscheidung kann gar nicht so schwierig sein.
UniStandard: Und wenn doch gegrapscht wird? Risak: Dann gibt es Sanktionen: Im Universitäts gesetz wird auf dasBun des-Gleich b eh andlungsgesetz verwiesen. In diesem gibt es eine Bestimmung, dass alle Angehörigen der Universität, das sind nicht nur die dort Bediensteten, sondern auch die Studierenden, vom Diskri mini erungs verbot und insbesondere auch vom Verbot der Belästigung aufgrund dieser Kriterien erfasst sind. Da hat man an den Universitäten ausdrücklich die Studierenden miteinbezogen – das ist eine sehr progressive Gesetzgebung, die sich dieses Problems bewusst ist. Die Unis sind anders als Unternehmen vom rechtlichen Set-up her so aufgestellt, das Personen, denen dort was passiert, einen verdichteten gesetzlichen Schutz haben. Es gibt da auch vergleichbar recht niederschwellige Stellen wie uniinterne Beratungsstellen, den Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen und dieBun desGleich b eh andlungs kommission.
UniStandard: Warum melden sich dennoch so wenige Studierende bei den universitären Stellen? Gamon: Der Schutz vor sexueller Belästigung und die Infrastruktur, die dafür an den Unis aufgebaut wurde, funktionieren nur dann, wenn es alle Mitglieder der Universität ernst nehmen und Vorfälle nicht bagatellisieren. Keine Institution kann das richten. Risak: Ein Problem ist sicher die Vereinzelungserfahrung. Man fragt sich: „Wieso gerade ich?“Da haben wir schon durch #MeToo Formen der Solidarisierung, die zeigen, dass etwas häufiger auftritt und man nicht alleine ist. Das kennen wir aus der Frauenbewegung. Das Zweite ist die Frage, wem geglaubt wird. Ich glaube, da hat sich viel verändert. Es wird nicht mehr weggespielt und dem Professor geglaubt, sondern die Person wird ernst genommen, und der Professor wird damit konfrontiert.
UniStandard: Die meisten Fälle sexueller Belästigungen passieren jedoch unter Studierenden. Wie muss hier anders reagiert werden? Risak: Das, was Studierende untereinander machen, ist natürlich auch ein rechtliches Thema. Auch hier greift das Gleichbehandlungsgesetz. Die Universität ist dazu verpflichtet, Abhilfe zu schaffen, wenn etwas bekannt ist. Wenn mir als Lehrveranstaltungsleiter auf einem Seminar eine Studentin erzählt, dass ein Kollege anlassig war, bin ich dazu verpflichtet, mit ihm zu reden, und wenn er null einsichtig ist, ihn auch nach Hause zu schicken. Man muss mit Studierenden auch darüber reden, was Belästigung ist, was konsensualer Sex ist und wann man Stopp sagen muss, wenn das im Rahmen der Universität passiert. Gamon: Das gehört zu einer erweiterten Verantwortung, die Lehrende heute haben. Viele wollen es aber nicht wahrhaben, dass der Aufgabenbereich über das Notengeben hinausgeht. Risak: Wir bilden noch immer soziale und kulturelle Eliten aus, da ist die Frage, ob wir sie zu Fachidioten erziehen wollen oder ob wir ihnen auch ein gewisses Menschenbild mitgeben.
CLAUDIA GAMON (28) ist Nationalratsabgeordnete und Sprecherin für Wissenschaft und Gleichbehandlung für die Neos. Sie ist in Vorarlberg aufgewachsen und hat an der Wirtschaftsuniversität Wien Internationale Betriebswirtschaftslehre und Internationales Management studiert. MARTIN RISAK, geboren 1969 in Wien, ist außerordentlicher Universitätsprofessor am Institut für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Wien. Er ist Sprecher des akademischen Mittelbaus an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien und Vorsitzender des Senats II der Gleichbehandlungskommission.
pLangfassung des Interviews und Anlaufstelle für Betroffene: derStandard.at/Uni