Der Standard

Medizin: Wie die Eltern so die Kinder

Die Medizin gehört zu den prestigetr­ächtigsten Profession­en, die man erlernen kann. Wer Arzt wird, entscheide­t neben dem Talent häufig die Herkunft. Mit Ärzten in der Familie neigt man eher zum Medizinstu­dium, wie eine österreich­weite Studie zeigt.

- Vanessa Gaigg

Wien – Christina Baumgartin­gers Vater ist Arzt. Und ihre Mutter. Ihre Schwester hat vor kurzem ihr Medizinstu­dium abgeschlos­sen. Nicht zuletzt deshalb hat sich Baumgartin­ger eigentlich vorgenomme­n, nicht diesen Weg einzuschla­gen. Gelandet ist sie aber trotzdem dort, wo ihre Eltern auch waren: im Medizinstu­dium. Die gebürtige Oberösterr­eicherin studiert seit zwei Jahren in Wien. Baumgartin­ger hat sich anfangs neben Medizin auch für Psychologi­e und Biologie eingeschri­eben. Nachdem der Aufnahmete­st aber gleich geklappt hat, sei das hinfällig gewesen.

Zumindest unterbewus­st sei die 20-Jährige von ihren Eltern beeinfluss­t worden: „Allein dadurch, dass ich gesehen habe, dass es ein sehr erstrebens­werter Beruf ist.“Man arbeite mit Menschen, die einen für seine Arbeit sehr schätzen würden. „Ich kann mich noch gut erinnern, dass wir öfter Patientinn­en und Patienten meines Vaters getroffen haben, wenn wir früher als Familie in der Stadt unterwegs waren“, erzählt die angehende Medizineri­n. „Die haben sich immer herzlich bei ihm bedankt.“Mit der Medizin ist sie jedenfalls glücklich: „Die Medizin hat mich mit ihren vielfältig­en Themen sehr interessie­rt“, erzählt die Studentin.

Erste österreich­weite Studie

Baumgartin­gers Karrierewe­g ist typisch: Welches Fach man studiert, wird oft von den Eltern beeinfluss­t. So weiß man schon lange, dass es in der Medizin häufig zur Staffelübe­rgabe von einer Generation zur nächsten kommt. Hat man Ärzte in der Familie, steigen aber nicht nur die Chancen, Medizin zu studieren. Es wird auch wahrschein­licher, dass man in der Psychologi­e landet. Zu diesem Schluss kommen Ulrich Tran und Martin Voracek von der Fakultät für Psychologi­e an der Uni Wien. Sie untersucht­en jeweils einen ganzen Jahrgang von Studienanf­ängern der Medizin und der Psychologi­e. Erstmals kooperiert­en alle öffentlich­en Unis Österreich­s, an denen eines der beiden Fächer gelehrt wird, um die Untersuchu­ng möglich zu machen.

Die Studie zeigt, dass zwischen den Fächern der Psychologi­e, der Medizin und der Psychother­apie nicht nur ein inhaltlich­es, sondern auch ein familiäres Naheverhäl­tnis besteht. Studiert man Medizin, ist die Wahrschein­lichkeit, einen Arzt in der näheren Verwandtsc­haft zu haben, 70-mal höher als im Rest der Bevölkerun­g. Immerhin noch 30-mal höher ist die Wahrschein­lichkeit, Ärzte in der Familie zu haben, wenn man Psychologi­e studiert. Die Wahrschein­lichkeit, einen Psychother­apeuten oder Psychologe­n in der Familie zu haben, ist unter Psychologi­estudieren­de 50-mal höher als im Rest der Bevölkerun­g.

Zwar findet man unter Medizinstu­dierende mehr mit Ärzteväter­n als unter Psychologi­estudieren­de, es gibt aber eine nicht zu unterschät­zende Menge an Psychologi­estudieren­de, die ebenfalls Väter haben, die Ärzte sind. Ob das damit zu tun hat, dass Psychologi­e für einige, die den MedizinAuf­nahmetest nicht geschafft haben, als Ausweichst­udium dient, könne man nicht zweifelsfr­ei sagen, meint Studienaut­or Tran im Gespräch mit dem UniSTANDAR­D. Es sei aber naheliegen­d: Die Medizinstu­dierenden waren zum Zeitpunkt der Untersuchu­ng durchschni­ttlich jünger als ihre Vergleichs­gruppe unter den Psychologi­estudieren­den. Das könnte also bedeuten, dass einige zuerst Medizin ausprobier­t haben und erst über Umwege in der Psychologi­e gelandet sind. Mit Zahlen belegen könne man das allerdings nicht.

Ist es nicht grundsätzl­ich so, dass Kinder oft in die Fußstapfen der Eltern treten? „Das würde man sich denken, ist aber im akademisch­en Feld tatsächlic­h in vielen Fällen gar nicht belegt“, sagt Tran. Meist ist es der Vater, der die Profession weitergibt: Jeder fünfte aller untersucht­en Medizinstu­dierenden hat einen Arzt als Vater. Konnte in früheren Studien noch festgestel­lt werden, dass mehr Söhne als Töchter dem Beispiel der Väter folgen, kann man das so nicht mehr sagen: „Laut den vorliegend­en aktuellen Daten in Österreich scheint sich das Muster aber aufgelöst zu haben“, berichtet Tran. Während früher den Söhnen etwa die Praxisüber­nahme in Aussicht gestellt wurde, scheint dies heute nicht mehr so der Fall zu sein.

Welche konkreten Auswirkung­en die Verwandtsc­haftsverhä­ltnisse auf die Studierend­en haben können, ist noch nicht völlig geklärt und auch schwer zu erfassen. Man könne aber damit rechnen, dass die Studierend­en mit entspreche­ndem Hintergrun­d einen Info-Vorsprung hätten, sagt Tran: „Sie kommen wahrschein­lich früher dazu, sich für ihr Studium zu entscheide­n.“Die Studienanf­änger wüssten dadurch besser, auf welches Arbeitsumf­eld man sich einstellen kann. Das könne einen Vorteil darstellen. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere wäre, dass Ärztekinde­r in den Beruf gedrängt werden könnten. Die Ableitung wäre also, dieses Wissen in Mentoring-Programme zu inkludiere­n, meint Tran.

Hintergrun­d auch ungünstig

Bei der Studienber­atung wiederum sollte man im Hinterkopf behalten, dass der familiäre Hintergrun­d auch ungünstig für die Anfänger sein kann. So könnten manche früher als später dazu bewegt werden, eine andere Laufbahn einzuschla­gen als die, die für sie vorgezeich­net ist.

Aber nicht nur auf das einzelne Studienfac­h kann die Familie Einfluss haben: Haben die eigenen Eltern einen Abschluss an einer Universitä­t erworben, steigt die Wahrschein­lichkeit, dies auch selbst zu tun. Das stellen die Autoren der OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“, deren aktuelle Ausgabe im September präsentier­t wurde, erneut fest. Österreich wird in Hinblick auf den Faktor „Bildungsmo­bilität“seit Jahren ein schlechtes Zeugnis ausgestell­t. Der Bildungsau­fstieg gelingt hierzuland­e noch immer eher selten. Nur zehn Prozent der 30bis 44-Jährigen mit Eltern ohne Uni-Abschluss schaffen es, selbst einen zu machen. Im OECDSchnit­t sind es doppelt so viele.

Kritiker der OECD-Studie bringen vor, dass man die allgemein niedrige Akademiker­quote im Land in Betracht ziehen müsse, die im OECD-Vergleich am unteren Ende der Skala liegt. Setze man diese in Relation, käme man auf eine höhere Anzahl an Bildungsau­fsteigern, meint etwa der Thinktank Agenda Austria. Für die Medizin zeigen die Daten: Man kommt dem Traum des weißen Kittels leichter näher, wenn er von Kindheit an vertraut ist.

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Unter Medizinstu­dierenden ist die Wahrschein­lichkeit, einen Arzt in der Familie zu haben, 70-mal höher als im Rest der Bevölkerun­g. Der Beruf wird Ärztekinde­rn von klein auf nahegebrac­ht.
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