Wissenschafter aus der Türkei gründen Online-Uni im Exil
Dass es ein längerer Aufenthalt würde, hatte die Stadtplanerin Tuba nal Çekiç, Professorin an der Technischen Universität Yildiz in Istanbul, nicht erwartet. Kurz nachdem sie im Juni 2016 ihr Jahr als Gastforscherin an der Humboldt-Uni zu Berlin angetreten hatte, begannen sich die Ereignisse in der Türkei zu überschlagen: Im Juli 2016 kam es zum Putschversuch gegen die Regierung, auf dessen Scheitern folgten Massenentlassungen von Generälen, Richtern, Lehrern und Akademikern.
Von ihnen war auch Çekiç betroffen, die im Februar ihre Stelle in Istanbul verlor. Im Jänner 2016 hatte sie mit 2100 anderen türkischen Wissenschaftern den Aufruf „Academics for peace“unterzeichnet, der sich gegen die damalige militärische Eskalation durch die türkische Regierung im Kurdenkonflikt wandte – und stand so auf einer Liste von Personen, die die türkische Regierung nun zu Sympathisanten einer Terrororganisation erklärte. Als ihr Jahr in Berlin endete, trat sie im September eine Stelle an der HafenCityUniversität Hamburg an.
Unterstützung im Exil
Wie Çekiç geht es zahlreichen türkischen Wissenschaftern. Seit dem Putschversuch sind durch Notstandsdekrete in der Türkei mehr als 15 Universitäten geschlossen worden, 7800 Akademiker wurden entlassen. Stellen an anderen türkischen Unis bekommen sie nicht. Einige von ihnen sind nun in Deutschland, Çekiç spricht von einer Community von rund 150 Forschern. Mit Unterstützung deutscher Kollegen gründeten sie eine Online-Uni, die „Off-University“. Mit dem Sommersemester sollen die ersten Kurse beginnen: Gelehrt wird interaktiv online, Studierende sollen sich die Teilnahme an ihrer Heimatuni mit Credit-Points anrechnen lassen können wie Kurse einer Sommerschule. Die Teilnahme an den Angeboten ist kostenlos und steht allen offen.
Unterrichtet wird von exilierten oder in der Türkei verbliebenen Wissenschaftern, die so die Arbeit fortsetzen können. „Uns geht es darum, diese Leute in der Wissenschaft zu halten. Sie sind die kritischen Stimmen des Landes und haben wichtiges Potenzial für die Wissenschaft“, sagt Julia Strutz, Türkeiforscherin an der Uni München und Mitinitiatorin des Projekts. Die Kurse sollen in Zusammenarbeit mit deutschen Unis stattfinden, durch Lehraufträge soll ihnen auch ein Einkommen ermöglicht werden, weitere Mittel werden per Crowdfunding lukriert. „Das Internet kennt keine nationalen Grenzen. Wir wollen für alle Menschen ein Angebot schaffen, die ansonsten keinen Zugang zu Lehre haben“, sagt Çekiç. pwww. off-university.de