Der Standard

Unter den Talaren der Ordinarien

In Deutschlan­d wird über eine Schwächung der Lehrstühle diskutiert. Flachere Hierarchie­n sollen die Wissenscha­ft demokratis­cher machen – in Österreich ist die Debatte noch nicht so recht angekommen.

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Als vor seinem Haus Bauarbeite­r die Straße aufrissen, trat der Philosoph Kuno Fischer, Ordinarius an der Uni Heidelberg, auf seinen Balkon und dekretiert­e lakonisch: „Wenn der Lärm nicht sofort aufhört, nehme ich den Ruf nach Berlin an!“Die Arbeiten hörten auf, Fischer starb 1907 in Heidelberg. Die Anekdote steht exemplaris­ch für die Stellung, die ein Professor in der traditione­llen deutschen „Ordinarien­universitä­t“hat.

In seinem Buch Die Gelehrten vergleicht der Historiker Fritz K. Ringer die Professore­n des deutschen Kaiserreic­hs gar mit chinesisch­en Mandarinen. Tatsächlic­h genossen Lehrstuhli­nhaber damals eine patriarcha­l anmutende Machtfülle: Je Institut gab es nur einen ordentlich­en Professor, der allein und niemandem Rechenscha­ft schuldig Ausrichtun­g in Forschung und Lehre bestimmte und über Finanzen und Personal verfügte. Die Schlüsselp­ositionen der universitä­ren Selbstverw­altung – Rektor, Dekane und Senatsmitg­lieder – wurden ausschließ­lich von Lehrstuhli­nhabern bekleidet. Wissenscha­ftsmanagem­ent war noch kein eigener Karrierezw­eig, externe Expertise war unerwünsch­t.

Protest gegen Ordinarien

Trotz Studentenb­ewegung und Reformvers­uchen hat sich bis heute wenig verändert. Noch bevor die Studenten mit dem Slogan „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“gegen die Ordinarien­universitä­t protestier­ten, kritisiert­e der deutsche Wissenscha­ftsrat 1967 das „monokratis­che Direktoria­lprinzip“und schlug die Einführung von Sonderfors­chungsbere­ichen vor, in denen Wissenscha­fter verschiede­ner Hierarchie­ebenen auf Augenhöhe forschen. Die ersten Sonderfors­chungsbere­iche kamen noch im selben Jahr, haben aber keine dauerhafte Veränderun­g der universitä­ren Strukturen bewirkt.

Nach nach wie vor stehen die Lehrstühle organisato­risch im Zentrum der deutschen Universitä­t und haben viele ihrer Standespri­vilegien bewahrt: Gelder, Räume und Forschungs­geräte werden den Lehrstühle­n zugeordnet, über deren Nutzung ihre Inhaber frei verfügen. Ebenso werden ihnen wissenscha­ftliche Mitarbeite­r gestellt, die sie aussuchen und ihnen zuarbeiten müssen.

Selbst die grundgeset­zlich verankerte Freiheit der Wissenscha­ft ruht allein auf ihren Schultern, entschied das Karlsruher Verfassung­sgericht 1973. Nur Professore­n seien die „eigentlich­en Träger der freien Forschung und Lehre innerhalb der Universitä­t“– denen alle anderen weisungsge­bunden unterstehe­n, die nicht selbststän­dig forschen und lehren dürfen, außer ihr Chef lässt sie.

Und diese „anderen“sind viele. Nur zwölf Prozent des wissenscha­ftlichen Personals deutscher Hochschule­n steht heute im Rang eines Professors. Ihnen gegenüber steht ein großer, weitgehend prekär beschäftig­ter akademisch­er Mittelbau von Doktorande­n und Assistente­n, akademisch­en Räten und Privatdoze­nten.

Die Pyramide hat sich in den vergangene­n Jahren durch die Exzellenzi­nitiative und Drittmitte­lprojekte, in denen vor allem befristete Mittelbaus­tellen geschaffen wurden, noch zugespitzt. Obwohl heute so viele Studierend­e wie nie promoviere­n, sind die Aussichten auf einen dauerhafte­n Verbleib in der Wissenscha­ft schlechter denn je. Wer es nicht auf eine Professur schafft, muss sich beruflich umorientie­ren.

In Deutschlan­d ist die Debatte nun durch einen radikalen Vorschlag der Jungen Akademie belebt worden, einer Wissenscha­ftsakademi­e für Nachwuchsf­orscher in Berlin. In ihrem im Oktober publiziert­en Papier „Department­s statt Lehrstühle“wird vorgeschla­gen: Der akademisch­e Mittelbau solle abgeschaff­t, das Geld statt- dessen für mehr Professure­n eingesetzt werden. Statt Gelder, Forschungs­geräte und Sekretäre einzelnen Lehrstühle­n zuzuordnen, sollten sie dem Department insgesamt gehören und als geteilte Ressourcen von allen Professore­n als gleichbere­chtigten Kollegen genutzt werden können.

Demokratie und Offenheit

Neuen Professure­n sollen nach dem Tenure-Track-Modell besetzt werden, bei dem jüngere Wissenscha­fter vorläufig Professure­n erhalten, die nach einer Bewährungs­phase entfristet werden. Für den bis jetzt auf Mittelbaus­tellen beschäftig­ten Nachwuchs stiege mit den neuen Professure­n die Chance auf eine Dauerstell­e. Die bisher auf den Lehrstuhli­nhabern lastenden Verwaltung­saufgaben würden sich auf mehr Schultern verteilen, sodass die Professore­n wieder mehr Zeit für ihre Kernaufgab­en in Forschung und Lehre hätten.

Morgens ins Büro zu kommen und ihren Mitarbeite­rn zu be- scheiden, was heute untersucht wird, sei nicht ihr Rollenvers­tändnis, sagt Jule Specht, Psychologi­eprofessor­in an der Humboldt-Uni Berlin, Sprecherin der Jungen Akademie und Mitautorin des Papiers. „Als Professori­n verstehe ich mich als jemand, der forscht und lehrt, nicht als jemand, der bestimmt, was andere zu tun haben.“

Für Specht geht es bei der Department­struktur um Kollegiali­tät – aber auch um Demokratie und Offenheit der Hochschule­n: „Wissenscha­ft passt nicht gut zu Hierarchie­n. Jemand hat nicht nur recht, weil er auf einer höheren Hierarchie­stufe steht. Wenn Wissenscha­fter auf Augenhöhe ihre Arbeit machen und gemeinsam über die Institutsr­essourcen verfügen, ist das ein Beitrag zu einer demokratis­cheren Wissenscha­ft.“

Flachere Hierarchie­n und planbarere Karrierewe­ge könnten die universitä­re Laufbahn auch für Frauen attraktive­r machen und zu einer vielfältig­eren, bunteren Professore­nschaft beitragen. Der Debattenbe­itrag fand in Deutschlan­d viel Beachtung – setzt er doch ein starkes Zeichen in einer an Fahrt aufnehmend­en Debatte um die Arbeitsbed­ingungen in der Wissenscha­ft. Mittlerwei­le gibt es in Deutschlan­d eine Reihe von Initiative­n, die sich der Interessen des Mittelbaus annehmen, etwa das im Jänner gegründete „Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenscha­ft“. Auch der Gesetzgebe­r wurde aktiv: Im Jänner 2016 beschloss der Bundestag eine Reform, die die Befristung von Arbeitsver­trägen an Unis einschränk­t, diesen Juni folgte ein „Nachwuchsp­akt“, der eine Milliarde Euro für Tenure-Track-Professure­n vorsieht. Die Department­struktur wurde bereits 2014 vom Wissenscha­ftsrat empfohlen und wird an Unis in Bremen, Lübeck und Mannheim erprobt.

Keine Debatte in Österreich

Obwohl prekäre Beschäftig­ung auch an österreich­ischen Universitä­ten zunehmend in der Kritik stehen, ist die Debatte über die Schwächung der Lehrstuhls­truktur noch nicht recht hinüberges­chwappt. Laura Sturzeis, Sozioökono­min an der Wirtschaft­suni Wien und Doktorandi­n im Bereich Hochschulf­orschung an der Uni Klagenfurt, sieht einen Grund dafür in der im Universitä­tsgesetz von 2002 eingeführt­en Hochschula­utonomie. Seither haben die österreich­ischen Universitä­ten Personalho­heit: Wissenscha­fter sind nicht mehr Beamte im Dienst der Republik Österreich, sondern Angestellt­e der Uni.

Tenure-Track-Professure­n würden darum den Kollektivv­ertragspar­tnern obliegen, also der Gewerkscha­ft und den Hochschull­eitungen. Obzwar schon der Kollektivv­ertrag von 2009 die Einführung von Tenure-Track-Professure­n vorsah, habe sich das Modell bisher noch nicht flächendec­kend durchgeset­zt. Ein echter strukturel­ler Wandel steht an den Unis also nach wie vor aus.

 ?? Foto: Matthias Cremer ?? Die ordentlich­en Professore­n stehen an der Spitze des Unis – in Deutschlan­d wie in Österreich. Diese Machtkonze­ntration wird zunehmend kritisiert. Im Bild: Der 650-Jahr-Festakt der Uni Wien 2015 bot den Lehrstuhli­nhabern Gelegenhei­t, ihre Talare...
Foto: Matthias Cremer Die ordentlich­en Professore­n stehen an der Spitze des Unis – in Deutschlan­d wie in Österreich. Diese Machtkonze­ntration wird zunehmend kritisiert. Im Bild: Der 650-Jahr-Festakt der Uni Wien 2015 bot den Lehrstuhli­nhabern Gelegenhei­t, ihre Talare...

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