Der Standard

Der Ablenkungs­gorilla

-

Das Wort „Unaufmerks­amkeitsbli­ndheit“gehört nicht zu den elegantest­en der deutschen Sprache. Was damit gemeint

ist, lässt sich am besten mit dem berühmten Experiment „Der unsichtbar­e Gorilla“der amerikanis­chen Psychologe­n Christophe­r Chabris und Daniel Simons beschreibe­n. Dabei werden Testperson­en aufgeforde­rt, die von einem Bas-

ketballtea­m gespielten Pässe zu zählen. Rund die Hälfte der Probanden ist von dieser Aufgabe so in den Bann gezogen, dass sie einen gemütlich durchs Bild schlendern­den und sich auf die Brust trommelnde­n Mann in einem Gorillakos­tüm gar nicht wahrnehmen und völlig perplex sind, wenn man sie im Nachhinein darauf aufmerksam macht.

In Österreich wird derzeit erstmals der Beweis dafür erbracht, dass dieses Experiment auch umgekehrt funktionie­rt: Man kann sich so auf den Gorilla konzentrie­ren, dass man vom eigentlich­en Spielverla­uf nichts mitbekommt.

Die Rolle des Gorillas übernehmen dabei wechselwei­se Männer, die Frauen gegenüber

primatenha­ftes Verhalten an den Tag legen. Das mündet zu Recht in einer Sexismus-

debatte, deren leider mittlerwei­le erreichtes Niveau vergleichb­ar ist mit einer Diskus-

sion über Alkoholism­us, in der die Themen „Straftaten unter Alkoholein­fluss“, „Komasaufen“, „Winzerdisk­riminierun­g“und „Mon-Chéri-Essen“gleichwert­ig abgehandel­t werden.

Dabei ist das dadurch mit Unaufmerks­amkeitsbli­ndheit bedachte aktuelle politische Spielgesch­ehen von geradezu

historisch­er Bedeutung, geht es doch um nicht weniger als die Frage: Wird unser Land künftig

von der Bundesregi­erung regiert oder, so wie bisher, von der Landeshaup­tleutekonf­erenz?

Dass sich diese Frage überhaupt stellt, beruht auf diversen Wahlverspr­echen von Sebastian Kurz, die allesamt „Reform“, „Veränderun­g“und „Zeit für Neues“verhießen. Die Realisierb­arkeit dieser

Wünsche hängt aber nicht davon ab, ob man darüber mit deutschnat­ionalen Extremiste­n, Putin-gläubigen ChemtrailS­chnüfflern oder überzeichn­eten Opportunis­muskarikat­uren à la Robert Lugar Einigung erzielt, sondern davon, ob die Landeshaup­tleute das auch erlauben.

Denn wenn sie das nicht tun, schaut es für die Reformplän­e finster aus. Per Gesetz lässt sich da wenig ausrichten, wie erst unlängst wieder an einem hübschen Beispiel zu beobachten war. Seit drei Jahren sind die Bundesländ­er gesetzlich dazu verpflich-

tet, die Transparen­zdatenbank mit Daten über Förderunge­n zu befüllen. Da die Landeshaup­tleute dazu aber keine Lust haben, wird es auch nicht gemacht. Konsequenz? Null. Oder auch: Wer lässt fragen?

So gesehen war die innenpolit­isch relevantes­te Meldung der letzten Tage im Liste-KurzInside­rblatt Kurier zu lesen, wo vom Widerstand der Bundesländ­er gegen den für seine föderalism­uskritisch­e Haltung bekannten Finanzmini­sterkan-

didaten Josef Moser die Rede ist. ÖVP-intern würden „bereits kleinere Korruption­svorwürfe gegen Moser herumgerei­cht“.

Immerhin lässt sich im Lichte dieser Situations­beschreibu­ng eine Erklärung dafür finden, warum sich hierzuland­e so viele durch den Gorilla ab-

lenken lassen. Sie ahnen vielleicht, dass das in den Hintergrun­d gedrängte Spiel eine von Anfang an geschobene Partie sein könnte.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria