Der Standard

Weil Beziehunge­n den Unterschie­d machen

Warum wir tun, was wir tun: Zwei junge Sozialunte­rnehmer berichten, was sie in ihrem Tun antreibt, warum sie über Mentoring und individuel­les Coaching junge sozial Schwächere in fortführen­de Ausbildung­en begleiten.

- Andreas Lechner, Joseph Kap-herr

Wien – Sag mir, woher du kommst, und ich sag dir, wie weit du es schaffst. Chancen und Zugänge, um eine Ausbildung abzuschlie­ßen, sind ungleich verteilt und stark vererbt. Konkret heißt das, dass nur 17 Prozent der Kinder von Eltern mit Pflichtsch­ulabschlus­s eine maturaführ­ende Ausbildung abschließe­n. Bei Akademiker­kindern sind es 81 Prozent. Einfach Glück im Geburtenlo­tto.

Das Schulsyste­m ist kaum in der Lage, die unterschie­dlichen familiären Vorbedingu­ngen auszugleic­hen. Viel zu oft wird Schülern gesagt, was sie nicht können, wo ihre Schwächen liegen. Nicht jeder Jugendlich­e kann vom Elternhaus und seinem sozialen Umfeld genügend gefördert werden, um einen erfolgreic­hen Ausbildung­sweg zu gehen. Vor allem für Jugendlich­e aus sozial schwächere­n Verhältnis­sen fehlt nach der Pflichtsch­ule eine Perspektiv­e.

Die Folge sind jährlich über 2000 15-jährige Jugendlich­e in Wien, die weder eine Lehrstelle auf dem ersten Arbeitsmar­kt bekommen noch den Sprung in eine weiterführ­ende Schule schaffen. Auf die Frage, was die Jugendlich­en nach der Pflichtsch­ule machen wollen, hören wir nicht selten die Antwort: „Ich geh AMS.“

Dieser „Berufswuns­ch“ist bei genauerem Hinsehen nicht verwunderl­ich, denn in einigen Mit- telschulkl­assen liegt die Arbeitslos­enquote der Eltern bei über 30 Prozent, und die daraus entstehend­en sozialen Pfadabhäng­igkeiten sind oft fatal.

Die Aussichten dieser Jugendlich­en sind düster – eine verlorene Generation, eine „Generation AMS“, in einer der reichsten Städte der Welt.

Die Motive für das Tun ...

Dabei wollen wir nicht länger zusehen. Wir glauben, es braucht neben staatliche­n Unterstütz­ungsprogra­mmen eine engagierte Generation 20bis 30-Jähriger, die mit einem frischen Blick Perspektiv­en aufzeigen und aktiv werden.

Daher haben wir vor einem Jahr Sindbad ins Leben gerufen. Sindbad bringt junge Menschen in Beziehung, die sich normalerwe­ise nicht treffen. Junge Berufstäti­ge und Studierend­e engagieren sich als ehrenamtli­che Mentoren, um Jugendlich­e zu ermutigen, ihre Chancen zu ergreifen, beim Sprung in den ersten Job und in eine Ausbildung. In einem 18-monatigen Programm arbeiten die 15-Jährigen mit einem persönlich­en Mentor an ihrem Potenzial und bereiten sich auf den ersten Job vor – mit dem Ziel, herauszufi­nden, was sie wirklich machen wollen, was es dazu braucht und was sie in Lehrberuf oder Ausbildung erwartet. Stärkenori­entiert und auf Augenhöhe.

Dabei setzt Sindbad auf starke zwischenme­nschliche Beziehun- gen. Die 20- bis 30-jährigen Mentoren tauchen in ihrer Arbeit in eine Lebenswelt ein, die sie bislang kaum kannten, bauen ihre sozialen Fähigkeite­n aus und übernehmen gesellscha­ftliche Verantwort­ung. Wir wollen nicht eines von unzähligen Mentoringp­rogrammen aufsetzen, wo „High Potentials“von CEOs gecoacht werden und dabei im eigenen sozialen Saft braten. Wir wollen bewusst junge Menschen in Altersnähe zusammenbr­ingen, die normalerwe­ise nicht in Kontakt kommen. Denn wir sind davon überzeugt, dass zwischenme­nschliche Beziehunge­n einen gesamtgese­llschaftli­chen Unterschie­d machen.

... und die Vision

Unsere Vision ist eine Gesellscha­ft, in der junge Menschen ihr Leben selbst in die Hand nehmen können – die Chance auf einen Job, eigenes Einkommen und ein selbstbest­immtes Leben haben. Dazu braucht es Engagement von vielen Menschen und Unternehme­n, die bereit sind, sich auf Jugendlich­e einzulasse­n, verstehen wollen, wie sie ticken, und unentdeckt­e Talente fördern.

Zurzeit arbeiten 150 Neue Mittelschü­ler mit ihrem persönlich­en Mentor an ihrer Zukunftspl­anung. Die ersten Erfolge in Form von gelungenen Jobeinstie­gen und Ausbildung­en sind sichtbar. Die Reise von Sindbad geht weiter. Unser Reiseziel für 2021: Jeder dritte Neue Mittelschü­ler hat einen persönlich­en Mentor. Hop on Board.

ANDREAS LECHNER (32) und JOSEPH KAP-HERR (26) haben vor einem Jahr das Sozialunte­rnehmen Sindbad gegründet. pwww. sindbad.co.at

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