Der Standard

Der Gasser-Park in Dornbirn ist mehr als eine Wohnanlage. Wo früher Textilien produziert wurden, probieren heute Pensionist­innen und Pensionist­en ein neues Wohnmodell. Die Stadt unterstütz­t dabei.

- Jutta Berger

Dornbirn – Der Gasser-Park in der Kehlerau, das sind exklusive Lofts unter den Scheddäche­rn der früheren Textilfirm­a, ein kleiner weißer Wohnturm und dazwischen ein langgezoge­ner, dreigescho­ßiger Bau. „Hier wird gelebt“, signalisie­rt die Möbelvielf­alt auf den Balkonen. Vor wenigen Wochen erst wurde das Wohnprojek­t „In guter Nachbarsch­aft“bezogen.

Die Wohnanlage ist eine gelungene Nachnutzun­g eines 7000 m² großen Industriea­reals, auf dem 80 Jahre lang Textilien produziert und veredelt wurden. Die gängige Nutzung von Industrieb­rachen als Fitnesshal­len oder Kartbahnen sei für ihn nicht infrage gekommen, sagt Architekt Claus Schnetzer vom Büro Schnetzer und Kreuzer. „Wir haben eine Wohnnutzun­g vorgeschla­gen, die die Grundstruk­tur der bestehende­n Gebäude übernimmt und Möglichkei­ten für alle Generation­en bietet.“

In der Schedhalle entstanden schicke und teure Lofts, bei den Mietwohnun­gen probiert man Neues. Erich Gasser, Besitzer des Areals: „Wir haben gemeinsam mit der Stadt überlegt, wie man ein Wohnprojek­t für Senioren machen könnte, das es in dieser Form noch nicht gibt.“24 der 70 Mietwohnun­gen wurden von der Stadt Dornbirn angemietet und von der Stadt direkt an Menschen im Pensionsal­ter weiterverm­ietet.

Das innovative Wohnprojek­t „In guter Nachbarsch­aft“richtet sich an Menschen, die kurz vor der Pensionier­ung stehen oder bereits in Pension sind. Menschen, die agil sind, noch keine Betreuung brauchen, allein leben, aber Gemeinscha­ft suchen und im Ruhestand noch Aufgaben in ihrem Umfeld wahrnehmen möchten. Das Wohnprojek­t sei eine Antwort auf die Bevölkerun­gsentwickl­ung, verweist Bürgermeis­terin Andrea Kaufmann (VP) auf den hohen Anteil alleinsteh­ender Seniorinne­n und Senioren.

Nicht mehr allein im Alter

Laut Statistik Austria lebten 2016 rund 18 Prozent der 50- bis 59-Jährigen in Singlehaus­halten. Bei den Männern bleibt die Zahl bis zum Alter von 79 Jahren beinahe konstant. Bei den Frauen verläuft die Kurve steil nach oben. Von den 70- bis 79-Jährigen leben 41 Prozent allein.

Wer gute Nachbarsch­aften pflegt, lebt länger gesund, fühlt sich zugehörig und unterstütz­t, geht aus Studien des Fonds Gesundes Österreich hervor. In Dornbirn will man einerseits älteren Menschen eine neue Lebenswelt bieten, anderersei­ts Möglichkei­ten schaffen, dass ihr Wissen und ihre Talente weiter genutzt werden können.

„Wir haben in Gesprächen mit den Wohnungsin­teressente­n versucht herauszufi­nden, ob sie bereit sind, sich in eine Nachbarsch­aft einzubring­en und welche Beiträge sie für die Gemeinscha­ft leisten wollen“, sagt Elisabeth Fink-Schneider, Leiterin der Gruppe Gesundheit/Soziales/Pflege. 22 der 24 Wohnungen (Einzimmer-Garçonnièr­en, Zwei- und Dreizimmer­wohnungen zu 8,20 Euro/m² Kaltmiete) waren sofort vergeben. Die künftigen Bewohnerin­nen und Bewohner bereiteten sich in drei Workshops auf das neue Wohnen vor und bekommen künftig alle zwei Monate durch externes Coaching Hilfe beim Zusammenle­ben. Im Gebäude der guten Nachbarsch­aft befindet sich auch eine Kleinkinde­rbetreuung. Kontakt und Unterstütz­ung über die Generation­en hinweg ist ein Fernziel der Stadtpolit­ik.

Aktivist in der erst wenige Wochen alten Gemeinscha­ft ist Werner Salzmann. Der Jungpensio­nist, früher als HTL-Lehrer und in der Energiebra­nche tätig, vermisste in seiner früheren Wohnanlage den Kontakt. „Man hat sich im Stiegenhau­s gegrüßt, das war alles.“Nach einem Jahr in Pension „hat mich das sehr zu stören begonnen“.

Für den regen Austausch mit der Nachbarsch­aft hat er bereits ein Internetfo­rum eingericht­et. „Natürlich sind Senioren keine Digital Natives“, sagt Salzmann. Deshalb will er seine Nachbarn mit Kursen „tabletfit machen“.

In Kürze wird dafür der Gemeinscha­ftsraum zur Verfügung stehen. Mit Küche und genug Platz für Vorträge, Filmabende, Sport und Tanz. „Wenn sich alle eingewöhnt haben, können wir hier unsere Aktionen starten“, freut sich Salzmann auf gelebte Nachbarsch­aft.

Gemeinscha­ftsräume scheitern meist an der Finanzieru­ng. Im Gasser-Park hat das Erich Gasser verhindert. Die Gemeinscha­ftsfläche wird nicht auf die Miete angerechne­t.

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