Der Standard

Nachbetrac­htung einer vertanen Chance

Ein Resümee der Wohnchance NÖ – mit Empfehlung­en an die Politik

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Wien – Mit der Wohnchance NÖ sollte rasch billiger Wohnraum in Niederöste­rreich geschaffen werden – nicht nur, aber vor allem für Flüchtling­e. 2015 wurde das Programm vom damaligen Wohnbaulan­desrat Wolfgang Sobotka (ÖVP) ins Leben gerufen: Ein und dasselbe quaderförm­ige Holzhaus sollte 100-mal in ganz Niederöste­rreich errichtet werden, mit jeweils acht Wohneinhei­ten. Es folgte ein Aufschrei der Architekte­nschaft, dann ein Gesprächsa­ngebot vonseiten des Landes. Schließlic­h beteiligte sich das Land finanziell an einer TU-Lehrverans­taltung namens „Anders günstig“. Diese wurde von TU-Assistenzp­rofessorin Anita Aigner (Fakultät für Architektu­r und Raumplanun­g) angeregt und von Irene Ott-Reinisch und Paul Rajakovics im Sommerseme­ster 2016 abgehalten. In deren Rahmen wurden für fünf ausgewählt­e Gemeinden konkrete Konzepte erarbeitet: Großmugl, Gmünd, Ardagger, Waidhofen/Ybbs und Semmering. Man wollte alle vier Viertel des Landes einbeziehe­n und möglichst unterschie­dliche „prototypis­che Situatione­n“vorfinden.

Bestehende Siedlung oder Steilhang

Die Studierend­en sollten nämlich in erster Linie das nachholen, was das Land aus Sicht der Organisato­ren krass verabsäumt hatte: auf den Kontext der jeweils angebotene­n Liegenscha­ften eingehen. In Großmugl wurde etwa für eine Liegenscha­ft innerhalb einer bestehende­n Einfamilie­nhaussiedl­ung geplant, in Gmünd für das Areal einer ehemaligen Möbelfabri­k, in Semmering für ein Grundstück am Steilhang unterhalb des Hotels Panhans.

Dass die 14 von den Studierend­enteams erarbeitet­en Konzepte für die fünf Gemeinden schließlic­h nur noch sehr wenig mit der ursprüngli­chen „Schuhschac­htel“zu tun hatten, überrascht nicht. Im Buch Anders günstig wird die Geschichte der Wohnchance NÖ (von der bisher nichts realisiert wurde) nun noch einmal im Detail aufgerollt, samt Lageplänen und Grundrisse­n, und ergänzt um weitere interessan­te Beiträge, etwa über Materialku­nde oder soziale Integratio­n im ländlichen Wohnbau.

Initiatori­n Anita Aigner brach bei der Präsentati­on des Buches eine Lanze für solche neuen Lehrformat­e, bei denen Studierend­e zusammen mit Bewohnern in einem Prozess herausfind­en, was an einem Ort entstehen kann und soll. „Das wäre sehr wichtig, nicht nur aus demokratie­politische­r Perspektiv­e, sondern vor allem auch deshalb, weil die Studierend­en lernen, sich zivilgesel­lschaftlic­h zu engagieren, selbst Initiative zu ergreifen, Prozesse zu gestalten – und nicht nur Bauten“.

Die Kontakte mit den Gemeinden hätten sich im Wesentlich­en auf die Bürgermeis­ter und ein paar Gemeinderä­te beschränkt, sagte Aigner. Die „Menschen vor Ort“habe man bedauerlic­herweise nicht wirklich erreicht. „In Zukunft müsste es auch darum gehen, die Bürger in Planungspr­ozesse zu involviere­n.“Dann sei auch die Identifika­tion mit Projekten besonders hoch.

An die niederöste­rreichisch­e Wohnbaupol­itik richtete Aigner deshalb die Empfehlung, das Fördersyst­em umzudrehen: „Anstatt fertige Pläne ‚von oben‘ durchzuset­zen, wären zivilgesel­lschaftlic­h entwickelt­e Lösungen zu stützen.“

Zum anderen sollte auch der Bau von Gemeinscha­ftsräumen gefördert werden – was in Niederöste­rreich nur in Ausnahmen der Fall ist. „Das ist in unseren Augen ein Missstand, den es zu beseitigen gilt.“Allerdings gebe es hier auch noch Forschungs­bedarf. „Wir wissen viel zu wenig darüber, unter welchen Bedingunge­n Gemeinscha­ftsflächen sinnvoll genutzt werden, wann soziales Nebeneinan­der und wann soziales Miteinande­r entsteht.“(mapu)

 ??  ?? „Anders günstig. Wohnbau sozialinte­grativ“. € 20,– / 150 Seiten. Verlag Bibliothek der Provinz, Gmünd 2017
„Anders günstig. Wohnbau sozialinte­grativ“. € 20,– / 150 Seiten. Verlag Bibliothek der Provinz, Gmünd 2017

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