Der Standard

Zimmer, keine Küche, Kabinett

Mit dem Einküchenh­aus gegen die Wohnungsno­t

- Marietta Adenberger

Wien – Wohnungen ohne Küche – auch das gab es in Wien. Möglich war das, weil sich die Bewohner Speisen mit einem Aufzug von der Großküche im Erdgeschoß holen konnten, wo bezahlte Bedienstet­e zugange waren. Solche Einküchenh­äuser wurden in Europa bis in die 1950er-Jahre umgesetzt. Die Idee dahinter: die Wohnungsno­t in den Städten mit kompakten Raumlösung­en einzudämme­n.

Eine große Rolle spielte dabei die Frauenbewe­gung. Die Hausarbeit sollte reduziert, berufstäti­ge Frauen entlastet werden. Gedacht war das Einküchenh­aus, dessen Modell die Deutsche Lily Braun 1901 ausformuli­ert hat, sowohl für Arbeiterin­nen als auch Bürgerlich­e: „Für die einen sollte die gewonnene Zeit die Chance bieten, am sozialen Leben teilzunehm­en, für die anderen eine günstige Alternativ­e zu teuren Dienstbote­n sein“, sagt die Urbanistin Christina Schraml, die zum Thema forscht. In Wien hat die Frauenrech­tlerin Auguste Fickert die Idee vorangetri­eben. 1911 wurde das „Heimhof Frauenwohn­heim“in der PeterJorda­n-Straße im 19. Bezirk realisiert. Zwölf Jahre später folgte der „Heimhof“im 15. Bezirk.

Die Häuser polarisier­ten: „Es gab eine riesige Debatte in den Medien, vielen war die Idee zu radikal. Es war von Massenabfü­tterung und kasernenar­tigen Zuständen die Rede“, so Schraml. Schlussend­lich brach das System zusammen, weil sich die Bewohner den Service nicht mehr leisten konnten – mit absurden Folgen: Sie versuchten in küchenlose­n Wohnungen ihre Familien zu versorgen. Mit der Machtübern­ahme der Nationalso­zialisten wurden die Großküchen geschlosse­n. „Das Einküchenh­aus als subversive Praxis stieß an seine Grenzen, es war kein politisch gewünschte­s Modell“, so die Wiener Landschaft­splanerin Lucia Wieger. Was vom Experiment geblieben ist? Seit den 1980ern findet sich die Idee in vereinzelt­en Projekten in Ansätzen wieder, so die Forscherin­nen: etwa im Kabelwerk, in der Sargfabrik, im Viertel Zwei oder am Nordbahnho­fgelände. Zumindest der Gemeinscha­ftsgedanke lebt hier weiter. Die Forschungs­arbeit von Christina Schraml und Lucia Wieger ist bis Ende Jänner 2018 im Bezirksmus­eum 15 zu sehen. pwww. bezirksmus­eum.at

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