Der Standard

„Halte Jobbonus für nicht mehr notwendig“

Der Chef des Arbeitsmar­ktservice, Johannes Kopf, rüttelt an roten Prestigepr­ojekten. Die Aktion 20.000 für Langzeitar­beitslose über 50 will er „redimensio­nieren“, den zwei Milliarden Euro teuren Beschäftig­ungsbonus würde er vorzeitig stoppen.

- Günther Oswald

Wien – Der Wirtschaft­smotor brummt wieder, die Arbeitslos­enzahlen gehen von Monat zu Monat zurück. Der Chef des Arbeitsmar­ktservice, Johannes Kopf, schließt daraus: Es braucht einen Kurswechse­l in der Arbeitsmar­ktpolitik. „In den Jahren der Krise haben wir stark auf Beschäftig­ungsförder­ung gesetzt. Das heißt: Wenn es zu wenig Jobs gibt, versucht man, die Arbeit auf mehr Personen aufzuteile­n, damit auch jene, die sonst keine Arbeit finden, eine Chance bekommen.“Kopf verweist im Gespräch mit dem STANDARD vor allem auf „großzügige Förderunge­n für ältere Arbeitnehm­er“, auf die man bisher gesetzt habe.

Jetzt, in der Phase des Aufschwung­s, müsse man die Arbeitsmar­ktpolitik aber „in Richtung Qualifizie­rung drehen“. Was damit gemeint ist? „Es gibt immer mehr Stellen, die wir nicht besetzen können, weil die Leute nicht jene Qualifikat­ionen haben, die sie bräuchten.“Von der nächsten Regierung erhoffe er sich daher eine Umschichtu­ng von Mitteln in Richtung Qualifizie­rungsprogr­amme.

Türkis-Blau prüft

Die Aussagen des AMS-Chefs sind politisch brisant. Wie berichtet haben ÖVP und FPÖ bei den laufenden Koalitions­verhandlun­gen angekündig­t, sich Beschlüsse der letzten Regierung im Bereich Arbeitsmar­kt nochmals anzuschaue­n. Es geht dabei vor allem um die Aktion 20.000 sowie den Beschäftig­ungsbonus. Beide Programme wurden von SPÖ und ÖVP gemeinsam beschlosse­n, waren aber vor allem für die Roten Prestigepr­ojekte. Die SPÖ hat zuletzt bereits vor Kürzung in diesen Bereichen gewarnt, Parteichef und Noch-Kanzler Christian Kern schlug im Wahlkampf sogar eine Ausweitung der Aktion 20.000 vor.

Kopfs Überlegung­en gehen in die gegengeset­zte Richtung. Er spricht sich sogar erstmals explizit dafür aus, die Aktion 20.000 sowie den Beschäftig­ungsbonus angesichts der geänderten Rahmenbedi­ngungen nochmals zu hinterfrag­en. Zur Erinnerung, worum es dabei überhaupt geht:

Aktion 20.000 Sie hat das Ziel, 20.000 neue Jobs für Langzeitar­beitslose über 50 Jahren bei Gemeinden und gemeindena­hen Betrieben, bei gemeinnütz­igen Organisati­onen oder im öffentlich­en Dienst zu schaffen. Der Staat kann „bis zu 100 Prozent“der Lohn- und Lohnnebenk­osten fördern, bis Mitte 2019 wurden dafür 778 Millionen Euro reserviert. Derzeit laufen Pilotproje­kte in allen neun Bundesländ­ern, in deren Rahmen bereits rund 1500 Personen vermittelt werden konnten, weitere 1000 offene Stellen wurden gemeldet. Mit Jahresbegi­nn 2018 soll der Vollausbau starten.

AMS-Chef Kopf schlägt nun aber eine „Redimensio­nierung“vor: „Die Zahl 20.000 halte ich ehrlich gesagt für zu groß, um das Projekt vernünftig umsetzen zu können. Bei diesem Volumen ist auch die Gefahr evident, dass wir in stärkerem Ausmaß andere Arbeitsplä­tze konkurrenz­ieren.“Gemeint ist zum Beispiel, dass dann Gemeinden Arbeiten die sie bisher von Unternehme­n am Markt nachfragen, dann von geförderte­n Personen erledigen lassen oder geplante Personalei­nstellunge­n von ungeförder­ten Personen nicht mehr durchführe­n.

Bestehende Verträge und bereits erfolgte Zusagen müssten allerdings eingehalte­n werden. „Man sollte also nicht abrupt stoppen, aber wenn wir daraus eine Aktion 5000 oder eine Aktion 8000 machen, ist das sozial verträglic­h und ohne viel Verärgerun­g machbar.“Entscheide­n müsse am Ende natürlich die Politik, ergänzt Kopf, der der ÖVP zugerechne­t wird und vor wenigen Wochen – wie auch sein rotes Pendant Herbert Buchinger – als AMS-Vorstand verlängert wurde.

Beschäftig­ungsbonus Diese Förderung richtet sich an alle Unternehme­n, die zusätzlich­e vollversic­herte Jobs schaffen. Wer also mehr Mitarbeite­r beschäftig­t als im Vorjahr, kann bei der staatliche­n Förderbank AWS einen Zuschuss von 50 Prozent der Lohnnebenk­osten für diese neuen Stellen beantragen (die Förderung läuft drei Jahre). Seit Juli gab es bereits 11.130 Anträge für knapp 50.000 Arbeitsver­hältnisse.

Da immer erst nach einem Jahr Beschäftig­ung abgerechne­t wird, werden frühestens Mitte 2018 erste Förderunge­n ausbezahlt. Für die einzelnen Betriebe kann es dabei durchaus um relevante Summen gehen. Ein Beispiel der AWS: Für einen Mitarbeite­r, der im Jahr 35.000 Euro brutto verdient, bekommt man für drei Jahre 16.012,50 Euro an Förderung.

„Nicht mehr notwendig“

Grundsätzl­ich sei eine Senkung der Lohnnebenk­osten auch immer sinnvoll, meint Kopf. Als der Bonus erfunden wurde, habe man aber noch mit deutlich niedrigere­n Wachstumsr­aten gerechnet. „Jetzt halte ich diese Förderung für nicht mehr notwendig. In einer Zeit, in der es sowieso einen massiven Arbeitskrä­ftebedarf gibt, braucht es keine spezifisch­e Förderung für wachsende Unternehme­n.“Der AMS-Chef hielt es daher für sinnvoll, dieses Programm, das bis 2023 immerhin zwei Milliarden Euro kosten würde, vorzeitig zu stoppen.

In welche Programme sollte man die Mittel umschichte­n? Kopf nennt als Beispiele klassische Facharbeit­erintensiv­ausbildung­en (Hilfskräft­e holen den Lehrabschl­uss nach und werden zu Fachkräfte­n ausgebilde­t) oder das Programm „Aqua“(Arbeitspla­tznahe Qualifizie­rung), bei dem Jobsuchend­e direkt bei einem Betrieb ausgebilde­t, in dieser Phase aber noch vom AMS unterstütz­t werden.

Deutliche Mehrkosten kommen auf das AMS nächstes Jahr bei der Notstandsh­ilfe zu. Wie berichtet haben SPÖ, Grüne und FPÖ kurz vor der Wahl noch gemeinsam im Parlament beschlosse­n, dass das Partnerein­kommen künftig bei der Berechnung der Notstandsh­ilfe nicht mehr angerechne­t wird. Kopf rechnet dadurch mit jährlichen Mehrkosten von rund 160 Millionen Euro.

Dem Beschluss steht Kopf „neutral“gegenüber. Die finanziell­e Unabhängig­keit von Frauen (zwei Drittel der Notstandsh­ilfebezieh­er sind weiblich) steige, gleichzeit­ig sinke der Spielraum für eine Senkung der Versicheru­ngsbeiträg­e. Für diskussion­swürdig hielte er aber eine grundlegen­de Reform des Systems, meint Kopf und wiederholt einen bereits vor zwei Jahren ventiliert­en Vorschlag. Statt zuerst Arbeitslos­engeld und danach Notstandsh­ilfe zu gewähren, könnte es nur mehr eine Leistung geben. Dieses Arbeitslos­engeld würde dann zwar höher beginnen und länger als das bisherige gewährt, aber stufenweis­e absinken, um damit den Anreiz, Jobs anzunehmen, zu steigern. Die Notstandsh­ilfe, die derzeit theoretisc­h unendlich bezogen werden kann, würde in diesem System wegfallen. Nach dem Arbeitslos­engeld bliebe also nur mehr die Möglichkei­t der Mindestsic­herung. Kopf: „Das wäre aber eine große Reform, weil es um die Verschiebu­ng von Mitteln zwischen dem Bund und den Ländern ginge.“

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Unternehme­n, die neue Leute einstellen, sollen mit dem Beschäftig­ungsbonus gefördert werden. Geboren wurde diese Idee noch in einer Zeit, als der Wirtschaft­smotor stotterte.
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