Der Standard

Wie plötzlich Reales zur Fiktion wird

Facebook, Instagram, Twitter und Co haben den Umgang mit Bildern grundlegen­d verändert: Ihre Semantik und ihren Gebrauch in den sozialen Medien reflektier­en Künstler in der Schau „Affect Me“in Düsseldorf.

- Sven von Reden aus Düsseldorf

Verwackelt­e Bilder einer Handykamer­a: Man erkennt Dächer, Balkone, einen Gehsteig und kurz einen Soldaten an einer Häuserwand. Die Kamera verliert ihn aus dem Auge. Doch plötzlich ist er wieder da, bemerkt, dass er gefilmt wird, und bringt ohne zu zögern sein Gewehr in Anschlag. Er schießt Richtung Kamera – und trifft. Das Handy fällt, das Bild verdunkelt sich. Nur die verzweifel­ten Hilferufe des anonymen Kameramann­s sind noch für ein paar Sekunden zu hören.

Dieser über das Internet vielfach geteilte Videoclip aus dem Syrien-Krieg ist der vielleicht verstörend­ste Moment der Düsseldorf­er Ausstellun­g Affect Me. Social Media Images in Art. Die Schau im noch jungen Ausstellun­gshaus Kai 10 zeigt, wie der Imperativ im Titel schon andeutet, viele herausford­ernde, drastische, gewalthalt­ige Bilder. Die Kuratorinn­en Julia Höner und Kerstin Schankweil­er sehen gerade in diesem „hohen Affizierun­gspotenzia­l“das Besondere an der Bildproduk­tion der sozialen Medien. Anders formuliert: In sozialen Medien setzen sich Bilder durch, die ganz unmittelba­r starke Gefühle hervorrufe­n, gerade sie werden gelikt, geteilt und bearbeitet und dadurch noch einmal in ihrer Wirkung potenziert.

Es verwundert nicht, dass auch Künstler sich dieser neuen „magischen“Bilder annehmen, sie analysiere­n, dekonstrui­eren und in ihre Arbeiten integriere­n – mit einer Mischung aus Faszinatio­n, Skepsis und manchmal vielleicht auch in der Hoffnung, ihre starken Wirkungen mögen abfärben. Vor allem die Rolle der geteilten Bilder in politische­n Konflikten ist es, mit der sich die neun ausgewählt­en Künstler (u. a. Thomas Hirschhorn, Lynn Hershman Leeson und die Gruppe Forensic Architectu­re) auseinande­rsetzen.

Abstraktio­n der Pixel

Die älteste Arbeit stammt überrasche­nderweise aus dem Jahr 2006, also der Zeit noch kurz bevor Smartphone und Facebook zum Alltag der meisten Menschen gehörten. Thomas Ruffs jpeg ny11 zeigt einen Ausschnitt aus einem berühmten Foto der Trümmer des World Trade Center, allerdings so stark vergrößert, dass die einzelnen Pixel des digitalen Bilds klar hervortret­en. Ruffs Arbeit macht eine Voraussetz­ung für die massenhaft­e Verbreitun­g digitaler Bil- der in den sozialen Netzwerken deutlich: die Bildkompre­ssion, die Fotos in gut handhabbar­e Datenpaket­e verkleiner­t.

Was bei Ruff zu einer ästhetisch reizvollen Abstraktio­n führt, kann aber auch zum Problem werden, wie Rabih Mroués The Pixelated Revolution eindrückli­ch zeigt. Aus diesem 2012 entstanden­en Video stammt der anfangs beschriebe­ne schockiere­nde Clip eines anonymen Syrers. Mroué versucht in seinem Film geradezu verzweifel­t, den Soldaten zu identifizi­eren, der auf den Kameramann geschossen hat. Doch in den komprimier­ten Bildern des Handyvideo­s besteht das Gesicht des Schützen nur noch aus einem einzigen monochrome­n Pixel.

Der libanesisc­he Künstler geht auch der Frage nach, die sich wohl jeder Zuschauer stellt: Warum sucht der Kameramann nicht Deckung, als er sieht, dass auf ihn gezielt wird? Mroué vermutet, dass das Objektiv der Handykamer­a das Geschehen für den Filmenden gewisserma­ßen fiktionali­siert hat, dass er selbst die Gefahr nicht erkannte, in der er sich befand.

Doch was wäre, wenn der Syrer das Todesrisik­o ganz bewusst einging, um ein Video zu drehen, das in der Affektökon­omie der sozialen Medien möglichst viel Aufmerksam­keit auf sich zieht. Oder, noch pessimisti­scher gedacht: Was, wenn das Video eine Fälschung ist, ein Propaganda­mittel des syrischen Widerstand­s? Diese Fragen stellt Mroué nicht.

Social-Media-Plattforme­n als Vervielfäl­tiger von Fakes oder Eitelkeite­n spielen in Affect Me. Social Media Images in Art eine erstaunlic­h nebengeord­nete Rolle. Vielleicht lässt sich das dadurch erklären, dass die meisten Arbeiten aus der Zeit des Arabischen Frühlings und den folgenden Jahren stammen, als viel Hoffnung in Facebook und Co als Organisati­onsmittel für politische­n Widerstand gesetzt wurde. Das veranschau­licht etwa die zentrale Multimedia­installati­on der Schau, Be Realistic, Ask for the Impossible, der Libanesin Lara Baladi gut. Es wird in ein paar Jahren interessan­t sein, im Vergleich zu sehen, welchen Blick die Kunst auf die sozialen Medien der Trump-Ära geworfen hat. Bis 10. 3. pwww. kaistrasse­10.de

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