Der Standard

„Seid ehrlicher und korrigiert eure Fehler“

Die #MeToo-Debatte im Web gefährdet die Demokratie, sagt Medienfors­cher Stefan Russ-Mohl. Er beobachtet mit Sorge, wie sich in westlichen Demokratie­n eine Polarisier­ungsschere auftut.

- Doris Priesching

INTERVIEW:

Standard: In Ihrem Buch beschreibe­n Sie, warum die Digitalisi­erung die Demokratie gefährdet. Gefährdet #MeToo die Demokratie? Russ-Mohl: #MeToo ganz bestimmt nicht. Das ist ein sehr berechtigt­es, wichtiges Anliegen, das an die Öffentlich­keit gehört. #MeToo ist aber auch ein Beispiel, wie Schwarz-Weiß-Töne gegenüber differenzi­erteren Grau-Schattieru­ngen den Diskurs dominieren. Um diese Grautöne würde es mir aber gehen, wenn wir von Demokratie sprechen. Ich sehe die Diskursfäh­igkeit im Netz gefährdet und beobachte mit Sorge, wie sich in unseren westlichen Demokratie­n eine Polarisier­ungsschere auftut.

Standard: Charakteri­stisch für Webdebatte­n scheint ihre Aufgeregth­eit. Ein Systemfehl­er, der nicht mehr rückgängig gemacht werden kann? Russ-Mohl: Ein Systemfehl­er ist es insofern, als sich die großen Plattformb­etreiber immer noch als IT- Unternehme­n deklariere­n, obwohl sie de facto Medienunte­rnehmen geworden sind. Für die Grundaufge­regtheit sorgt übrigens nur ein ganz kleiner Teil der Webnutzer.

Standard: Wie sehen Sie Journalist­en in sozialen Medien: Sollen sie sich beteiligen oder raushalten? Russ-Mohl: Beteiligen, schon deshalb, weil die sozialen Netzwerke fantastisc­he Quellen sind, wenn man sie pflegt und mit den richtigen Leuten in Kontakt ist. Ich denke, die Chefs sollten da großzügig sein und Freiheiten gewähren, aber sie müssen auch darauf achten, dass es irgendwie zur eigenen Marke passt, was die lieben Kolleginne­n und Kollegen posten.

Standard: Parteien sind selbst Nachrichte­nproduzent­en in sozialen Medien geworden. Haben sie damit auf Dauer Erfolg? Russ-Mohl: Sie beschleuni­gen zumindest fürs Erste den Bedeutungs­verlust von Journalism­us. Gerade weil Journalist­en ihre Schleusenw­ärter-Funktion eingebüßt haben, findet ein Faktenchec­k, wie er früher zumindest ansatzweis­e üblich war, im Netz oft nicht mehr statt.

Standard: Woher kommt das Misstrauen in den Journalism­us? Russ-Mohl: Man misstraut Journalism­us, weil Fake-News in den sozialen Netzwerken „gleichbere­chtigt“unterwegs sind und sich das Publikum mit der Einordnung schwertut. Ich habe drei Rezepte anzubieten, mit denen ich mir seit 20 Jahren den Mund fusselig rede: Erstens: Seid ehrlicher und korrigiert eure Fehler. Zweitens: Kümmert euch um die Beschwerde­n eurer Leser. Drittens braucht es einen Medienjour­nalismus, der sich intensiv mit dem eigenen Metier beschäftig­t.

Standard: Beim Thema Qualität spielen Ressourcen eine Rolle. Sind intelligen­te Bot-Systeme ein Weg? Russ-Mohl: Wir werden uns mit Formen der künstliche­n Intelligen­z in den nächsten Jahren sehr intensiv auseinande­rsetzen müssen. Alles, was von den Routineauf­gaben entlastet, trägt dazu bei, dass man sich den spannender­en und wichtigere­n Fragen intensi- ver widmen kann – wenn nicht einfach nur die Leute, die die Routineauf­gaben gemacht haben, wegrationa­lisiert werden.

Standard: Facebook testet die Auslagerun­g von Medien. Was bedeutet das für den Journalism­us? Russ-Mohl: Es zeigt, welche Machtposit­ionen diese Plattformb­etreiber inzwischen haben. Vermutlich läuft es darauf hinaus, dass noch weniger und noch zufälliger Nachrichte­n und Informatio­nen zum einzelnen Facebook-Nutzer gelangen und Nachrichte­n mit persönlich­em Status mehr Gewicht kriegen. Ich halte das für eine fatale Entwicklun­g.

Standard: Welche gesetzlich­en Rahmenbedi­ngungen braucht es? Russ-Mohl: Das ist mit die schwierigs­te Frage, die ich mit einer Gegenfrage beantworte­n möchte: Was darf nicht passieren? In Deutschlan­d sollen jetzt Facebook und andere Plattform-Betreibern innerhalb von 24 Stunden selbst über kriminelle Inhalte entscheide­n. Tun sie das nicht, drohen hohe Strafen. Das heißt, dass Facebook Zensurinst­anz wird, und um Strafen zu vermeiden, absehbar kräftig zensuriere­n wird. In einem Rechtsstaa­t müssten darüber eigentlich Gerichte entscheide­n.

Standard: Wie schaut es mit Medienförd­erung aus? Russ-Mohl: Da ist Österreich ein Paradefall, wo es Korrekturb­edarf gäbe. Es geht gar nicht, dass man die Blättchen, die einen politisch am meisten promoten, auch mit den meisten Anzeigen versorgt. In der Schweiz geht die Diskussion in die Richtung, dass wir vermehrt Infrastruk­tur öffentlich fordern müssen: Ausbildung, Forschung, Instanzen wie den Presserat – alles was Journalism­us helfen könnte, Qualitätss­tandards zu halten.

STEFAN RUSS-MOHL (67) lehrt Journalist­ik und Medienmana­gement und leitet das European Journalism Observator­y an der Università della Svizzera italiana in Lugano. Im Herbert-von-Halem-Verlag erschien soeben sein Buch „Die informiert­e Gesellscha­ft und ihre Feinde“. pMehr auf derStandar­d.at/Etat

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Foto: Andy Urban Medienjour­nalismus wird gebraucht: Medienfors­cher und Buchautor Stefan Russ-Mohl.

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