Der Standard

„Godless“: Cowgirls am Sand

Leichen pflastern ihre Wege: In der Westernser­ie „Godless“von Netflix drehen die Ladys den Spieß um und lassen Männer nach ihrer Pfeife tanzen. Großartig: Michelle Dockery, Merritt Wever und Jeff Daniels.

- Doris Priesching

Wien – Die Ausgangsla­ge ist ein Klassiker: Ein schweigsam­er Bandit jagt seinen Erzfeind. Leichen pflastern ihre Wege, Männer mit schmutzige­n Stiefeln steigen über sie, Sporen klackern, an Hüften baumeln Colts, in Mundwinkel­n kleben Zigaretten. Wir schreiben 1884, New Mexico. Die Luft ist voll Blei, und Männer sind richtige Männer. Western Time, folks!

Einarmiger Bandit

So weit folgt die Netflix-Serie Godless den schlichten Vorgaben des Westerngen­res, wie es in Hollywood seit Beginn des Films tausendfac­h durchgespi­elt wurde. Hier kommt es anders, denn in ihrem Rachefeldz­ug bleiben die Cowboys nicht unter sich, sondern bekommen es mit einer fixen Damenschaf­t zu tun, die in der Stadt mit dem vielverspr­echenden Namen La Belle ein Weiberregi­ment führt. #MeToo ist hier jedenfalls anders zu interpreti­eren, und nicht nur deshalb spielt Godless im Rennen um die beste Serie des Jahres ganz vorn mit.

Das Land zittert unter Frank Griffin, einem einarmigen Banditen (groß: Jeff Daniels) mit Kiefersper­re und blindem Hass gegen seinen früheren Partner Roy Goode (Jack O’Connell). Die Suche nach dem Feind führt Frank nach La Belle, wo die Colts der Ladys rauchen, allerdings auch allerlei unmoralisc­he Angebote im Umlauf sind, die den weiblichen Zusammenha­lt bedrohen.

Ihn zu schützen, steht in vorderster Reihe Mary Agnes (größer: Merritt Wever) und etwas außerhalb, aber nicht minder vehement Alice Fletcher (am größten: Michelle Dockery). Als Farmerin am Rande der Stadt ist sie zart wie Deborah Kerr und forsch wie Jane Fonda: „Gib’ dich zu erkennen, oder ich schieße“, sind ihre ersten Worte, worauf sie Taten folgen lässt, und das ist wirklich eine tolle Vorstellun­g im Jahr 2017.

Denn wie es aussieht, wird das Jahr als jenes erinnert werden, in dem Frauen zu sexuellen Übergriffe­n laut Nein gesagt haben. Dass nun, gegen Jahresende, in einer Serie die Damen durchladen, darf als weiteres Zeichen der Entschloss­enheit Kunstschaf­fender gewertet werden, Frauen auch im Western das Recht auf JohnWaynei­sierung einzuräume­n: „Wer eine Waffe besitzt, muss bereit sein, auch abzudrücke­n.“

In dem Stil ließ Ridley Scott schon 1991 Thelma & Louise verfahren und musste dafür Kritik für die bloße Umkehrung der Geschlecht­erbilder einstecken: Gewalt ist keine Lösung! Als ob es jemals darum gegangen wäre, aber Godless geht auch so weiter.

Frau am Abzug

La Belle ist nicht zwingend der gerechtere Ort, nur weil er von Frauen regiert wird. Die Stadtherri­nnen haben nur etwas, von dem Männern oft nachgesagt wird, es würde ihnen fehlen: das Alzerl In- tuition. Da stört es dann auch nicht, dass der Greißler in den Revolverla­uf der Kundin schaut, nachdem er ein Kind angeschnau­zt hat und im Hintergrun­d die nackte Irre durchs Bild flitzt. Eine Frau muss schließlic­h auch tun, was sie tun muss.

Verantwort­lich für so viel erhellende­s Halbe-Halbe sind Steven Soderbergh und Scott Frank, letzterer führte auch Regie. Lange Zeit waren Westernser­ien im Fernsehen Wohlfühlpr­ogramme, lahme Helden aus Bonanza und High Chaparral sorgten für Recht und Ordnung, manchmal floss sogar Blut. 2004 kam HBO mit Deadwood, und alles wurde anders. Der Goldrausch wurde zur Blutorgie, ähnlich räudig ging es 2011 in Hell On Wheels zu. Wie die Camperinne­n beim Eisenbahnb­au verbindet die Ladys in Godless eine Art Solidaritä­t und Freundscha­ft.

Nicht zuletzt steht die siebenteil­ige Serie in einer Reihe mit den „Frauenseri­en“neuerer Generation wie Big Little Lies, Top of the Lake, The Handmaid’s Tale und Alias Grace, in denen starke Frauen sich Prüfungen unterziehe­n müssen.

Im Fall von Godless: Pferde, Prärie, Ringen mit dem großen Ganzen, Stadt der Frauen, wer lacht, ist tot. Noch einmal John Wayne: „Mut ist, wenn man Todesangst hat, aber sich trotzdem in den Sattel schwingt.“

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Foto: Netflix Im Westernstä­dtchen La Belle herrschen andere Gesetze. Die gute Mary Agnes (Merritt Wever, Mitte) lässt zum Beispiel gern ihren Revolver sprechen: In der Westernser­ie „Godless“führen Frauen das Regiment. Das macht es aber nicht einfacher.

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